Motettenansprache

  • 23.06.2023
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 23. Juni 2023

Johann Sebastian Bach, Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, BWV Anh. III/159, Motette für zwei vierstimmige Chöre

Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, mein Jesu. Weil du mein Gott und Vater bist, dein Kind wirst du verlassen nicht, du väterliches Herz. Ich bin ein armer Erdenkloß, auf Erden weiß ich keinen Trost.

Liebe Gemeinde,

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Diese Motette von Johann Sebastian Bach für zwei Chöre haben wir gerade gehört. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ Das sagt in der Bibel der Erzvater Jakob. Ein Mensch, der erbittert mit Gott gerungen hat. Eine ganze Nacht hindurch. Denn in der Nacht, da beginnen für uns Menschen ja oft die Kämpfe mit dem, was wir am Tag verdrängen. Da holt es uns ein. Auch das, was wir am Tag zu klären versäumt haben und von dem wir hoffen, es möge sich irgendwie auflösen. Auf der Flucht sein vor sich selbst, vor dem eigenen Schatten, dem, was eigentlich geklärt gehört – von einem solchen Menschen, erzählt die Bibel schon in ihrem ersten Buch, wo es um das grundsätzliche Verhältnis zwischen Gott und Mensch geht und wo man sich in vielen Personen, die dort vorkommen, durchaus wiederfinden kann. Wie in Jakob, dem jungen Mann, der seinen offenbar etwas tölpeligen Bruder Esau für ein Linsengericht das Erstgeburtsrecht abluchst und dann die Schwäche des fast blinden Vaters Isaak ausnutzt, indem er sich für seinen Bruder ausgibt und am Sterbebett des Vaters den Segen des Erstgeborenen ergaunert. Ein Betrug, bei dem er von seiner Mutter unterstützt wird. So sind sie, die Helden der Bibel. Jakob, der Betrüger – so die eine Bedeutung seines Namens – hatte schon im Mutterleib die Ferse des Zwillingsbruders festgehalten und diesen die Arbeit der Geburt verrichten lassen – Fersenhalter, auch das kann der Name Jakob bedeuten. Ein zweideutiger, widersprüchlicher Mensch. Er muss fliehen vor dem Zorn seines Bruders. Kurz vor dem Ort Bethel hat er in der Nacht einen Traum, der Himmel steht offen, eine Leiter verbindet Himmel und Erde und Gott verspricht ihm, dem Betrüger, bei ihm zu bleiben und ihn zu segnen. Einfach so und trotz allem, was gewesen ist.

Das erscheint Jakob ungeheuerlich und das ist es ja auch für menschliches Gerechtigkeitsempfinden. Er zieht weiter – und wird in der Fremde nun selbst zum Betrogenen. Statt der sieben Jahre, die er um seine Frau dienen muss, hat er 14 Jahre zu schuften. Immerhin, er wird in dieser Zeit reich. Aber er spürt: Das ist es nicht. Wer auf der Flucht bleibt vor den Dingen, die in seinem Leben dringend der Klärung bedürfen, der kann sich mit all diesen Dingen eine Weile ablenken und wird dabei doch nur die Sehnsucht nach dem einen verstärken: dem inneren Frieden. Aufhören mit den Ersatzbefriedigungen, dem Hinterherrennen nach immer mehr und sich dabei immer weiter entfernen von dem, wo man eigentlich hinwill: zu geklärten persönlichen Verhältnissen.

Jakob stellt sich diesem Weg mit allen Konsequenzen. Er will zurück nach Hause und seinem Bruder offen entgegentreten, obwohl er Angst hat vor der Auseinandersetzung. Und bevor er allein den letzten Schritt tut über den Grenzfluss Jabbok, muss er kämpfen und sich wehren. Ein Mann greift ihn an und beginnt, mit ihm zu ringen. Eine geheimnisvolle, dunkle Geschichte: Steht dieser Mann für Gott selbst, für einen Engel, ist es Traum, ist es Realität? Jakob siegt und ringt seinem Gegner den Segen ab: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“  Jakob ist gezeichnet. Er hinkt, er ist angeschlagen. Die Auseinandersetzung mit Gott kann bei uns offensichtlich Spuren hinterlassen, auch schmerzhafte. Aber Jakob verliert bei diesem Kampf seine Zweideutigkeit. Er bekommt einen neuen Namen: Israel: Einer der mit Gott und den Menschen gekämpft und gewonnen hat. Er ist ein gesegneter Geschlagener und ein geschlagener Gesegneter. Mit seiner Verletzung werden nun auch die anderen Verletzungen seines Lebens offenbar, auch die, die er anderen geschlagen hat. Er trägt sie nun ganz offen, er wagt es, sie zu zeigen. Auch dem, den er am meisten verletzt hat: seinem Bruder. Dass er das tut, das wird nun zum Grund der Versöhnung. Esau greift den Geschlagenen nicht an. Das Eingeständnis seiner Bedürftigkeit ist die Möglichkeit der Versöhnung mit dem verfeindeten Bruder. 

Am Ende lebt Jakob wieder in seiner Heimat. Er hat noch mehr zu verkraften, es ist nicht das Paradies. Er bleibt der Hinkende. Und er ist so Juden und Christen zu einem der Väter des Glaubens geworden. Einer, an dem deutlich wird: dass Gott nicht darauf wartet, dass „einer mit reinen Augen kommt“ (F. Steffensky) oder das sein Segen uns in Watte packt und alles einfach nur gut und glatt wird in unserem Leben. Jakob lernt die Verbindlichkeit, die Treue und die Zumutung dieses Gottes kennen – und er lässt seinerseits nicht von ihm. Eine Beharrlichkeit, die Bach in seiner Motette anklingen lässt in der sich zu Anfang unzählige Male wiederholende Bitte um den Segen Gottes: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ So kann Jakobs Geschichte mit Gott ein Spiegel sein für unsere eigene mit Gott. Auch mit allen Schwierigkeiten. Amen.

 

Gebet

Gott unser Vater,

wir möchten Dich bitten um deinen Segen für unser Leben, für das, was wir tun und lassen. Wir bitten Dich um Aufmerksamkeit für unsere Mitmenschen, dass wir sie nicht unnötig verletzen. Wir bitten um den Mut und um die Kraft, die Dinge in unserem Leben anzugehen, von denen wir wissen: wir müssten sie ändern. Gib uns das Vertrauen darauf, dass Du in all dem auf unserer Seite bist, dass du uns stärkst und uns auch die Kämpfe unseres Lebens bestehen lässt. Darum bitten wir Dich, wenn wir mit Jesu Worten beten: Vaterunser…

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org