Motettenansprache
- 02.06.2017
- Pfarrerin Taddiken
Liebe Gemeinde,
„Der Geist hilft unserer Schwachheit auf" - was gibt es Belebenderes und Erfrischenderes, als am Ende einer Woche diese Motette von J.S. Bach zu hören? Da fährt der Geist gleich zu Beginn auf-und wachrüttelnd in unser Leben - tröstend und ermutigend. Aber er stellt durchaus auch infrage, was sich von selbst oft nicht infrage stellt, denn das kennzeichnet menschliche Schwachheit: dass sie sich selbst oft für stark hält - und das, was wirklich stark ist, für schwach.
Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ist von der Erwartung dieser Kraft, dieses Geistes bestimmt. Jesus lässt seine Jünger zurück und verheißt ihnen diese Kraft von oben, die sie durchdringen und in Bewegung setzen wird, diese Welt in seinem Geiste zu gestalten. Sie erfahren diesen Geist zu Pfingsten dabei zunächst als eine Kraft, die kulturelle und sprachliche Grenzen zu überwinden weiß. Menschen „aus allen Völkern unter dem Himmel", so erzählt es die Apostelgeschichte, hören die Jünger in ihren eigenen Sprachen reden. Und wie immer, wenn etwas Neues und Unerwartetes geschieht, macht das Angst: Was soll das werden? Zu ungewohnt ist diese Nähe , dieses Geschehen, das einen mehr oder weniger zwangsläufig dazu bringt, sich auf das Andere, das Fremde einzulassen - und auf das Verbindende zu achten und nicht auf das Trennende. Dieser Heilige Geist wird also erst einmal beschrieben als Gegenkraft gegen alle Haltungen, die auf Abgrenzung setzen. Mit denen haben wir uns im Moment ja sehr auseinanderzusetzen. Es ist nicht nur diese spezielle Zeit im Kirchenjahr, die uns die Frage stellt: In welchem Geist wollen wir leben und worauf wollen wir bauen: Auf einen Geist der Abgrenzung? Oder auf einen Geist, der sich zunächst einmal um alles und auch um jeden bemüht - und die Nähe zu ihm sucht? Und wo finden wir diese beiden verschiedenen Geister in unserem eigenen Denken wieder?
Das ist der Hauptgedanke des 8. Kapitels des Römerbriefs, aus dem dieser Motettentext stammt. Paulus unterscheidet hier zwei Zugänge zum Leben: den nach dem Fleisch - oder den nach dem Geist. Hier geht es geht nicht um einen bloßen Dualismus von Körper und Geist. Nach dem Fleisch leben ist hier der Versuch, sich allein selbst zu genügen. Aus sich selbst alles schöpfen zu wollen, „Garant seiner selbst zu sein" (F. Steffensky) und zu meinen, sich durch das Befolgen der richtigen Glaubenssätze das vollkommene Glück zu sichern - oder das Heil, wie es in der Sprache der Religion heißt. Bei diesem Weg kommt das Scheitern nicht vor, das Schuldigwerden oder das Nichtgenügen: Es darf nicht sein, allenfalls kann es sich um einen kleinen behebbaren Zwischenfall auf dem Weg zum Ziel handeln.
Dieser Zugang zum Leben, so Paulus, führt in Zwänge, in die Enge, in die Überforderung bis hin zur Selbstverdammung („Was bin ich bloß für ein Versager"). Oder er kann ins Extrem mit furchtbaren Folgen, wie bei den Sätzen „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" oder auch: „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil". Wo also alles, was neben einem existiert, ist immer schon per se bedrohlich ist - und mit welchen Mitteln auch immer bekämpft wird. Das ist Leben im Fleisch.
Es gibt einen anderen Lebenszugang, sagt Paulus. auch der ist, Gottseidank, als Möglichkeit in uns: Leben im Geist. Leben in der Überzeugung: Ich muss mein Ich nicht selbst erschaffen. Was mein Leben trägt, ist unabhängig von mir da und ich bekomme umsonst Anteil daran. Ihr habt Gottes Geist in Euch, sagt Paulus, den Geist, der alles Leben schafft, der lebendig macht. Weil dieser Geist in Euch ist, seid ihr immer schon mehr als die, die ihr meint, werden zu müssen. Ihr seid schon längst befreit von dem Zwang, euch selbst fabrizieren zu müssen. Ihr braucht nicht unaufhörlich hinter eurer eigenen Ganzheit und Souveränität herzujagen. Und schon gar nicht hat die Welt es nötig, an eurem Wesen zu genesen.
Wie gesagt, das hat tröstliche wie auch kritische Komponenten. Tröstlich, weil dieser Zugang zum Leben uns sagt: wir sind nicht nur die Fragmente, als die wir uns selbst oft empfinden: mit unserer Widersprüchlichkeit, mit unseren Halb-und nicht selten auch Dummheiten. Wie es Bach in seiner Motette aufnimmt, müssen wir noch nicht einmal unsere Gebete selbst hinbekommen: „sondern der Geist selbst vertritt uns auf's Beste mit unaussprechlichem Seufzen". Es ist mir also erlaubt, ein bedürftiges Wesen zu sein und es gehört zu meiner Würde. Aber da ist man auch gleich schon bei der kritischen Komponente. Denn das Vertrauen, schon mit dem Blick dieser Güte angesehen zu sein, bestreitet alle Mächte, die diese Güte ersetzen wollen. Der Hamburger Theologe Fulbert Steffensky hat das einmal so ausgedrückt: „Der Glaube an die Rettung des Lebens im fremden Blick der Güte hat eine beinahe anarchistische Kehrseite. Er bezweifelt alle Mächte, Einrichtungen, Personen, Lehren, die sich als substantiell notwendig ausgeben oder aufspielen. Dieser Glaube an die Geborgenheit des Lebens im Blick führt zu einem fröhlichen Unglauben, zu einer vergnügten Skepsis gegen alles, was sich so gravitätisch und unumstößlich gibt. Der Glaube an die Gnade Gottes hat eine zersetzende Kraft. Er zersetzt alle Mächte und Geister, die diese Güte ersetzen oder ergänzen wollen."
Besser kann man es nicht beschreiben, was „Leben im Geist" meint: der Kraft der Güte Gottes mehr zu vertrauen als an den Halt der Gesetze und Leistungen, mit denen man sich selbst umgibt. Zu dieser Freiheit sind wir befreit. Aber sie wird uns auch zugemutet, denn sie zu leben, will gelernt sein. Und so bedarf es wohl immer wieder auch der Bitte des Chorals, mit dem die Motette schließt: Die Bitte an den Heiligen Geist, uns „fröhlich und getrost" in seinem Dienst „beständig" bleiben zu lassen. Amen.
Gebet
Unser Gott,
wir bitten Dich um den Geist des Lebens, der aufbaut und uns Wege weist zu uns und den anderen: Hilf uns zu Verständigung unter uns, die wir so verschieden sind. Nimm uns unsere Angst vor dem anderen, der uns fremd ist und bedrohlich zu sein scheint. Stärke die Mutlosen und Verzagten. Tritt Du mit Deinem Heiligen Geist an unsere Seite, damit wir neue Anfänge wagen können in dieser Welt. Mit Jesu Worten beten wir: Vaterunser...
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org