Motettenansprache
- 24.09.2022
- Prof. Dr. Andreas Schüle
Liebe Gemeinde,
„Was Gott tut, das ist wohlgetan“ – diese Kantate wird heute erklingen. Bach hat sie im zweiten Jahr seiner Tätigkeit als Thomaskantor komponiert und zwar für den 15. Sonntag nach Trinitatis, also genau den Sonntag, den wir morgen feiern.
Man könnte diese Kantate hören und sie als Ausdruck einer konventionellen barocken Frömmigkeit abheften. „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ – man muss schon eine ziemlich robuste oder, sagen wir’s ruhig, naive Frömmigkeit sein Eigen nennen, um so einen Satz zu sagen, geschweige denn über eine Kantate zu schreiben. Es gibt viele Menschen auf der Welt, die das sicher nicht unterschreiben würden. Eher im Gegenteil, man hätte die besseren Argumente auf seiner Seite für die Behauptung, dass das, was Gott tut, auch gründlich schiefgehen kann – wenn Gott überhaupt etwas tut. Ich stelle mir gerade vor, man würde diese Kantate als Hintergrundmusik zu einer Nachrichtensendung laufen lassen. Ich glaube nicht, dass man das lange ertragen könnte. Entweder müsste man die Musik oder die Nachrichten abschalten.
Aber Bach lässt keinen Zweifel und setzt seinen Kantatentitel von Anfang an mit den hellsten Farben in Szene. Zunächst klingt das gar nicht nach einer klassischen Kantate, sondern nach einem italienischen Concerto. Der Eingangschor verströmt eine Heiterkeit und Zuversicht, die wenig Platz für düstere Gedanken lässt. Da wird um die Wette gefiedelt und geflötet, und erst dann folgen in traditioneller Motetten-Manier die Choralzeiten in schönen langen Noten und reinsten Dur-Klängen.
„Was Gott tut, das ist wohl getan“ – diesen Satz muss man sich erst einmal trauen, und nicht jedem würde man einen solchen Satz abnehmen. Nun waren Bach und der unbekannte Dichter des Kantatentextes wohl alles andere als naive Menschen. Wer Bachs Biographie so ein wenig kennt, weiß, dass das Leben ihn selten in Ruhe gelassen, sondern ihn kalt und hart angefasst hat – aber genau dagegen hat er Zeit seines Lebens anmusiziert. Was wir da hören, ist nicht einfach schön, sondern der Protest des Glaubens gegen die Faktizität des Schrecklichen in der Welt und gegen die Unheilspropheten damals wie heute, die darauf warten, dass nun alles zu Bruch und in Rauch aufgeht. Manchmal scheint es ja so, als wollten Menschen beweisen, dass es keinen Gott gibt, indem sie auf die Hölle auf Erden warten.
Jemand, der das, was Bach zum Ausdruck bringt, sehr nahe an unsere Gegenwart heranrückte, war der Schweizer Theologe Karl Barth. Er lebte von 1886 bis 1968 und gilt als der Kirchenvater des 20. Jh.s. Es waren der Zusammenbruch des alten Europas, zwei Weltkriege und dann der kalte Krieg, die ihn zum Theologen machten. Ein paar Tage vor seinem Tod und geradezu als Testament sagte er Folgendes:
„Ja, die Welt ist dunkel. .... Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her!
Was ich an diesen Sätzen so erstaunlich finde, ist, dass sie genauso heute und hier hätten gesagt werden können. Man müsste nicht einmal die Namen auswechseln. Auf eine ironische Weise sind diese Sätze sogar beruhigend. Heute sagen viele, dass wir in Zeiten ungekannter Krisen leben, die nicht mehr einzeln und nacheinander, sondern immer schneller und chaotisch überlappend über uns hereinbrechend. Jemand wie Barth und wohl die meisten Menschen seiner Generation würden dem wohl vehement widersprechen.
