Motettenansprache
- 11.10.2025
- Prof. Dr. Beate Kowalski
PDF zur Motettenasnprache HIER
Musik:
- Felix Mendelssohn Bartholdy: Jauchzet dem Herrn alle Welt (Psalm 100:1-5)
- Isabella Leonarda: Magnificat
- Johann Sebastian Bach: F-Dur Messe
Vorgesehener Predigttext: Jos 2,1-21; Evangelium: Mt 15,21-28 (17. Sonntag nach Trinitatis)
Magnificat
Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan,
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währet für und für
bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern,
Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.
Liebe Gemeinde,
„Wir brauchen die Musik, um die Welt aushalten zu können.“ Wie wahr ist dieser Satz von Martin Schleske, dem großen Geigenbauer. Die Musik hilft uns, mit inneren Ohren zu hören, um Gottes erschütternde Gegenwart erspüren zu können. Noch mehr brauchen wir Gottes Wort, um die Welt aushalten zu können. Ohne Gott erleben wir nur Ohnmacht und Scheitern. Die Bibel gibt uns die Worte, um die wir im Inneren ringen. In Bibel und Musik erklingt die Stimme Gottes, die in uns etwas zum Schwingen bringen will.
Großartige Musik und biblische Texte kommen zum Klingen in diesem Motettengottesdienst. Meine Impulse wollen nicht Zusätzliches bieten, sondern drei rote Fäden sichtbar machen, die sich durch den Gottesdienst ziehen:
Der erste rote Faden sind die starken Frauen, die uns begegnet sind, die ihren Glauben mutig gelebt und verkündet haben. Der Name Isabella Leonarda geht beinahe unter angesichts der klangvollen Namen der Komponisten Bach und Mendelssohn. Isabella war eine ungewöhnlich selbständige und begabte Ordensfrau, eine Ursulinin in Novara (1620-1704). Ihre starke Gefühlswelt drückt sie in ihrer Musik aus, die sie selbst verlegt. Sie hat das eben erklungene Magnificat vertont – auch das ist ein Lied, das Lk einer Frau zuschreibt, die in der damaligen großen Welt des römischen Reiches keine Rolle spielte bis Gott sie aus ihrem Schattendasein befreit und sie zu etwas Großem beruft. Sie wird Mutter unseres Erretters und Erlösers. Rahab ist die dritte Frau, von der wir morgen im Predigttext hören werden. Sie ist es, die den Israeliten den Einzug in das gelobte Land ermöglicht und die sich zum Gott Israels bekehrt und bekennt.
Allen drei Frauen ist gemeinsam, dass sie durch den Ruf Gottes aus der Rolle der Niedrigen herausgehoben werden, um Gottes Stimme zum Klingen zu bringen. Frauen begegnen in der Heilsgeschichte Gottes immer in den Momenten, wenn seine Verheißungen gefährdet sind und wenn es fünf vor Zwölf ist. Durch ihre Ohnmacht wirkt Gottes Macht. Sie werden aus dem Schattendasein herausgerufen und in das Licht der Öffentlichkeit gestellt. Niemand kannte sie, niemand hat sie zuvor gesehen oder gehört. Es scheint zur Logik Gottes zu gehören, dass er sich nicht die Mächtigen auserwählt, um sein Werk zu vollbringen. Ihm scheinen die kleinen, bescheidenen und ehrlichen Menschen lieber, die nicht mit Ellbogen durch die Welt gehen, sondern ihren Mitmenschen Raum geben, um sich entfalten zu können. Frauen, die ihre Stärke von Gott empfangen und keine einstudierte Rolle spielen. Aus der Kraft der Musik und der Ausdruckskraft der biblischen Texte können wir erahnen, dass diese Frauen beeindruckt haben, weil sie aus der Gottesgegenwärtigkeit gelebt haben. Wer so lebt, kann nur jubeln und Gott loben!
Damit sind wir schon beim zweiten roten Faden: Jubel und Lobpreis Gottes. Die großartige Vertonung des Jubelpsalms 100 ist uns in der Fassung von Mendelssohn-Bartholdy noch im Ohr. „Jauchzet dem Herrn, alle Welt! Dienet ihm mit Freuden!“ Gott ist freundlich – so schlicht ist die Begründung des Beters für seinen Jubel. Freundlichkeit ist keine Schwäche. Vielmehr baut sie Brücken zum Gegenüber, ist Ausdruck von Liebenswürdigkeit und Wertschätzung. Freundlichkeit ist wohltuend für Leib und Seele in einer immer rauer werdenden Welt.
Auch das Magnificat ist ein Loblied auf Gottes Großtaten. „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.“ Denn Gott handelt. Er ist ein parteiischer, leidenschaftlicher Gott, der sich auf die Seite derer stellt, die niedrig und hungrig sind. Er ist bei denen, die durch die Mächtigen in dieser Welt an die Seite gedrängt und klein gemacht werden. Maria erlebt einen Gott, der das Unrecht nicht zulässt, sondern eingreift, wenn man ihn anruft. Sie glaubt an einen Gott, der das erste und letzte Wort hat.
Wir sind schon beim dritten roten Faden dieser Motette angelangt. Gottes Macht wirkt in den Ohnmächtigen. Er sucht sich Menschen aus, die mehr auf ihn als auf ihre eigenen, begrenzten Kräfte vertrauen. Durch sie hindurch schafft er Neues: großartige Musikstücke und biblische Texte mit Sprengkraft. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und beendet autoritäres Gehabe – ohne Vorwarnung. Er zerstört Hochmut und Arroganz, Machtmissbrauch und Unterdrückung. Er steht an der Seite der Armen und Marginalisierten. Denken Sie an die friedlichen Montagsdemonstrationen hier in Leipzig mit unzähligen betenden Menschen. Die Kraft, die Gott durch das Gebet bewirkt, hat sich 1989 nicht erschöpft! An vielen Orten dieser Welt müsste sich wiederholen, was hier an diesem Hoffnungsort passiert ist.
Denn die Welt, die täglichen Nachrichten, sind kaum mehr auszuhalten. Wir brauchen die Musik, wir brauchen Gottes Wort und wir brauchen das Gebet von Menschen, die auf Gott vertrauen, um diese Welt aushalten und verändern zu können.
„Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus." – Amen.
Gebet
Barmherziger Gott,
sei hier zugegen mit Deiner Nähe
sei hier zugegen mit Deiner Hilfe
sei hier zugegen mit Deinem Zuspruch.
Zeig Dich den Zweifelnden und Suchenden,
gib ein Zeichen Deiner Gegenwart in jeder Not,
sei den Unterdrückten und Marginalisierten eine sichere Burg.
Öffne unsere Augen, damit wir Dich sehen,
öffne unsere Ohren für Deine Stimme,
öffne unseren Mund für die Verkündigung Deines Wortes.
Befreie unsere Welt von Unrecht, Hass und Krieg
und schaffe Frieden ewiglich. Amen.
Vaterunser
Und so lasset uns gemeinsam beten, wie uns unser Herr Jesus Christus zu beten gelehrt hat:
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Trinitarischer Segen
Der HERR segne und behüte Euch; er lasse sein Angesicht über Euch leuchten und sei Euch gnädig; der HERR schenke Euch und der ganzen Welt seinen Frieden.
Und so segne Euch der dreieinige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.