Motettenansprache
- 10.06.2017
- Pfarrerin Taddiken
Johann Sebastian Bach: Christ unser Herr zum Jordan kam (BWV 7) 1. Coro Oboe d'amore I/II, Violino concertante, Violino I/II, Viola, Continuo Christ unser Herr zum Jordan kamNach seines Vaters Willen,Von Sankt Johanns die Taufe nahm,Sein Werk und Amt zu erfüllen;Da wollt er stiften uns ein Bad,Zu waschen uns von Sünden,Ersäufen auch den bittern TodDurch sein selbst Blut und Wunden;Es galt ein neues Leben. 2. Aria B Continuo Merkt und hört, ihr Menschenkinder,Was Gott selbst die Taufe heißt. Es muss zwar hier Wasser sein, Doch schlecht Wasser nicht allein. Gottes Wort und Gottes Geist Tauft und reiniget die Sünder. 3. Recitativo T Continuo Dies hat Gott klarMit Worten und mit Bildern dargetan,Am Jordan ließ der Vater offenbarDie Stimme bei der Taufe Christi hören;Er sprach: Dies ist mein lieber Sohn,An diesem hab ich Wohlgefallen,Er ist vom hohen HimmelsthronDer Welt zugutIn niedriger Gestalt gekommenUnd hat das Fleisch und BlutDer Menschenkinder angenommen;Den nehmet nun als euren Heiland anUnd höret seine teuren Lehren! 4. Aria T Violino concertante I/II, Continuo Des Vaters Stimme ließ sich hören,Der Sohn, der uns mit Blut erkauft,Ward als ein wahrer Mensch getauft.Der Geist erschien im Bild der Tauben,Damit wir ohne Zweifel glauben,Es habe die DreifaltigkeitUns selbst die Taufe zubereit'. 5. Recitativo B Violino I/II, Viola, Continuo Als Jesus dort nach seinen LeidenUnd nach dem AuferstehnAus dieser Welt zum Vater wollte gehn,Sprach er zu seinen Jüngern:Geht hin in alle Welt und lehret alle Heiden,Wer glaubet und getaufet wird auf Erden,Der soll gerecht und selig werden. 6. Aria A Oboe d'amore I/II e Violino I all' unisono, Violino II, Viola, Continuo Menschen, glaubt doch dieser Gnade,Dass ihr nicht in Sünden sterbt,Noch im Höllenpfuhl verderbt!Menschenwerk und -heiligkeitGilt vor Gott zu keiner Zeit.Sünden sind uns angeboren,Wir sind von Natur verloren;Glaub und Taufe macht sie rein,Dass sie nicht verdammlich sein. 7. Choral Oboe d'amore I/II e Violino I col Soprano, Violino II coll' Alto, Viola col Tenore, Continuo Das Aug allein das Wasser sieht,Wie Menschen Wasser gießen,Der Glaub allein die Kraft verstehtDes Blutes Jesu Christi,Und ist für ihm ein rote FlutVon Christi Blut gefärbet,Die allen Schaden heilet gutVon Adam her geerbet,Auch von uns selbst begangen.________________________________________Besetzung Soli: A T B, Coro: S A T B, Oboe d'amore I/II, Violino concertante I/II, Violino I/II, Viola, ContinuoEntstehungszeit 24. Juni 1724Text 1,7: Martin Luther 1524; 2-6: unbekannter DichterAnlass Johannis (24. Juni)
Liebe Gemeinde,
regelmäßig ruft es Staunen und Schmunzeln hervor, wenn ich bei Kirchenführungen erzähle, wer am Taufstein der Thomaskirche alles getauft wurde. Die Kinder Johann Sebastian Bachs, die hier am Thomaskirchhof zur Welt gekommen sind, klar. Der Komponist Richard Wagner, da wird schon geraunt. Aber dass der spätere Mitbegründer der KPD Karl Liebknecht auch hier getauft wurde und zwar mit den beiden Paten Karl Marx und Friedrich Engels - das ist dann schon erstaunlich. Vielleicht war das nach dem Motto: Schaden mag es nicht und wer weiß...
Bach stand hier 11mal am Taufstein, der sich damals noch unter der Westempore befunden hat. In der Nähe des Eingangs, wie die Taufe eben Eingang ins Christenleben ist. Und: Man musste damals hinabsteigen in eine Vertiefung. Mit Christus sterben, mit Christus auferstehen sollte das symbolisieren. Man wurde aus der Taufe gehoben. Bach war eins sehr wichtig, was nicht erst das große Credo der h-moll Messe zeigt: Für ihn hieß, sich zum Glauben zu bekennen, sich zu seiner Taufe zu bekennen. Auch die heutige Kantate ist dafür ein wichtiges Zeugnis: „Christ, unser Herr zum Jordan kam." Sie ist sehr kunstvoll angelegt, virtuos, farbig und facettenreich, man hört stellenweise förmlich das Wasser fließen. Es gehörte offenbar zu Bachs Amtsverständnis als Kantor: Mit und durch Musik Bekenntnis ablegen - und mitverantwortlich zu sein für die religiöse und musikalische Bildung der Gemeinde. Man lernt durchs Singen einfach besser als wenn man nur spricht. Und so nimmt Bach hier im ersten und siebten Satz einen von Luthers seinerzeit bekanntesten Chorälen auf, der in barocker Sprache und Gestus erläutert wird.
