Motettenansprache

  • 24.03.2018
  • Pfarrerin Taddiken

Johann Sebastian Bach (1685-1750, Thomaskantor 1723-1750)
Klagt, Kinder, klagt es aller Welt
Ausschnitte aus der Köthener Trauermusik BWV 244a
Trauerkantate für Fürst Leopold von Anhalt-Köthen
Erstmalig aufgeführt am 23. März 1729 oder 24. März 1729.Text: Christian Friedrich Henrici, genannt Picander (1700-1764)

Nr. 8 Chor
Wir haben einen Gott, der da hilft, und einen Herrn, der vom Tod errettet.

Nr. 12 Arie (Sopran)
Mit Freuden, mit Freuden sei die Welt verlassen,
der Tod kommt mir recht tröstlich für.
Ich will meinen Gott umfassen,
dieser hilft und bleibt bei mir,
wenn sich Geist und Glieder scheiden.

Nr. 20 Arie (Bass)
Bleibet nun in eurer Ruh,
ihr erblassten Fürsten-Glieder;
doch verwandelt nach der Zeit
unser Leid
in vergnügte Freude wieder,
schließt uns auch die Tränen zu.

Nr. 24 Schlusschor
Die Augen sehn nach deiner Leiche,
der Mund ruft in die Gruft hinein:
Schlafe sicher, ruhe fein,
labe dich im Himmelreiche!
Nimm die letzte gute Nacht,
von den Deinen die dich lieben,
die sich über dich betrüben,
die dein Herze werth geacht‘,
wo dein Ruhm sich unsterblich hat gemacht.

Philipper 2,5-11
Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.


Liebe Gemeinde,
wir hören gleich Ausschnitte aus der Köthener Trauermusik von Johann Sebastian Bach, einer Trauerkantate für Fürst Leopold von Anhalt-Köthen. Am 19. November 1728 war er im Alter von nur 33 Jahren gestorben. Die endgültige Beisetzung und der Gedenkgottesdienst fanden jedoch erst im März des folgenden Jahres statt. Manche meinen ja, Bach hätte in Köthen als Hofkapellmeister dieses Verstorbenen seine schönste Zeit gehabt. Nun, der Fürst hatte etwas übrig für Musik, im wahrsten Sinne des Wortes, er hatte die Hofkapelle gegründet und saß wohl nicht selten unter den Violinen im Orchester. Auch stand er Pate bei Bachs früh verstorbenen Sohn Leopold - und nach allem, was wir an wenigem wissen, waren die beiden freundschaftlich miteinander verbunden.

Vielleicht erklärt Letzteres die Tatsache, dass Bach zu Ehren Leopolds eine gut 1-1/2 stündige Trauermusik komponiert hat, in der sich musikalisch mit das größte und tiefste findet, was Bach geschrieben hat. Alle Stücke, die wir gleich hören, hat er in der h-moll-Messe und vor allem in der Matthäuspassion ebenfalls verarbeitet, es wird uns alles bekannt vorkommen.

Befremden mag uns dabei vielleicht die Art und Weise, wie dem Verstorbenen gehuldigt wird. Wenn man sich den Text anschaut, begegnet einem nicht nur barocke Bilderpracht, sondern auch ein heute so nicht mehr denkbare geradezu kindliche Beziehung zur Obrigkeit. Da wird die Liebe zu den erblassten Fürsten-Gliedern besungen und die Hoffnung ausgedrückt, dass sie imstande sind, unser Leid in Trauer zu verwandeln, fast wie Reliquien von Heiligen werden sie hier verehrt. Noch einmal wird im Schlusschor ein Blick auf die Leiche erhascht, noch ein letzter Gruß wird entboten, eine letzte Gute Nacht der liebenden Untertanen.

Heute sieht es anders aus auf Staatsbegräbnissen. Dennoch wird auch in dieser Trauermusik eines deutlich: Der Fürst mag von Gottes Gnaden sein - aber er ist nicht Gott. Er ist Mensch, er ist fehlbar wie alle anderen und alles andere als unsterblich, auch wenn sein Ruhm als solcher am Ende besungen wird. Denn über den heute ausgewählten Passagen steht ein Wort aus dem 68. Psalm: „Wir haben einen Gott, der da hilft, und einen Herrn der vom Tod errettet". In dieser Haltung und Hoffnung wird jedes christliche Begräbnis gefeiert damals wie heute. Wir haben einen Gott, der da hilft, und einen Herrn, der vom Tode errettet.

In der morgen beginnenden Karwoche werden wir uns vor Augen, Ohren und Herzen führen, was das für uns heißt und auch der eben gehörte Text aus dem Philipperbrief wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Dieser Text ist eigentlich ein Lied, ein urchristlicher Hymnus, den Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi überliefert. Darin kommt in äußert verdichteter Form und Sprache alles vor, was der christliche Kalender von Karfreitag bis Himmelfahrt verzeichnet: Der Weg Jesu, der hinab führt in die Tiefe menschlichen Abgrunds und Elends bis zu seiner Herrschaft über den ganzen Kosmos.