„Es wird regiert“, sagt Barth, „Was Gott tut, das ist wohlgetan“, so klingt es bei Bach. Und beide haben je auf ihre Weise verstanden, dass man sich solche Sätze gerade dann zutrauen muss, wenn sie einem schwer fallen, wenn sie wehtun und auf Unverständnis stoßen. So wie eben auch in unserer Zeit, wo nicht besonders viel auf eine göttliche Weltlenkung hinzudeuten scheint. Niemand von uns hätte es sich ausgesucht, zwischen einer Pandemie, einem Krieg, der seine Schatten immer mehr über die Welt legt, und einer allgemeinen Wirtschafts- und Energiekrise zu leben. Aber das sind Zeiten, wo man sich darüber klar werden muss, woran man glaubt und woran nicht, was man denn nun will mit seinem Leben und welche Überwucherungen einer Spaß– und Konsumgesellschaft auch mal den Gang alles Irdischen gehen dürfen.
Aber Bach weiß auch, dass ein Satz wie „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ einem die Erfahrung von Angst und realer Not nicht einfach wegnimmt. Auch der stärkste Glaube lebt in dauernder Anfechtung. Und auch das kommt in unserer Kantate auf ganz subtile Weise zum Klingen. Durchweg setzt Bach Flöte und Oboe als Soloinstrumente ein. Die Flöte mit ihrem hellen und luftigen Klang ist das heitere Instrument, die das Leben in seiner Zartheit und Leichtigkeit umspielt. Die Oboe mit ihrem langsameren und schwereren Ton steht für Trauer und Melancholie. Bei Bach spielen beide miteinander und ineinander, so wie das im realen Leben eben meistens ist. Sie bewegen sich zusammen in Höhen und Tiefen.
In dem Duett „Wenn des Kreuzes Bitterkeiten“ kommt die Kantate dann auf ihrem Tiefpunkt an. Da sind wir auf einmal ganz weit weg vom triumphalen Gestus des Eingangschors. Das ist nun Passionsmusik – jeder Ton ein Tropfen Trauer; Oboe, Flöte, Sopran und Alt umkreisen das Kreuz Christi und vielleicht auch die vielen anderen Kreuze, die Menschen heute zu tragen haben, weil ihnen die Existenzgrundlage wegbricht, weil die Gesundheit auf der Kippe steht oder weil sich das Leben insgesamt anfühlt wie ein Waten im Morast und ein Stochern im Nebel. Das nimmt Bach so ernst, wie man es nur ernstnehmen kann. Und mehr als jedes Wort kann Musik die ganze Trauer, das ganze Leid eines Lebens so ausdrücken, wie sich das wirklich anfühlt.
Und doch lässt Bach nicht locker. Es darf nicht bei des „Kreuzes Bitterkeiten“ bleiben, weil sonst jeder Glaube mürbe wird und sich alle Hoffnung in Zynismus verwandelt. Und so setzt Bach ganz an den Schluss und als schlichten Choral die Melodie, die schon am Anfang zu hören war, nun aber mit dem Text der letzten Strophe:
Was Gott tut, das ist wohlgetan, dabei will ich verbleiben./ Es mag mich auf die rauhe Bahn, Not, Tod und Elend treiben, / so wird Gott mich ganz väterlich in seinen Armen halten/ Drum lass ich ihn nur walten.
Eine letzte Beobachtung: Wenn man darauf achtet, wie diese Kantate Gott mit Bildern versieht, dann spielen dabei die Hände und die Arme Gottes eine besondere Rolle. Das erste Rezitativ handelt von den „Allmachtshänden Gottes“. Ein enormes Bild, das in der kirchlichen Musik etwa ein Jahrhundert vor Bach zum ersten Mal begegnet und dann immer wieder aufgegriffen wird. Die Hände, die mein kleines Leben führen, sind dieselben, die am Anfang ein ganzes Universum geschaffen haben. Aber so großartig dieses Bild sein mag und so sehr der Glaube daran hängt, ist es doch auch eine Nummer zu groß – meistens jedenfalls. In solchen Dimensionen sind wir nicht zu Hause. Und da zeigt sich Bach, der Seelsorger, der dieses Bild dann eben doch nach Hause bringt. Da verschränken sich diese Allmächtshände zu etwas, das Geborgenheit gibt, und vielleicht ist es ja das, was wir in diesen seltsamen Zeiten vor allem brauchen und was wir uns einander nicht immer so geben, wie es Not täte: „So wird Gott mich, ganz väterlich in seinen Armen halten. Drum lass ich ihn nur walten.“
Amen.