Motettenansprache

  • 16.03.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache am Freitag, 16.03.2018, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

„Gott ist unbegreiflich. Da lässt er den klügsten Menschen auf der Erde sterben und den dümmsten eine Großmacht regieren.“

Diesen Kommentar fand ich in den letzten Tagen auf einer Seite im sozialen Netzwerk „Facebook“. Der Nutzer reagierte auf den Tod von Stephen Hawking, der bis zu seinem Ableben am 14. März sicherlich zurecht als klügster Mensch bezeichnet werden durfte. Er selbst hat solche Kategorisierungen stets vermieden und bezeichnete Intelligenz eher als die Fähigkeit zur Wandlung und Anpassung als dass man sie in Zahlen messen könnte. Mit seinen Theorien von der Entstehung des Weltalls, von schwarzen Löchern oder seine Ausführungen über das Licht faszinierte er nicht nur Wissenschaftler. Stephen Hawking vermochte es, schwierige astro-physikalische Sachverhalte auch populärwissenschaftlich zu formulieren und begeisterte damit Millionen von Menschen. Selber war er stets ein Suchender. Sich seines eigenen Nichtwissens bewusst, formulierte er: „Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein.“ Selbiger erlag er nicht, trotz seiner großartigen Leistungen. Hawking war und blieb ein neugierig Suchender. Sein letzter Gruß an die Menschheit ist gleichzeitig ein Vermächtnis, sich nicht einlullen zu lassen von denjenigen, die immer alles vorgeben wollen oder meinen, sie wüssten schon, was gut für andere Menschen ist. „Bleiben Sie neugierig!“ ruft uns Stephen Hawking kurz vor Antritt seiner letzten Zeitreise zu.

Neben den wissenschaftlichen Leistungen dieses Genies beeindruckt mindestens gleichermaßen sein Umgang mit Krankheit und körperlichen Verfall. Einer unheilbaren Krankheit war sein Leben unterworfen mit verheerenden Prognosen über seine Lebensdauer. Doch mit dem ihm eigenen Humor kommentierte er sein Leiden 2011 so:

„Seit nunmehr 49 Jahren lebe ich mit der Aussicht auf einen frühen Tod. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Aber mit dem Sterben habe ich auch keine Eile.“ (2011)

Vom Tod umfangen, mitten im Leben – Stephan Hawking musste lernen, so sein eigenes Leben zu gestalten. Er konnte sein Leid annehmen, hat sich darin nicht vergraben. Vermehr versuchte er, die ihm auf den Weg gegebenen Fähigkeit für alle Menschen zu nutzen. Selbst als es ihm mit fortschreitender Krankheit die Sprache verschlug, fand er Möglichkeiten, seine Gedanken zu äußern und aufzuschreiben zu lassen.

Auf dem Passionsweg mit Ziel Karfreitag und der Hoffnung, die uns von Ostern her leuchtet, werden wir damit konfrontiert, über Leiden nachzudenken. Die Musikstücke in dieser Motette fragen zum Beispiel mit Hiob nach der Ambivalenz von Gutem und Bösen, das Menschen empfangen. Wie damit umgehen? Was tun, wenn ein Leidensweg bevorsteht und Angst statt Freude den Raum einnimmt, in dem ich mich bewege? Wohin fliehen, wenn doch alles aussichtslos erscheint, weil eine Tod bringende Diagnose alles verändert? Jesus Christus ist betrübt, weil ihn seine Freunde in der Stunde der Not nicht beistehen können. Er schreit seine Gottverlassenheit am Kreuz heraus.

Passion und Ostern lehren uns: Der Leidensweg ist nicht das Ende, sondern Bestandteil unserer menschlichen Existenz.

Für alle Leidenden, für alle Sinnlosigkeit, die wir mit Krankheit und körperlichen Gebrechen in Verbindung bringen, gibt uns das Beispiel Jesu Christi Antwort. Er ist Mitleidender, wie in Anton Bruckners „christus factus est“ zu hören sein wird. Sein Mitleid erlöst uns von unseren Leiderfahrungen, die eben keine Erfahrungen für die Ewigkeit, sondern nur vorläufig sind.

Wer, wie Stephen Hawking gesagt bekommt, dass der Tod nahe ist und dann erlebt, dass sich Prognosen nicht bewahrheiten, hat die große Chance diesbezüglich ein gutes Stück angstfreier seine Existenz zu betrachten. Da werden Tage, Wochen und Monate zum großen Geschenk. Durch die ungebrochene Lebensbejahung mitten im eigenen körperlichen Leid, wird uns vor Augen geführt, wie bedeutsam Menschenwürde ist.

Es braucht nicht den perfekten Körper, um wertvoll für die Menschheit zu sein. Ebenso wenig braucht es den großen Intellekt, um für meine Mitmenschen liebenswürdig zu sein.

Die menschliche Würde begründet sich allein in unserer Existenz. Und immer dort, wo genau das zur Disposition gestellt wird, ist Einspruch notwendig. Daran mögen Leben und Sterben Jesu Christi erinnern. Als Mitleidender wurde er zum Tröster.

Am Schluss noch einmal Stephen Hawking: „Das Leben wäre tragisch, wenn es nicht lustig wäre.“

Christlich übersetzt klingt das in etwa so: „Weicht, ihr Trauergeister, · denn mein Freudenmeister, · Jesus, tritt herein. Denen, die Gott lieben, · muß auch ihr Betrüben · lauter Freude sein. Duld ich schon · hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, · Jesu, meine Freude.“ Amen.

Gebet

Barmherziger Vater,

wir vertrauen Dir an, was uns am Ende der Woche auf der Seele liegt. Nimm es von uns, damit wir daran nicht zugrunde gehen. Lass uns bedenken, wie wichtig es ist, dem Leid nicht teilnahmslos zu begegnen. Hilf uns zu erkennen, dass du die Begegnung mit uns suchst in den Menschen, die unsere Lebenswege kreuzen. Auf das Kreuz deines Sohnes Jesus Christus vertrauend, rufen wir zu Dir:

Vater unser im Himmel….

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)