Motettenansprache

  • 29.04.2023
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 29. April 2023

Johann Sebastian Bach: Missa in F (BWV 233) für Soli, Chor und Orchester

Chor: Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

Chor: Gloria in excelsis Deo, et in terra pax hominibus bonae voluntatis. Laudamus te. Benedicimus te. Adoramus te. Glorificamus te. Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam.

Arie (Bass): Domine Deus, Rex coelestis, Deus Pater omnipotens, Domine Fili unigenite, Jesu Christe, Agnus Dei, Filius Patris.

Arie (Sopran) Qui tollis peccata mundi, miserere nobis Qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram Qui sedes ad dexteram Patris, miserere nobis.

Arie (Alt): Quoniam tu solus sanctus, Tu solus Dominus, Tu solus altissimus, Jesu Christe.

Chor: Cum Sancto Spiritu in Gloria Dei Patris. Amen.

Liebe Gemeinde,

wir hören gleich Johann Sebastian Bachs Missa in F-Dur. Sie ist ein wunderbares Beispiel für das, was seit gut 1500 Jahren die Grundlage des christlichen Gottesdienstes ist: die lateinische Messe. Menschen verschiedener Zeiten und Kulturen empfinden diese Form des Gottesdienstes bis heute als stimmig. Ihre besondere Kraft, die sie in ihrer gesungenen Form entwickelt, erschließt sich auch dem, der Kirche und Gottesdienst sonst eher fernsteht. Denn hier wird alles aufgenommen, was das Menschsein in seinen Höhen wie Tiefen seit jeher bestimmt hat. Und weil das im Letzten doch immer gleichbleibt, ist die Messe zwar keine neue, aber gleichwohl eine moderne und zeitgemäße Form des Gottesdienstes, an deren Dynamik sich jede neuere Form des Gottesdienstes erst einmal zu messen hat.

Alles beginnt mit dem Ruf „Kyrie eleison“ – „Herr, erbarme dich“. Dieser Anfang bietet und die Möglichkeit, uns im geschützten Raum der Kirche und des Gottesdienstes von dem zu entlasten, was wir im Laufe der Woche angesammelt an Dingen, die wir mit uns herumschleppen und mit denen wir nicht richtig weiterkommen. Hier ist die Möglichkeit, ohne Angst vor Gesichtsverlust das tun zu können, was wir voreinander und vor uns selbst ungern tun: unser Versagen und unser Scheitern einzugestehen.

Aber das nicht, um uns selbst kleinzumachen und in dieser Position zu verharren. Sondern um uns aufrichten zu lassen durch den, der im folgenden Gloria als der besungen wird, der im wahrsten Sinne des Wortes allein über den Dingen steht: „Gloria in excelsis Deo“ - „Ehre sei Gott in der Höhe“. Was dieser Gott für die Menschen will, wird gleich zu Beginn klar gesagt: „Et in terra pax hominibus bonae voluntatis“ - „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Was wir im Alltag oft aus dem Blick verlieren und je mehr das geschieht, doch umso stärker herbeisehnen, wird hier klargestellt: Friede und Gerechtigkeit unter den Menschen sind zugleich Ziel und Aufgabe unseres Lebens. Wir sind gefragt, Position zu beziehen und uns zu bekennen. Wo stehe ich. Wo trägt mein Verhalten dazu bei, dass Friede und Gerechtigkeit werden können auf dieser Welt bzw. vielleicht erst einmal in den Beziehungen, in denen ich direkt lebe. Dabei kann ich denjenigen an meiner Seite wissen, der sein Leben für Menschen eingesetzt hat, denen man die Würde abgesprochen hat oder nicht mehr als Teil der Gesellschaft akzeptiert worden sind: Jesus Christus. Ihm ging es immer auch um den einzelnen als Teil des großen Ziels: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und er hat diesen Weg durchgezogen bis zum Kreuz. Er hat dort sterben lassen, was an menschlicher Niedertracht anderen Menschen immer wieder den Tod bringt.

„Qui tollis peccata mundi“ heißt es in der Messe – „der du trägst die Sünde der Welt.“ Jesus hat all dem seine letzte Macht genommen. Nicht mehr das, was uns verzweifeln lassen will, wird das letzte Wort haben. Und eigentlich ist es nur noch so stark, wie wir es stark sein lassen. Aber nicht von ungefähr kommt hier gleich zweimal die Bitte: „Miserere nobis“ – „Erbarme dich unser“. Denn immer wieder gelingt es uns nicht aus eigener Kraft, Frieden und Gerechtigkeit unter uns zu befördern.

An dieser Stelle erinnert die Messe in der Altarie uns an etwas Grundlegendes: „Quoniam tu solus Sanctus“ – „denn du allein bist heilig, du bist allein der Höchste Jesu Christi“. Es ist das Bekenntnis, dass uns seine Worte heilig bleiben. Seine Worte. Dass wir sie bewegen in uns, dass sie uns in Fleisch und Blut übergehen, zur zweiten Natur werden. Denn dann werden wir niemanden verunglimpfen wegen seiner Herkunft, wegen seines Aussehens und niemanden nach seinen Taten abschließend beurteilen. Dann werden wir denen entgegentreten, die die Worte und Werte Jesu als sog. „Gutmenschentum“ abtun. Dann werden wir dafür eintreten, dass die Würde jedes Menschen heilig ist. Auch an diese Grundhaltung Mensch zu sein, erinnert uns die Messe. Dazu ermutigt und ermahnt sie uns, durch alle Zeiten und auch heute. Gebe Gott den Worten und der Musik die Kraft, unsere Herzen und Sinne zu erreichen. Lasst uns beten:  

Gebet

Unser Gott und Vater, wir alle sind mit den Eindrücken dieser Woche hier in dieser Motette. Wir danken Dir für all das Gute, was wir empfangen durften, für alle Momente des Glücks und der Erfüllung. Und genauso bringen wir vor Dich, was uns belastet und rat-und hilflos macht. Wir bitten Dich, sei bei denen, die Leid tragen und hilf, es zu wenden. Wir bitten dich um neuen Mut und neue Kräfte für die, die sich schwach und überfordert fühlen. Segne Du alle Bemühungen um Frieden und Gerechtigkeit, im Großen wie im Kleinen. Das bitten wir Dich im Namen Jesu, der uns zu beten gelehrt hat: Vaterunser im Himmel…

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org