Motettenansprache
- 02.09.2017
- Pfarrerin Taddiken
Johann Sebastian Bach: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren", Kantate BWV 137 zum 12. Sonntag nach Trinitatis (EA: 19.8.1725, Nikolaikirche)
1. CHOR
Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren,
meine geliebete Seele, das ist mein Begehren.
Kommet zu Hauf, • Psalter und Harfen, wacht auf! • Lasset die Musicam hören.
2. ARIA (ALTO)
Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret,
der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet,
der dich erhält, • wie es dir selber gefällt; • hast du nicht dieses verspüret?
3. ARIA (SOPRANO, BASSO)
Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet,
der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet;
in wie viel Not • hat nicht der gnädige Gott • über dir Flügel gebreitet!
4. ARIA (TENORE)
Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet,
der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet;
denke dran, • was der Allmächtige kann, • der dir mit Liebe begegnet.
5. CHORAL
Lobe den Herren; was in mir ist, lobe den Namen!
Alles, was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen!
Er ist dein Licht, • Seele, vergiss es ja nicht; • Lobende, schließe mit Amen!
Joachim Neander, 1680
Liebe Gemeinde,
der der heutigen Kantate zugrunde liegende Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" - er schafft es bis heute in fast jeden Tauf-oder Traugottesdienst und er wird auch nicht selten bei Beerdigungen gesungen. Schlagen Sie den Text doch bitte einmal auf. Auch Menschen, die sonst so gut wie keine Lieder aus dem Gesangbuch kennen, wünschen sich, was uns da eingängig und anschaulich vor Augen geführt wird, was wir uns bei Taufen, Trauungen, Beerdigungen vor Augen am meisten wünschen bzw. was wir da bedenken: dass es eben nicht selbstverständlich ist, ein Kind zu bekommen, für das man verantwortlich sein darf. Dass es eben nicht selbstverständlich ist, den Mann oder die Frau des Lebens zu finden und dass es eben auch nicht selbstverständlich ist, am Ende eines Lebens sagen zu können: Mit allen Höhen und Tiefen, die es da so gab - wir haben viel Gutes voneinander gehabt. Das andere möge Gott heilen und vollenden, das Gute, das bleibt uns.
All das ist ein Geschenk, all das kann ich nicht machen, es ist nicht mein Verdienst. Gerade Taufen, Trauungen, Beerdigungen sind die Anlässe, bei denen wir in besonderer Weise bereit sind, das zu tun, wozu uns dieses Lied in fünf Strophen auffordert: Es nicht zu vergessen, aufzuwachen und zu verspüren: Du lebst von Voraussetzungen, die Du für dein Leben nicht selbst geschaffen hast - und es sind mitunter die wesentlichen, die wirklich wichtigen Bereiche deines Lebens. Nämlich: „Künstlich und fein bereitet zu sein" - mit „verliehener Gesundheit" und dass man uns „mit Liebe begegnet".
Aus all dem ergibt sich für den Lieddichter Joachim Neander eine schlüssige Konsequenz - ein fünffaches „Lobe den Herrn", eine Aufforderung an sich selbst und zugleich eine Frage: Wie will ich leben, aus welcher Haltung heraus? Dankbar für das Empfangene und damit auch verantwortlich, es zu gestalten und zu leben? Oder eher in hinnehmender Selbstverständlichkeit, aus der sich eine immer mehr fordernde Grundstimmung ergibt, weil man das Wesentliche und Größere immer noch erwartet - dass es irgendwie kommt und man es irgendwann hat.
Es liegt auf der Hand, dass gerade, wenn man das erwartet, Enttäuschungen und Misserfolge schwerer wiegen und die Neigung, sich dann eben auf sich selbst zurückzuziehen, wächst. Wenn ich lese und höre, wie viele wenige Wochen vor der Bundestagswahl noch unentschlossen sind, ob sie wählen: Mich erschreckt und beängstigt das irgendwie. Alle Programme sind öffentlich, alle Informationen zugänglich. Ja, es ist gutes Recht in der Demokratie, die Aufgabe und Verantwortung der Mitgestaltung derselben zu verweigern. Wir haben sogar das Recht auf Faulheit und Gedankenlosigkeit. Kennen wir alle, nutzen wir auch alle mal - aber hoffentlich regiert uns das nicht. Selbst das ermöglicht uns die Ordnung, in der wir leben dürfen: Dass wir sie auf's Spiel setzen, weil wir uns nicht 100%prozentig bedient fühlen. Aber aus Frust und einem diffusen Gefühl von Vergeblichkeit heraus ein errungenes Recht als billige Möglichkeit zu missbrauchen, um wem auch immer einen Denkzettel zu verpassen? Die Aufgabe der Mitgestaltung verweigern und ein unter Gefahr und Mühen errungenes Recht auf diese Weise verächtlich machen. Wir dürfen es nutzen und gestalten, Gott sei Dank.
Aber: Nicht nur von daher ist die heutige Kantate eine Anregung dazu, die" eigene geliebete Seele" aufzufordern, auf das zu blicken, was uns unser Leben zuversichtlich und vertrauensvoll gestalten lässt - und mit der Überwindung von Gleichgültigkeit und Missmut bei uns und in uns selbst anzufangen. Es ist ein Text, der einen ermutigt, aus der Fülle unserer Begabungen zu schöpfen und es freudig und selbstbewusst zu tun. Johann Sebastian Bach nimmt in allen fünf Sätzen seiner Kantate den Dreiertakt der uns bekannten Melodie auf. Und so ergibt sich in der Kantate das, was wir uns für unser Leben nur wünschen können: eine Grundstimmung der Freude, der Dankbarkeit über das Empfangene, die sich durchzieht vom Anfang bis zum Ende. Gleich zu Beginn der Kantate im Eingangschor wird dabei bereits deutlich, welche Kraft einem diese Grundhaltung im Leben erwecken kann: Das ist Musik, bei der sich nur mitreißen und aufbauen lassen kann um all das bewältigen zu können, was im Text dieses Chorals auch angesprochen wird, zumindest implizit: Krankheit, Not, verweigerte Liebe und Wertschätzung und nicht zuletzt das, was das Gegenteil von der hier zum Aufwachen aufgeforderten Dankbarkeit ist: die Gedankenlosigkeit, die uns matt und müde werden lässt. Dagegen setzt diese Kantate ein wohltuendes, aufbauendes Gegengewicht. Etwas, was wir in diesen unruhigen Wochen im nahen und fernen Weltgeschehen auch sehr nötig haben.
Wir beten:
Lobe den Herrn, meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat - unser Gott und Vater, daran lass uns denken und aus dem Dank dafür leben. Hilf uns, daraus zu schöpfen zu unserem und zu der anderen Wohl, gib uns die Kraft uns einzubringen, wo unsere Gaben gefragt sind. Hilf uns zu einem friedlichen, respektvollen Miteinander der Verschiedenen und befördere Du all die Kräfte derer, die sich dafür einsetzen.
Wir bitten Dich am Ende dieser Woche auch für die Menschen in Houston, die in unserer Partnerstadt betroffen sind von Überschwemmung, für die, die Hab und Gut verloren haben. Wir bitten Dich für die vielen Tausend Toten und ihre Angehörigen, die die Überflutungen in Indien gefordert haben. Hilf uns, als Menschen zusammenzustehen und nicht zu resignieren im Angesicht der Probleme, die übermächtig scheinen. In diesem Vertrauen beten wir: Vaterunser...
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org