Motettenansprache

  • 01.12.2017
  • Pfarrerin Taddiken

Liebe Gemeinde,
heute Vormittag ist die neue Universitätskirche St. Pauli am Augustusplatz feierlich eröffnet worden. Universitäre Veranstaltungen und Feiern, eine reichhaltige Universitätsmusik und die Gottesdienste der Universitätsgemeinde haben einen wunderbaren gemeinsamen Raum bekommen. Einen Raum des Lebens zum Diskutieren, Feiern, zum niveauvollen Streiten und Ringen um Wahrheit und Verständigung. Einen Raum für das musikalische und gesprochene Lob Gottes. Viele, die die alte Kirche kannten oder auch ihre Sprengung miterlebt hatten, waren sehr bewegt. Und auch mir ginge es so als Universitätsorganist Daniel Beilschmidt Bachs C-Dur Toccata genau ab der Note weitergespielt hat, wo 1968 Kurt Grahl abbrechen musste, weil man ihn der Kirche verwies. So wurde dieser Lobgesang zur Ehre Gottes vollendet, aller menschlichen Bosheit und Abgründigkeit zum Trotz. Und auch die Botschaft des dort wieder aufgestellten Paulineraltars entspricht dem: Hier stehe ich - nach fast 50 Jahren - wieder. Das, was vergessen gemacht werden sollte durch Zerstörung und Abbruch - es ist wieder da, es klingt weiter, es spricht weiter. Wiederaufgerichtet wird es Menschen trösten und auch sie wieder aufrichten.

Es war ein bisschen wie das Wort des Propheten Jesaja, das wir eben in der Motette von Colin Mawby gehört haben: Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Das ist ein Wort an Menschen, die die Zerstörung ihrer heiligen Stadt Jerusalem erlebt hatten und lange Jahre im Exil in Babylon verbringen mussten. Ihnen wird eine Perspektive für die Zukunft eröffnet und zwar sehr realistisch. Es wird nicht gesagt, es wird schon alles wieder gut oder es wird schon werden, sondern es wird benannt und ernstgenommen, als was viele ihr Leben empfunden haben dürften: als unwirtliche Wüste, äußerlich wie innerlich getroffen von einem unfreiwilligen Leben in der Fremde. Noch mitten in all dem, was augenscheinlich mit einem Leben in Freiheit und Wohlstand noch nichts zu tun hat, wird ihnen gesagt: Hier und jetzt beginnt Neues. Hier und jetzt beginnt Euer Trost. Hier und jetzt ist Gott schon auf dem Weg zu Euch, schon in dem, was Ihr in Eurem Leben als Wüste, Steppe, trockenes Land empfinden mögt.

Und da spricht Jesaja nicht nur zu den Menschen, die viele Jahrhunderte gelebt haben, sondern auch zu uns. Spricht in unsere Lebenswirklichkeit hinein, in der es so viel Unebenheiten, so viel Kaputtes und Vertrocknetes gibt, wo jeder seine Wüsten oder gar verwüsteten Teile in seiner Lebensgeschichte kennt und damit zu kämpfen hat. Und dazu kommt das, was uns verunsichert und beunruhigt fragen lässt, was sich in unserer Gesellschaft gerade verändert, wo wir schleichende Prozesse beobachten können bis hin zur Verwüstung und Verrohung im Bereich Kommunikation, der Lust am Tabubruch und am bewussten Zuweitgehen unter Pseudonym in den sog. Sozialen Netzwerken oder zunehmend auch ganz offen. Der Inhaber eines der größten Bestattungsinstitute in Leipzig hat mir erzählt, dass ihm wohl aufgrund seiner schwarzen Haare und dunklen Haut neulich an der Tankstelle ein Mann zugerufen hat: „Ey, Du Dönerfresse, Du weißt wohl nicht, wie man bei uns parkt?" In was für einer inneren Wüste leben eigentlich einige, dass sie das für salonfähig halten - und was macht das mit Menschen, die solch einem Gebahren ausgeliefert sind?

Hier sind wir gefragt, Schneisen zu schlagen in solche Formen sozialer Verwüstungen, und ihnen auf gerader Bahn entgegenzutreten. Bereitet dem Herrn den Weg, denn er kommt als Mensch zu uns, damit ein für alle Mal die Würde des Menschen, jedes Menschen ins Licht kommt. Auch davon haben wir heute Abend schon gehört: „Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts".

Mitten in der Wüste gilt es, dem Herrn den Weg zu bereiten. Gott ist König, nicht unsere Verzweiflung ist König, nicht unsere Ängste. All das, was so auftritt dass es unser Leben ganz und gar beanspruchen will, wird sich nicht halten. Niedriges wird nicht niedrig bleiben, Hohes nicht hoch, wo Gott sich den Weg durch unser Leben bahnt, auch mitten durch unsere Lebenswüsten hindurch. Auch gegen den Augenschein zu hoffen, dass Gott sich einen Weg durch mein Leben bahnen wird, das bedeutet Leben im Advent. Mit der Ankunft Gottes bei mir, jetzt und hier und gerade auch in den wüstenähnlichen Verhältnissen meines Innenlebens zu rechnen und darauf zu hoffen, es kommt etwas Neues, vielleicht etwas ganz Neues auch in meinem Leben. Was daniederliegt kann wieder aufgebaut werden oder neu werden. Den Menschen seiner Zeit und allen Zeiten das zu sagen, war das Anliegen Jesajas. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org