Genau in der Mitte findet sich ein Einschub, der bewusst das Metrum des Textes sprengt: Ja, Jesus ist wirklich bis zum Tode am Kreuz gegangen. Was da gesagt wird, sprengt alles bisher Denkbare. Was bisher als streng getrenntes Gegenüber galt, kommt jetzt zusammen: Der ewige, allmächtige Gott und die Ebene menschlichen Leids und Elends bis hin zum Tode. Schon immer habt man Anstoß genommen am Kreuzestod Jesu. Wie ein Verbrecher zu sterben, ist für viele der Beleg: Da ist ein Hochstapler zu Tode gekommen. Andere meinen: Wie kann man eine solche grausame Darstellung eines gequälten Menschen in den Kirchen haben - oder gar im säkularen öffentlichen Raum? In einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung, der sich vor einiger Zeit auf das Kruzifix-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezog, wurde nicht ohne Empörung darauf hingewiesen, dass die plastische Darstellung eines Foltermordes Kinder immer zu aktiven Vergeltungsgedanken und zum aktiven Hass auf die Täter anregen könnte.

Allerdings: Sich das in aller Schärfe zumuten zu lassen, macht doch erst deutlich, worum es geht. Dass der Tod Jesu am Kreuz das alte Metrum dieser Welt grundlegend verändert hat. Denn hier vollendet sich, was Gottes Weg zu den Menschen ausmacht. Die Bewegung nach unten, zur Erde, die in den Evangelien nachgezeichnet ist: hin zu den Hirten, hin zu den Verzweifelten und Ausgestoßenen, zu denen, die blind sind, sich nicht aufrichten können, abgeschrieben waren. In der Karwoche zeichnen wir diesen Weg nach. Gott selbst begibt sich hier auf einen Weg in die Erniedrigung, in Gefangennahme, Geißelung und Verspottung, zwischen zwei Verbrecher am Kreuz. Der Mensch, der sich ganz unten fühlt, einsam und allein, kann ihn an seiner Seite finden. Der Mensch, den das Leben an Leib und Seele verletzt hat. Mit dieser Art am Kreuz zu sterben hat Gott sich ein für alle Male und bis in die allerletzte Konsequenz hinein bekannt: Auch hier bin ich zu finden. An den Orten und Situationen, wo viele von uns in ihrem Leben schon gestanden haben mögen und gedacht haben: tiefer kann es jetzt nicht mehr gehen. Das ist der Ort Christi.

Und deshalb auch das Kreuz in seiner ganzen schockierenden Form, weil dieser Ort auch das umfasst, was menschliche Grausamkeit und Gewalt anzurichten vermögen. Und schauen wir in die Zeitung oder sehen die Nachrichten: Es sprengt immer wieder von Neuem die Grenze unseres Vorstellungsvermögens, was sich an Orten wie Afrin und Ost-Ghuta und anderswo abspielt und die Welt ratlos dabei zuguckt wie die Leute unter dem Kreuz Jesu. Sein Kreuz steht auch für unser Kreuz. Es gibt den persönlichen Karfreitag in jedem Leben, ob arm, reich, unten, oben, ob Untertan oder Fürst, um es mit der Sprache der Bach-Zeit zu sagen. Der Philipperhymnus will uns darauf hinweisen: Es ist der König der Welt, der sich hineingibt in unseren persönlichen Karfreitag, in all unsere Geschichten von Traurigkeit und Leid. Da, wo es keine Hoffnung mehr gibt, hält er mit uns aus. Es geht dann auch den Weg nach oben im Philipper-Hymnus, er erzählt auch vom Herrn, der vom Tod errettet. Aber das ist das Thema von Ostern, noch nicht das der Karwoche. Es ist das Thema der Matthäuspassion, deren musikalischen Vorläufer wir jetzt in Auszügen hören wollen.

Gebet
Gott, unser Vater, wir danken Dir für Deine Begleitung durch diese Woche. Wir danken Dir für allen Trost und für alle Hoffnung, die uns Dein Wort gegeben hat. Wir danken Dir für alle Kraft und Ermutigung in den Momenten, wo wir uns schwach und hilflos gefühlt haben. Steh uns auch weiter bei und lass uns begreifen, dass Du auch in den schweren Momenten in Christus an unserer Seite stehst. Wir bitten Dich für alle, die diese Vergewisserung vielleicht noch nötiger als wir selbst: für die, deren Leben aus den Fugen geraten ist durch Unglück, Flucht und Not: steh Du Ihnen bei und lass sie Trost finden, der trägt. Im Namen Jesu bitten wir mit seinen Worten; Vaterunser...

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org