Motettenansprache
- 20.01.2017
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache am 20.01.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr
Liebe Motettengemeinde,
Zur Stunde blickt die Weltgemeinschaft gerade nach Washington. Dort wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in sein Amt eingeführt. Zum Fürchten ist dieser Umstand für viele Menschen im In- und Ausland. Anlass zur Hoffnung ist er für seine überaus zahlreichen Anhänger. Politische Ereignisse werden fast immer ambivalent bewertet. Was ist richtig? Was ist falsch? Oftmals zeigt erst die Geschichte, nicht selten auf leidvolle Weise, wer diesbezüglich ein falscher oder wahrer Prophet gewesen ist. Wenn nicht wir Deutschen mit unserer eigenen Geschichte könnten davon erzählen?
Kann ein Volk, kann eine Staatengemeinschaft aus der eigenen Geschichte Lehren ziehen oder wiederholen sich Ereignisse im Laufe der Jahrzehnte? Wer sich Anfang der Woche im Internet die Rede des Herrn Höcke angehört hat (und ich meine hier wirklich angehört und nicht nur Zitate gelesen), der könnte ins Grübeln gekommen sein. Ist das Gegenwart oder ist das eine Montage aus den 20er Jahren in München?
Für diese Rede können wir aber dankbar sein und zwar deshalb, weil die Maske fallen gelassen wurde und sich hier ein nationalsozialistisches Gesicht mit so offensichtlichen Gedanken zeigt, dass nun niemand mehr sagen kann: Wir haben es nicht gewusst. Doch, wir wissen es nun und kennen die Absichten, wenn jemand sagt: "
Bis jetzt ist unsere Geistesverfassung und Gemütszustand immer noch der eines total besiegten Volkes … Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“ Und dann fordert er „dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD“.
Gott sei Dank, haben mehrere christliche leitende Geistliche klar gemacht: Christsein lässt sich mit solchem Gedankengut nicht in Einklang bringen. Auch unser sächsischer Landesbischof macht im Interview mit dem Sonntag deutlich, dass „solche Äußerungen von Herrn Höcke den Frieden in unserer Gesellschaft subtil zu unterminieren versuchen“. Erinnerung an Schuld, der Umgang mit ihr sind elementare Bestandteile gelebten Christseins. Gerade weil wir um unsere eigene Schuldhaftigkeit wissen und sie vor Gott bringen können, ohne dafür komplett verworfen zu werden, ist die Auseinandersetzung mit ihr umso wichtiger. Alles andere wäre verantwortungslos. Wer Schuld auf sich geladen hat, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden und sich dafür verantworten. Das bedeutet aber nicht, dass der Schuldige kein Mensch mehr ist und keine Chance mehr auf Leben hat. Die Alliierten haben sich genau an diesem Maßstab orientiert als es darum ging, wie mit dem deutschen Volk nach 1945 umzugehen sei – trotz der Wannseekonferenz von vor 75 Jahren. Nun sitzt hier heute Abend wohl kaum jemand, der direkte Verantwortung für die Verbrechen der Nazizeit trägt und schon gar nicht die junge Generation heutiger Schüler.
Wir werden erst schuldig, wenn wir die Erinnerung auslöschen wollen. Unsere Aufgabe ist es, sie weiterzugeben von Generation zu Generation, damit sich unheilvolle Geschichte eben nicht wiederholt.
Die Errungenschaften von Freiheit, Glaubensvielfalt und Demokratie fallen nicht vom Himmel. Sie brauchen wachsame Menschen. Menschen, die sich dafür einsetzen. Christen kommt hier eine besondere Verantwortung zu, weil sie sich leiten lassen von den Maßstäben der Heiligen Schrift – unbequeme Wahrheiten zu verkünden wie die Propheten; den Mitmenschen zu lieben; ihm zu helfen, wenn er in Not gerät wie der barmherzige Samariter; Gott mehr zu vertrauen als den Menschen wie Noah und Abraham - um einige herauszugreifen. Dieser Weg ist wahrlich beschwerlich und ist voller Gefahren, weil die Versuchungen, dem süßen Gift des Zeitgeistes zu erliegen, überall präsent sind.
Die in Poesie gefassten Glaubensaussagen der Psalmen haben nicht ohne Grund ihre Kraft auch über viele Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart behalten. So beteten die Pilger als sie sich auf den Weg machten den vorhin gehörten Psalm 121. „Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Wir dürfen von Gott Hilfe erwarten, weil er uns das zugesagt. „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.“
Auf unserer individuellen Lebensreise wie auch auf der gesellschaftlichen Reise durch die Zeit lauern die Gefahren am Tage, sind offensichtlich wie die stechende Sonne. Sie begegnen uns in Egoismus, Sucht, in Hybris, alles alleine bewältigen zu wollen oder in der Arroganz, die sich über andere Menschen bzw. Völker erhebt. Aber auch die Nacht ist gefährlich, wenn alles im Dunkel versinkt und nur noch der Mond das Leben im Zwielicht beleuchtet oder den Schlaf raubt. Gottes Schutz und Beistand brauchen wir unser ganzes Leben lang. Wir dürfen ihn uns im Segen immer wieder neu verheißen lassen. Das jedoch wird uns niemals von eigener Verantwortung entbinden.
So wie die Pilger im festen Vertrauen durch Gott geführt zu werden, vorsichtig ihre Reise antraten, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott unseren Eingang und Ausgang segnet. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesu zum ewigen Leben. Amen.
Gebet
Wir bitten Dich am Ende dieser Woche für alle Menschen, denen Leid widerfahren ist. Besonders denken wir an die Erdbeben- und Lawinenopfer in Italien. Steh Du ihnen bei, stärke diejenigen, die vor Ort Hilfe geben können. Wir bitten Dich für alle Menschen, die unterdrückt, missbraucht, gefoltert und verfolgt werden. Du hörst auch das stumme Leiden. Sei ihnen Trost und Kraft. Wir bitten Dich für alle, die Orientierung suchen und sich leicht verführen lassen. Schärfe Sinne und Verstand, zu unterscheiden, damit das Gute behalten und das Böse gemieden wird. In der Stille bringen wir zu Dir, was uns bewegt: -STILLE- Vater unser im Himmel... Pfarrer Martin Hundertmark (hundertmark@thomaskirche.org)