Motettenansprache
- 24.11.2017
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache am 24.11.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr
Liebe Motettengemeinde,
am Ende des Kirchenjahres kreisen die Gedanken um Themen wie Vergänglichkeit und Tod. Damit verbunden ist auch die Frage, was bleibt eigentlich vom Leben, was gibt ihm Sinn und macht es aus? Im von Carl Philipp Emanuel Bach vertonten Liedtext „Gott, deine Güte reicht so weit die Wolken gehen“ von Johann Fürchtegott Gellert werden die Sinnfragen gleichsam als Gebetsstrophen formuliert. Es lohnt sich, über dieses Lied ein wenig länger nachzudenken.
In der ersten Strophe wird Psalm 36 zitiert, verknüpft mit Psalm 18 und dessen Bildern von Gott als Burg und Felsen. Wir dürfen Gott anrufen als Beistand, der unsere Gebete erhört. Das ist ein wesentliches Merkmal unseres christlichen Glaubens, dass wir einen Gott haben, dem wir nicht gleichgültig sind, zu dem es über Gebet und Gespräch eine Beziehung gibt.
Gott, Deine Güte reicht so weit
die Wolken gehen;
Du krönst uns mit Barmherzigkeit
und eilst, uns beizustehen.
Herr, meine Burg, mein Fels, mein Hort,
vernimm mein Flehn, merk auf mein Wort!
Denn ich will vor Dir beten.
Es folgen drei mit Bitten gefüllte Strophen, deren Aktualität kaum größer sein könnte, wenn es heißt:
Ich bitte nicht um Überfluss
und Schätze dieser Erden.
Lass mir so viel ich haben muss,
nach Deiner Gnade werden.
Gib mir nur Weisheit, und Verstand,
Dich Gott, und den, den Du gesandt,
und mich selbst zu erkennen,
Ein gesellschaftliches Problem unserer Zeit wird in zunehmenden Maße die Maßlosigkeit. Menschen verlieren die Orientierung, weil es ein Überangebot an Dingen gibt, die mir eingeredet werden, nützlich zu sein. Nun mag Konsum eine gewisse Lust erzeugen und sicherlich auch zum Wohlbefinden beitragen. Das Getriebensein jedoch, nach Prozenten und Rabatten hinterherjagen zu müssen, weil sonst etwas verpasst wird, zerreibt den Zeitgenossen. Angefeuert vom amerikanischen Black Friday, dem heutigen Tag, an dem möglichst das Weihnachtsgeschäft schon erledigt sein soll, beginnen die hektischen Konsumwochen.
Da ist es wohltuend, wenn für morgen zum so genannten Kauf-Nix-Tag aufgerufen wird, um im wahrsten Sinne des Wortes zu Besinnung zu kommen, was ich eigentlich zum Leben brauche. „Lass mir so viel ich haben muss.“ Das sollte und kann genügen, weil Weisheit und Verstand, die es vermögen, die wahren und wichtigen Dinge im Leben zu erkennen, letztlich viel wichtiger sind. Dazu zählen Gotteserkenntnis in Jesu Christus als Schenker und Bewahrer meines eigenen Lebens sowie die Selbsterkenntnis, dessen, was ich eigentlich wirklich bin – ein Konsument und somit immer auch Spielball oder Getriebener anderer Kräfte oder ein mit Freiheit beschenktes Individuum, das sein Leben selbst bestimmen kann. Selbstbestimmung heißt dann gelegentlich auch Verweigerung.
In der nächsten Strophe beschäftigen sich die Bitten mit dem, was nicht kaufbar ist, für manchen aber zum zentralen Punkt seines Lebens wird – die Frage: Wie stehe ich vor anderen da? Ruhm und Ehre können Mitmenschen rühren oder beeindrucken, ja sogar als Vorbild dienen. Dass dabei viel Blendwerk zugegen ist, davon berichten Nachrichten oder eigene, manchmal sehr schmerzliche Lebenserfahrungen. Frommer Freunde Liebe ist viel wichtiger als das Ansehen derer, die sich in Notzeiten doch nur abwenden würden, weil auf den schönen Glanz ein Schatten gefallen ist. Wo aber Selbsterkenntnis Früchte trägt, da wird das, was andere über mich denken nicht mehr so elementar wichtig, weil Selbsterkenntnis auch verknüpft ist mit Selbstvertrauen.
Ich bitte nicht um Ehr und Ruhm,
so sehr sie Menschen rühren.
Des guten Namens Eigentum
lass mich nur nicht verlieren.
Mein wahrer Ruhm sei meine Pflicht,
der Ruhm, vor Deinem Angesicht
und frommer Freunde Liebe.
Ganz im protestantischen Sinne, steht die Pflicht im Mittelpunkt. Das kann nur jemand schreiben bzw. vertonen, der sich vergewissert weiß, dass sein Leben ihm geschenkt ist und er aus diesem Geschenk etwas machen darf. Die letzte Strophe, liebe Motettengemeinde spricht mir selber aus dem Herzen, verbindet sie doch das Kirchenjahresthema mit den drängenden Fragen unserer Zeit:
So bitt ich Dich, Herr Zebaoth,
auch nicht um langes Leben.
Im Glücke Demut, Mut in Not,
das wollest Du mir geben.
Herr, in Deiner Hand, steht meine Zeit;
Herr, laß Du mich nur Barmherzigkeit
vor Dir im Tode finden.
Wir haben die Bitte um Demut im Glück so nötig, weil genau jener Dank schnell vergessen wird. Im Jammern sind wir als Gesellschaft sehr gut. Wir können analysieren, was gerade nicht passt, sehnen uns gerne nach dem Gestern anstatt das Morgen zu gestalten zu versuchen und schieben Verantwortung mit großer Vehemenz von uns. Wer dankt denn dafür, dass wir über 70 Jahre im Frieden leben? Wer denkt daran, dass trotz Schwierigkeiten, Hunger und tiefe Armut in unserem Land kein Thema sind, weil wir versorgt werden können mit dem Nötigsten?
Und wer macht sich schon bewusst, dass wir heute Abend eben nicht vor Bomben oder vor Milizen fliehen müssen, sondern hier sitzen können, um Musik zu hören und miteinander Gottesdienst zu feiern? Hier leben zu dürfen ist ein so unbeschreibliches geschenktes Glück.
Darum ist die Bitte um Mut in Not genauso wichtig. Anstatt sich politisch in Schmollecken zu verziehen und sich wie Kindergartenkinder zu benehmen, gilt es, sich seiner Verantwortung bewusst zu werden, um mit Mut eine staatspolitische Notzeit abzuwenden.
Und was ich von Leitungsverantwortlichen im Lande einfordere, darf auch getrost für den eigenen Lebensbereich gelten. Mehr Mut in schwierigen Zeiten aus dem Vertrauen heraus, dass Gottes Barmherzigkeit immer noch größer ist als unsere menschlichen Möglichkeiten und unser menschliches Versagen hilft, ein gutes Beispiel für gelingendes Leben zu werden. An dessen Ende steht dann eben nicht die negative Bilanz einer wie auch immer gearteten Hölle, sondern Gottes liebevolle Zuwendung. Herr, in deiner Hand, steht meine Zeit.
Amen.