Damals verständlich, müssen wir uns da erst mal hineinfinden. Der Eingangschor macht deutlich, um welchen Punkt es Bach im Verständnis der Taufe besonders gehen mag. Musikalisch läuft alles zu auf letzten Satz: „Es galt ein neues Leben." Und das war auch Luther am wichtigsten an der Taufe: In Wasser und Wort der Taufe verbindet sich das Geschick Jesu Christi mit jedem einzelnen von uns - unwiderruflich. So wie Gott ihn in ein neues Leben in seiner Gegenwart gerufen hat, wird es auch an uns geschehen und diese Wirklichkeit hat jetzt schon begonnen. Acht Ecken hat der Taufstein, acht ist die Zahl der Ewigkeit gegenüber der 7, der Zahl der Schöpfung. Gott geht mit den Menschen bei der Taufe einen Bund ein, der von seiner Seite nicht gekündigt werden wird. Die Kantate predigt ihren Hörern inständig, das doch zu bedenken. So heißt es in der Altarie: „Menschen, glaubt doch dieser Gnade". In gewisser Weise wird hier Luther aufgenommen, der sich in schweren Momenten mit Kreide auf den Tisch schrieb: Ich bin getauft. Damit hat er sich selbst daran erinnert: Das Wesentliche ist geschehen. Ich bin all dem, was mich ängstigt, was mich plagt, was mich verzweifeln lässt, nicht bis ins Letzte ausgesetzt. Es hat nicht das letzte Wort über mich.
In Luthers wie auch in Bachs Zeit sprach man in diesem Zusammenhang von der Erbsünde oder wie im Schlusschoral vom „Schaden", den wir „von Adam her „geerbt haben. Auch das zieht sich durch die Kantate und mag uns etwas abständig vorkommen, weil wir heute das Wort „Sünde" ja eher als moralische Kategorie verstehen und nicht als existenzielle wie Luther: Zwischen Gott und Mensch klafft ein Sund, ein Meeresarm - daher kommt das Wort „Sünde". Gott kann ihn überwinden, der Mensch von sich aus nicht. Damit ist letztlich nichts anderes gemeint als das, womit Menschen sich immer geplagt haben, vor und nach Luther, gläubig oder auch nicht: Das Gefühl, ich könnte und müsste in dem, was ich tue, besser sein. Ich müsste mich weiter optimieren, beruflich, privat, körperlich. Ich könnte noch mehr machen, denn der andere ist immer noch besser, schöner, erfolgreicher.
Kurzum: Es geht um das Trugbild von einem rundum gelungenen Leben, das ich aus eigener Kraft erreichen kann - und zwar in diesem Leben. Der Mensch ersetzt Gott durch sich selbst und je länger er das tut, umso schlimmer und vor allem auch gefährlicher kann es werden. Es ist diese Gnadenlosigkeit gegen sich selbst, die man im Stande zu entwickeln ist - und die sich dann auch nach außen richten kann. Z.B. gegen den, der m.E. Schuld ist an meiner Lage, der mir gefährlich werden kann - oder vor dessen Andersartigkeit und Überzeugungen ich Angst habe.
Mit Luther gesprochen: Wer kein Verhältnis dazu hat, dass er Sünder ist, lebt gefährlich, denn die Sünde hat ihn im Griff, in der Altarie wird das anschaulich ausgeführt und trotz der ungewohnten Sprachbilder ahnen wir, was gemeint ist: Dieses ständige Kreisen um sich selbst, das einen abhängig macht von dem Bild, das man von sich selbst hat und vor allem wo man sich ständig abhängig macht von der Bestätigung durch andere Leute: Finden sie mich auch gut? Luther hat erfahren, wie zermürbend das sein kann. Für ihn war wie für Bach und diese Kantate die Taufe der Schlüssel, mit dieser Seite unseres Menschseins umzugehen. Dass da symbolisch schon alles weggespült ist - das kann manches bei uns zurechtrücken. Auch das mag ein Beweggrund gewesen sein, den Taufstein der Thomaskirche im Laufe der Jahre immer mehr Richtung Altar zu rücken: dass man seiner Taufe nicht den Rücken zuwenden möge, sondern sie einem vor Augen bleiben möge.
Hören wir also die Kantate gleich und beten zunächst mit Worten Martin Luthers:
Lieber Gott,
verleihe uns ein friedliches Herz und guten Mut in Kampf und Unruhe, dass wir nicht allein erdulden und am Ende obsiegen, sondern auch mitten in Kampf und Unruhe Frieden haben, dich loben und dir danken.
Lass uns nicht murren oder ungeduldig werden gegen deinen göttlichen Willen, damit der Friede in unserem Herzen den Sieg behalten.
Hilf, dass wir innerlich und äußerlich gegen Gott und Menschen friedlich bleiben, bis der endgültige und ewige Friede kommt. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org