Motettenansprache

  • 01.09.2017
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache am 1.9.2017 in St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Wie schnell sich Friedenszeit in Krieg verwandeln kann, daran erinnert uns der. 1. September. Heute vor 78 Jahren begann mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Nur noch wenige Zeitzeugen gibt es, die dieses Ereignis aus eigenem Erleben schildern können. Umso wichtiger ist eine Erinnerungskultur ohne Geschichtsglitterung, ein Gedenken mit dem Ziel, heutige und zukünftige Generationen dafür zu sensibilisieren, dass Konflikte ohne Krieg ausgetragen werden müssen. „Nie wieder Krieg!“ ist nicht nur eine Kampfparole, sondern die Konsequenz aus den schrecklichen Erfahrungen eines Vernichtungskrieges mit über 50 Mio Toten und einem zerstörten Europa. Wie wichtig die mahnende Erinnerung daran ist, zeigt sich in der weitest gehenden Nichtbeachtung durch die Presse am heutigen Tag. Allenfalls lassen sich Randnotizen finden.

Gefahren die von einer sinnlosen Militarisierung ausgehen, sind uns aber sehr wohl präsent, schauen wir auf sich zunehmend radikalisierende Gruppen und Staaten. Terroranschläge auf der einen Seite, Raketentests auf der anderen Seite des Globus machen deutlich: Der Macht der Stärke und der Abschreckung wird auch heute vielfach mehr zugetraut als der Macht der Worte.

Im Wochenlied „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ von Martin Luther, gedichtet 1524, sucht der Dichter einen Ort für die Klage und findet ihn in Gott. Angelehnt an den 130. Psalm wird beschrieben, wie Sünde und Unrecht Leid hervorrufen. Leider hat sich daran auch fünfhundert Jahre später nicht viel geändert und wird es wohl auch nicht in Zukunft.

Denn 1.) versteht man Sünde als existentialen Begriff der Gottesferne, also des bewussten und willentlichen Entgegenstellens gegen Gottes Willen, so wird man zu dem Schluss kommen: Solche Sünde wird es immer geben. Besonders dann ist sie groß, wo der Mensch meint, sich selber zum Gott und allmächtigen Herrscher machen zu können. Die Flutkatastrophen in Houston und Indien lehren uns gerade auf bittere Weise das Gegenteil. Wir beherrschen die Natur nicht. Und da, wo wir sie schützen sollten, stehen eigene Interessen dann doch lieber an erster Stelle und bekommen den Vorzug.

2.) wächst aus Unrecht ebenfalls Leid, im schlimmsten Fall sogar Krieg, nämlich da, wo Menschen ihr Unrecht nicht länger ertragen und keine andere Möglichkeit für sich sehen, als mit Gewalt sich Recht zu schaffen. In der Geschichte führte das in der Regel in die Katastrophe.

Wenn wir mit Luther und dem Psalmbeter weiterdenken, so müssen wir feststellen: Für beides, für unsere Gottesferne und für das auf der Welt vorfindliche Unrecht sind wir mit verantwortlich. Dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, wird ein Prozess, in dem wir schwerlich bestehen können. Neben die Verantwortung für das eigene Tun stellt Luther Gottes Gnade und Gunst.

Gnade Gottes ist Hilfe zum Leben.

Auf sie sind wir angewiesen, wenn wir nicht an den Verstrickungen unserer Schuld zugrunde gehen wollen. Darum dürfen wir auf Gott hoffen, der uns zum Trost wird in schwieriger Zeit, in Leidenstagen und Leidensnächten. So ist es jetzt auch wenig sinnvoll und schon gar nicht hilfreich, mit erhobenem Zeigefinger in Richtung Texas zu zeigen, weil dort vielleicht in stärkerem Maße Klimawandel ignoriert wurde und sich der Slogan unserer Partnerstadt „City without limits“ zumindest in der Bebauung als Boomerang erwiesen hat. Denjenigen, deren einfache Hütte zum Opfer der Wassermassen geworden ist, diejenigen, die nun ohne Obdach dastehen, nützen solche moralischen Apelle wenig. Sie brauchen jetzt Hilfe und Unterstützung, materiell wie auch im Gebet.

In der letzten Strophe wird deutlich, wie sehr Gott in Liebe zu seinen sich immer wieder von ihm entfernenden Menschenkindern entbrannt ist. „Ob bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade; sein Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade.“

Wo wir auf Jesus Christus vertrauen, fallen wir gerade nicht aus Gottes Gnade, sondern er steht immer wieder für uns ein, trotz aller Fehler, trotz mancher Wiederholungen. Die Verantwortung dafür wird er uns nicht nehmen, aber die Last der Schuld wird er uns abnehmen und einen Neuanfang ermöglichen, wo Menschen ernsthaft Reue zeigen.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges habend die Sieger Deutschland nicht dem Erdboden gleichgemacht, sondern einen Neuanfang ermöglicht, der Schuld und Verantwortung gleichermaßen mit einschließt. Somit konnten wir weiterleben. Damit verbunden ist aber auch stets ein Überprüfen der eigenen Maßstäbe individuellen Handelns wie auch staatlichen Handelns. Gerade am Weltfriedenstag darf dann auch die Frage gestellt werden, ob es in Einklang zu bringen ist, dass unser Land für Mrd. Euro Waffen in Krisengebiete exportiert und dadurch Schurkenstaaten direkt oder indirekt unterstützt. Die Verantwortung dafür tragen beide Regierungsparteien in gleichem Maße. Wer sich für friedliche Lösungen einsetzen will, muss glaubwürdig bleiben. Das gilt im Politischen gleichermaßen wie im familiären Bereich. Wir können dafür dankbar sein, dass unser Land seit mehr als siebzig Jahren vom Krieg verschont blieb. Es ist ein schwerer Weg hin zum Frieden, der nachhaltig bleibt. Trauen wir uns, ihn zu gehen. Amen.

Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)