Motettenansprache
- 13.04.2018
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache am 13.04.2018, Thomaskirche zu Leipzig um 18 Uhr
„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ (Thoams Jefferson)
Liebe Motettengemeinde,
der Verfasser dieser ersten Zeilen aus der Präambel der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wurde heute vor 275 Jahren in Charlottesville im Bundesstaat Virginia geboren. Thomas Jefferson ist einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika und war ihr dritter Präsident. Er gilt als der bedeutendste Staatstheoretiker Amerikas und gilt vielen nachfolgenden Präsidenten als Vorbild. Eingebunden in ein schöpfungstheologisches Menschenbild, werden die Grundrechte des Individuums beschrieben, die gewissermaßen Naturrechte sind.
- Gleichheit aller Menschen
- das Recht auf Leben
- das Recht auf Freiheit -das Bestreben nach Glück
Diese Grundrechte bilden ein stabiles und sicheres Fundament. Auf ihm lässt sich das Zusammenleben in einer Gesellschaft aufbauen und gestalten. Wenn nun gut 240 Jahre später der Eindruck sich einschleicht, dass dieses Fundament unter der derzeitigen Präsidentschaft zu bröckeln beginnt, müssten eigentlich die Menschen alarmiert sein.
Denn die Erfahrungen aus Unterdrückung, Bevormundung und Ungleichbehandlung führten ja zu jener Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit, die in der Gründung der Vereinigten Staaten als unabhängiges Land ihre Erfüllung fand. Immer da, wo an den schöpfungstheologischen Fundamenten gerüttelt wird, sei es aus machtpolitischem Kalkül oder ganz persönlichem Vorteilsinteresse, ist als Christ Einspruch geboten. Das sagt sich einerseits leicht und ist andererseits doch so ungemein anstrengend.
Wie schwer es fällt, jeden Menschen als zunächst grundsätzlich „gleich“ anzusehen, was nicht bedeutet, dass jeglicher Individualität ihre Berechtigung abgesprochen wird, zeigt sich da, wo wir unsere Mitmenschen bewusst oder unbewusst vorschnell kategorisieren und in Schubladen stecken. Damit verlassen wir nämlich schon den Grundsatz der von Gott geschenkten Gleichheit allen menschlichen Lebens. Die Existenzberechtigung des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung oder seinem gesellschaftlichen Nutzen. Wo jene vermindert sind, bedeutet das nicht, dass sein Leben deshalb nichts mehr wert ist.
Thomas Jefferson war geprägt und inspiriert von den Gedanken und Ideen der Aufklärung, nicht zuletzt durch eigene Aufenthalte in Paris als Botschafter und Außenminister. Sie bilden auch unser geistiges Wertefundament in Europa und sind gegen jegliche Aushöhlung zu verteidigen.
Wer aber für sich beanspruchen möchte, in Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit glücklich sich entfalten zu können, muss sich auch fragen lassen, was er dafür bereit ist zu tun.
Zur Freiheit gehört unweigerlich das Risiko. Zur Geschwisterlichkeit gehört die Demut, zur Gleichheit der Respekt vor anderen Lebensentwürfen und zum glücklichen Leben gehört die Einsicht, dass die Verantwortung dafür nicht gänzlich abgegeben werden kann. Gerade im gegenwärtigen Bestreben, Nationen in einem falsch verstandenen Maße zu stärken, sind die Erinnerung an gemeinsame Werte und der Wille, diese auch zu leben von enormer Bedeutung.
In der kleinen Motette aus den Fest-und Gedenksprüchen von Johannes Brahms nimmt der Komponist Bezug auf Verse aus dem 5. Buch Mose. Dort heißt es:
„Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun 10 den Tag, da du vor dem HERRN, deinem Gott, standest.“ (Deuteronomium Kap 4, 9f)
Tief eingeprägt soll dem Gottesvolk, und dazu zählen auch wir als seine Gemeinde, werden, dass die Weisungen zum Leben in Freiheit und Verantwortung niemals leichtfertig aufgegeben werden dürfen, nur weil die sprichwörtlichen „Fleischtöpfe Ägyptens“ gerade herrlich duften und Appetit machen. Wir tragen auch dafür Verantwortung, dass in Erinnerung bleibt, was uns als Gemeinschaft gegründet hat. Christlich betrachtet ist es das Vertrauen in einen liebenden und lebensbegleitenden Gott. Er sieht den Menschen an als ein zu allererst liebenswertes und lebenswertes Geschöpf. Von dieser Basis aus dürfen wir auch das Wort in der Gesellschaft erheben, wo sich die Freiheit des Einzelnen über die Interessen und Bedürfnisse des Nächsten setzen möchte.
Unsere Augen, um die Sprache des Verses noch einmal aufzunehmen, nehmen den Gott war, der auch dann noch an unserer Seite steht, wenn wir versagt haben oder wenn wir bedingt durch das Streben nach eigenem Glück an anderen schuldig werden. Zu seinen Verheißungen zählt, dass wir unter seinem Segen leben dürfen und Frieden finden. Amen.
Gebet
Barmherziger Vater im Himmel,
wir bringen vor Dich die Dinge, die uns in der vergangenen Woche bewegt haben: Glück und Segen, aber auch Schuld, Versagen oder Unfriede. Gelungenes und Fröhliche Momente ebenso wie Trauer und Angst.
Durch Deinen Sohn Jesus Christus hast Du uns verheißen, bei uns zu sein. So bitten wir Dich durch ihn; nimm weg, was uns belastet, tröste, wo es nötig ist, gibt Mut, der über der Angst steht. In seinem Namen rufen wir zu Dir: Vater unser im Himmel…
Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)