Motettenansprache
- 03.06.2017
- Pfarrerin Taddiken
Johann Sebastian Bach: Erschallet, ihr Lieder, Kantate BWV 172 zum 1. Pfingsttag (2. Leipziger Fassung)
(EA 20.5.1714 in Weimar; WA 13.5.1731 in St. Nikolai und St. Thomas)
1. CORO Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten! O seligste Zeiten! Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten.
2. RECITATIVO (BASSO) »Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.«
3. ARIA (BASSO) Heiligste Dreieinigkeit, großer Gott der Ehren, Komm doch, in der Gnadenzeit bei uns einzukehren; komm doch in der Herzenshütten, sind sie gleich gering und klein; komm und lass dich doch erbitten, komm und kehre bei uns ein!
4. ARIA (TENORE) O Seelenparadies, das Gottes Geist durchwehet, der bei der Schöpfung blies, der Geist, der nie vergehet. Auf, auf, bereite dich, der Tröster nahet sich.
5. DUETTO (SOPRANO ET ALTO)
ANIMA (SEELE) Komm, lass mich nicht länger warten, komm, du sanfter Himmelswind, wehe durch den Herzensgarten! SPIRITUS SANCTUS (HEILIGER GEIST) Ich erquicke dich, mein Kind.
ANIMA Liebste Liebe, die so süße, aller Wollust Überfluss! Ich vergeh, wenn ich dich misse.
SPIRITUS SANCTUS Nimm von mir den Gnadenkuss.
ANIMA Sei im Glauben mir willkommen, höchste Liebe, komm herein! Du hast mir das Herz genommen.
SPIRITUS SANCTUS Ich bin dein, und du bist mein!
6. CHORALE Von Gott kömmt mir ein Freudenschein, wenn du mit deinen Äugelein mich freundlich tust anblicken. O Herr Jesu, mein trautes Gut, dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut mich innerlich erquicken: Nimm mich freundlich in dein Arme, • dass ich warme werd von Gnaden: auf dein Wort komm ich geladen.
1. CORO (WIEDERHOLT)
Liebe Gemeinde,
was an Pfingsten gefeiert wird, damit tun sich viele schwer. Dabei ist es nach der Apostelgeschichte ein wunderbares Ereignis voller im wahrsten Sinne des Wortes einleuchtender Bilder: Da kommt der Geist Gottes über alle möglichen Leute, Einheimische und Fremde, Gute und weniger Angenehme, und plötzlich verstehen alle einander bzw. sprechen ein Sprache, in der man sich verständigen kann - auch und gerade die Angehörigen verschiedenster Religionen und Kulturen.
Ein bis heute hoffnungsvolles Geschehen, bei dem man sich wünscht: Ach, würde dieser Geist der Verständigung heute doch tatsächlich einmal über die Menschheit kommen. Aber da es zu schön um wahr zu sein scheint, legen viele diese Geschichte dann eher zu den Fabeln und Märchen. Was aber ist es, was dieses Verstehen bewirkt? In der Pfingstgeschichte ist es das gemeinsame Hören auf die großen Taten Gottes. Worin bestehen die? Eine Antwort darauf - und damit einen Einblick in die innere Seite des pfingstlichen Geschehens - bietet uns die gleich zu hörende Bach-Kantate an mit ihrem sich ganz am Johannesevangelium orientierenden Text.
Der festliche Eingangschor gibt das Thema vor: „O seligste Zeiten! Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten". Und im Rezitativ des Basses erklingt dann die Stimme des johanneischen Jesus: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. Das also ist Pfingsten nach Johannes: Gottes Unmittelbarkeit zu jedem Menschen. Dass er ins Innerste jedes Menschen kommen kann und will. Er will in uns wohnen - auf der Basis der Liebe und der Verständigung. Damit eröffnet er in uns einerseits einen Raum für den Trost, den wir in dieser Welt in ihrem Ineinander von Elend und Größe, Kummer und Glück dringend benötigen. Und verheißt uns andererseits eine notwendige Erneuerung und Korrektur unseres Denkens und Fühlens: Euer Herz wird eine andere Sprache sprechen als das Herz der Welt, in der ihr lebt.
Die Kantate ist voll von Sehnsucht nach dieser Veränderung. „Komm, lass mich nicht länger warten, komm, du sanfter Himmelswind, wehe durch den Herzensgarten", so heißt es in der Sopranarie im innigen Gespräch von Seele und Geist Gottes. „Ich erquicke dich, mein Kind." Vielleicht diese Kantate gerade darin besonders berührend, wenn man auf das schaut, was die Welt gerade bewegt und welche Sprache da oft gesprochen wird - nämlich eine, die alles andere als Verständigung im Sinn hat. Wo nicht nur politische Bündnisse auseinanderzubrechen drohen, wo Partnerschaften und Zielstellungen mehr oder weniger aufgekündigt werden ohne Not, ohne Sinn und Verstand. Wo jahrelange Bemühungen, die Menschheit näher zusammenzubringen in ihrer gemeinsamen Verantwortung für diese eine Welt, einfach mal so eben für obsolet erklärt werden. Man kann nur hoffen, dass sich der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit Raum verschafft und dem Geist der Furcht die Luft ausgeht.
Im Pfingstereignis, wie es das Johannesevangelium beschreibt und auch die heutige Kantate, beginnt das immer wieder bei jedem einzelnen von Neuem. Grundlage dafür, dass der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit unter uns wirken können ist das, was Jesus sagt: Wenn ihr meine Worte im Herzen bewahrt und ihnen Wohnraum in euch gebt, werde ich bei euch sein. Wer weiß, was dann in euch, mit euch passiert? Zumindest werdet ihr berührbar bleiben, für den Schmerz (und natürlich auch für die Schönheit) der Welt. Nichts wird euch gleichgültig sein. Nichts wird euer Herz verhärten bis zum „Seht doch, wo ihr bleibt".
In Italien hat im letzten Jahr eine alte Dame ihr für sie zu groß gewordenes Haus für einen geringen Preis verkauft, so dass Menschen darin unterkommen konnten, die auf Lampedusa gestrandet waren. Sie ist in eine kleine Wohnung gezogen. Nicht, dass wir es ihr gleichtun müssten oder könnten. Aber ob die Welt, die schöne und schreckliche, nicht auch deswegen noch steht, weil es solche Geschichten gibt? Und Menschen, die sich nicht in für andere tödliche Logik verfangen, sondern dem Geist der Liebe und der daraus resultierenden Phantasie Raum lassen - einer der ja größten Taten Gottes an uns? Menschen, die bitten, wie es in der Bassarie heißt: „Komm doch in die Herzenshütten, sind sie gleich gering und klein?" Sie mögen es sein, gering und klein. Aber sie sind der Ort, an dem Gott uns aufsucht - und wo wir davon etwas merken, da ist Pfingsten da.
Wir beten mit Worten des Kirchenvaters Augustinus:
Atme in mir, du heiliger Geist, dass ich Heiliges denke. Trebe mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges tue. Locke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges lebe. Stärke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte. Hüte mich, du heiliger Geist, dass ich das Heilige nie mehr verliere.
Vaterunser...
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org