Motettenansprache
- 30.09.2017
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache am 30.09.2017, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr
Liebe Motettengemeinde,
Alles fing mit demokratisch gewählten Abgeordneten an, goutiert von Pfarrern und Bischöfen, die ihr Volk retten wollten.
Als im September 1930 die NSDAP zur damaligen Reichstagswahl antrat, errang sie gut 18 % der Stimmen. Zwei Jahre später bekamen sie 37 % und wieder ein Jahr später im März 1933 knapp 44%. Am Ende des selbigen Jahres war der demokratische Reichstag faktisch abgeschafft als zu abermaligen Wahlen die NSDAP alle Mandate errang. Innerhalb von wenigen Jahren veränderte sich Deutschland von einer Republik hin zur menschenverachtenden, Diktatur mit all ihren schrecklichen Folgen.
Ein junges Mädchen, Anne Frank, verlor ihr Leben, weil sie nicht in das rassistische Muster der Rechtsnationalisten passte, weil sie Jüdin war. Wir kennen Anne Frank über ihr Tagebuch, in denen sie von Träumen und Ängsten, von ihren Sehnsüchten schreibt. Aus dem eigentlich unbedeutenden Teenager wurde eine Symbolfigur gegen die Unmenschlichkeit des Völkermords. Der englische Komponist James Whitbourn widmete ihr ein Oratorium aus dem wir vorhin einen Auszug hörten. „Es ist keine Rede noch Sprache, da man nicht ihre Stimme hört.“
Totgemacht und totgeschwiegen wurden Millionen von Stimmen. Diejenigen, die das Volk retten wollten, führten es in den Abgrund. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, 1945, schrieben die Kirchen das so genannte Stuttgarter Schuldbekenntnis. Dort heißt es:
„Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Muss es so weit kommen, dass wir ein zweites Schuldbekenntnis in x-Jahren schreiben müssen?
Nein, es muss nicht dazu kommen, weil noch Zeit ist, aufzuwachen, und unsere Demokratie und Freiheit zu retten und vor allem zu schützen vor denen, die sie mit Füßen treten. Wehret den Anfängen!
Lasst uns mutig bekennen, was uns als Christen aufgetragen ist: Die frohe Botschaft von der Menschenliebe eines Gottes, der sich für uns selbst hingegeben hat in seinen Sohn Jesus Christus verkünden. Solche Verkündigung ist Aufgabe eines jeden Christen im Alltag.
Wir dürfen fröhlich glauben, dass wir behütet und begleitet werden von einem Gott, dem wir nicht egal sind. Er wertschätzt uns. In seinen Augen sind wir, ganz gleich wie es um unsere Gesundheit, unsere Leistungsfähigkeit, unseren Intellekt oder unsere Zweifel steht, wertvoll. Von ihm werden wir geliebt. Deshalb dürfen wir auch so manche innere Hürde überwinden, die uns davor abgehalten hat, im Gegenüber einen genau solchen Mitmenschen zu sehen. Ohne Anstrengung wird das nicht zu bewältigen sein, ohne Enttäuschungen übrigens auch nicht.
Deshalb: Neben dem mutigen Bekenntnis braucht es das treue Gebet mit der Bitte um Stärkung, besonders dann, wenn Ängste und Zweifel uns die Kraft zu rauben drohen. Christen brauchen nicht daran zu zweifeln, dass sie alleine gelassen werden. Wir haben einen, dem wir unser Heil zu verdanken haben – Jesus Christus. Damit ist uns eine Perspektive eröffnet, die sogar über das überschaubare Leben hinausgeht. Die an Ostern geöffnete Tür zur ewigen Gemeinschaft mit Gott eröffnet uns einen ganz neuen Spielraum. Wir müssen nicht alles hier und alleine regeln, schon gar nicht für unser Seelenheil. Das Paradies auf Erden ist eine Illusion. Wer es aus Mauern errichten will und bestimmen möchte, wer darin leben darf, wird sich am Ende in der Gottesferne wiederfinden, in Finsternis, wo Heulen und Zähneklappern herrscht.
Zur Menschenfreundlichkeit hat Jesus Christus aufgerufen und sich immer gegen diejenigen gestellt, die andere ausgrenzen wollten, weil sie schwach waren oder religiösen Ansprüchen nicht genügten oder nicht ins Schema eines wie auch immer festgelegten Lebensentwurfes passten.
Als Christen haben wir unseren Platz mitten in der Gesellschaft, nicht weltfremd, sondern inmitten der Welt als deren Licht und als Salz. Lasst uns das mit brennender Liebe tun. Amen.
Gebet nach den Worten des Stuttgarter Schuldbekenntnisses
Wir bitten zu Gott, dass durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen, dem Geist der Gewalt und der Vergeltung, der heute von neuem mächtig werden will, in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann.
So bitten in einer Zeit, da die ganze Welt einen neuen Anfang braucht: Veni, creator spiritus! Vater unser im Himmel…..
Martin Hundertmark Pfarrer an der Thomaskirche zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)