Motettenansprache
- 26.05.2017
- Pfarrerin Taddiken
Johann Sebastian Bach: „Fürchte Dich nicht", Motette für 8stg. Chor, BWV 228
Liebe Gemeinde,
„Fürchte Dich nicht", es steht außer Frage: Wir brauchen jeden Tag von neuem diesen Zuspruch aus Bachs Motette, um im Alltag zu bestehen. Fürchte dich nicht, 365mal kommt dieser Satz in verschiedenen Varianten in der Bibel vor, für jeden Tag im Jahr einmal. Gut so. Denn es ist ja auch jeden Tag von Neuem zum Fürchten. Es kann einen nur das kalte Gruseln überkommen, wenn man Trump und die Saudis einen Waffenhandel über mehr als100 Milliarden Dollar unterzeichnen sieht incl. dem anschließenden Kriegstanz mit gezogenem Schwert und zufriedenem breiten Grinsen. Es kann einem in dieser Woche, wo wir 68 Jahre Grundgesetz feiern konnten, nur das Fürchten lehren, welche Verlockung und Anziehungskraft autokratische Systeme auf Menschen ausüben, die in der Demokratie eigentlich gut leben aber irgendwie den „Kick" brauchen und den vermeintlich starken Mann oder die starke Frau, die allmächtig all meine Probleme von oben löst. Demokratie kann dort verspielt werden, wo man nicht mehr bereit ist, sie täglich neu zu erringen - Themen, die auf den Kirchentagen hier in Leipzig und Berlin-Wittenberg ja sehr bewegt diskutiert werden - und natürlich auch die Rolle der Kirchen dabei, vor allem der Evangelischen. Wie soll die Zukunft der Kirche denn aussehen, was will sie sein: „Moralagentur oder Bekenntnisgemeinschaft", darüber wird gleich im Anschluss an die Motette hier in der Kirche disputiert.
Nun feiern wir in diesen Tagen und im Jahr 2017 nicht Luther, wie es Richard Führer, 1. Präfekt unseres Thomanerchors letzte Woche im Interview mit der hiesigen Kirchenzeitung gesagt hat. Völlig richtig und zurecht. Wir feiern nicht Luther, aber unter anderem eines seiner wichtigsten Erkenntnisse, die er u.a. in einem Satz so zusammengefasst hat: „Furcht tut nichts Gutes. Darum muss man frei und mutig in allen Dingen sein und feststehen." Luther konnte das nur so sagen, weil für ihn eine wichtige theologische Erkenntnis vorangegangen war: Wenn Jesus Christus den Tod und all seine Schreckensmächte überwunden hat und auch über meinem Leben diese Verheißung steht, dann befreit mich dieser Glaube zum Leben - und zwar zum Bekennen wie zum Handeln. Leben aus der Gewissheit heraus, mein Leben ist schon erlöst, ich kann, ich darf das annehmen, das führt aus der Enge heraus, dafür selbst sorgen müssen, und der nicht nur sprachlich dazugehörenden Angst. Hört auf, Euch von Eurer Enge und Angst leiten zu lassen, lasst sie nicht über euch herrschen, lasst Euch nicht von ihr in die Ecke drängen und denen auf den Leim gehen, die sich davon nähren - ob wir das als evangelische Kirche und Christen mutiger predigen und bekennen werden, davon wird es durchaus abhängen, welche Zukunft wir haben.
Nun war das letztlich auch nie anders. „Fürchte dich nicht" - das zu hören war nicht nur Luther selbst Tag für Tag wichtig. Heute Abend hören wir diesen Satz in der musikalischen Auslegung Johann Sebastian Bachs, der selbst oft allen Grund gehabt hätte zu verzagen und sich zu fürchten vor dem Leben. War er doch nicht zuletzt konfrontiert mit dem frühen Tod seiner ersten Frau und dem etlicher Kinder, die hier am Thomaskirchhof geboren wurden. Aber großartige Musik wie in dieser Motette entsteht oft im Angesicht von Furcht und Not. Und im Wollen und manchmal auch im mehr oder weniger verzweifelten Versuch, dieser Furcht etwas entgegenzusetzen. Sich nicht klein kriegen zu lassen davon. Sondern gegenan zu gehen und Klartext zu sprechen bzw. zu singen.
Das lässt sich an der Textauswahl Bachs durchaus ablesen: Der biblische Text, der dieser Motette zugrunde liegt, thematisiert das ja. Da geht es um den Weg in die Freiheit heraus aus der Knechtschaft der Babylonier, in der sich das Volk Israel befand. Er war kein Kinderspiel, dieser Weg. Da ist die Rede davon, durch Wasser gehen zu müssen - aber eben nicht zu ersaufen, wie es dort heißt. Das ist die Rede davon, durch Feuer gehen zu müssen - dass einen die Flamme aber nicht versengen wird. „Fürchte Dich nicht, du bist mein." Um diese Rückenstärkung, zu etwas zu gehören, zur Gemeinschaft der von Gott zu freiem und erlöstem Leben Berufenen, daran wird hier erinnert. Und daran, sich nicht von dem irre machen zu lassen, was diese Freiheit mit sich bringen kann an Schwierigkeiten und Problemen, daran wird appelliert.
Vielleicht ist genau das etwas, was vielen heute fehlt und was Frust, Unbehagen und natürlich auch Furcht und Angst auslöst: Eben nicht mehr verwurzelt zu sein, in einem Glauben, der trägt. Nicht verwurzelt zu sein, in einer Gemeinschaft, auf die Verlass ist. Und nicht zuletzt gehört zur Freiheit ja auch die Herausforderung durch das Zusammenkommen von Kulturen, die sich noch vor 100 Jahren allenfalls in Kriegen begegneten. Jetzt stehen sie vor der Aufgabe, das Leben miteinander zu gestalten und miteinander auskommen müssen. Wege sind zu finden, wie man Unbehagen voreinander abbauen kann. Da ist natürlich Furcht im Spiel, das sollten wir uns immer klar machen. Aber sie ist kein Partner für wahrhaftiges und zugewandtes Handeln. Das sollten wir genauso wissen und jeden Tag von Neuem uns diesen Anspruch und Zuspruch Gottes gefallen lassen: „Fürchte dich nicht, ich bin bei Dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott, ich stärke dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit."
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org
Gebet
Unser Gott, auch diese Woche war nicht frei von Furcht und Schrecken. Wir legen an Dein Herz die Toten des Terroranschlags in Manchester, die Kinder und Jugendlichen hier und an all den anderen Orten des Terros und des Elends. Schenke uns Deinen Geist, der uns hilft, nicht zu verzagen vor dem, was an Todesmächten in unserer Welt wütet. Schenke uns Liebe und Verstand, Hoffnung und Mut. In Jesu Namen bitten wir Dich: Vaterunser...