Motettenansprache

  • 12.05.2017
  • Pfarrer Hundertmark

Ansprache zur Motette am 12.5.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

wenn jemand ernstlich bereut, dann darf ich als Christ den Schritt zur Vergebung wagen, darf die versöhnende Hand reichen. Denn in solchem Tun zeigt sich das, was Gott an mir selbst tut. Er nimmt mich an als unfertigen, unvollkommenen Menschen und verwirft mich nicht trotz aller Fehler. Als im vergangenen Jahr viele Kritiker auf den Plan traten, um die erneute Präsidentschaft des FC Bayern München von Uli Hoeneß zu kritisieren, stand ich auf der anderen Seite. Jedem, der ernsthaft bereut, gebührt eine zweite Chance – so waren meine Gedanken damals.

In dieser Woche sind wir eines besseren belehrt worden. Der verurteilte Steuersünder, dessen Haftstrafe in doch recht komfortabler Weise abgesessen und dann schnellstmöglich „auf Bewährung“ umgewandelt wurde, hat offensichtlich nicht bereut. Vielmehr beschwert er sich über Verurteilung und Haft. Da bewahrheitet sich wieder einmal, dass Menschen, die zu lange an der Macht sind, oftmals daran leiden, sich selbst über jegliche Gesetze stellen zu wollen. Die zweifelsohne guten Verdienste, auch die am Nächsten, geraten dann in den Hintergrund.

„Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ lesen wir in der Weisheit der Sprüche Salomos. (Spr. 3,34)

Demut ist eine Eigenschaft, mit der umzugehen nicht immer leicht fällt. Wo sie vor sich hergetragen wird, wird es für die Mitmenschen anstrengend. Und fehlt sie, erleben wir das gegebenenfalls so, wie im eben beschriebenen Beispiel des Fußballclubpräsidenten. Demut lässt sich verstehen als die Gabe, nicht allein von sich alles zu erwarten, sondern von Gott. So wird Gott anerkannt als derjenige, der über meinen Leistungen steht, die zweifelsohne wichtig und notwendig sind, jedoch nichts austragen für mein Verhältnis zu Gott. Zur Schau gestellte Demut, die einzig und allein dem Zwecke dient, andere dadurch zu täuschen, ist am Ende ins Gegenteil verkehrte Demut und kann als hochmütig bezeichnet werden.

Erfolg befördert leider den Hochmut, Lob gelegentlich auch und dort, wo sich das Selbstbewusstsein allzu zu stark entwickelt, geht die Fähigkeit verloren, sich selbst zu reflektieren. Wer immer herausposaunen muss, dass er der Größte und Wichtigste ist, wird, selbst wenn dem so sein sollte, doch nur immer kleiner.

Vieles von dem, was wir tun und leisten gründet sich auf geschenkter Gnade. Da sind zunächst die Talente und Begabungen, die ein Mensch bekommen hat – ohne eigenes Zutun. Sie zu entwickeln, verantwortlich mit ihnen umzugehen, ist gewissermaßen Dankbarkeit und Pflicht.

Oder es sind die Lebensumstände, in die wir hineingeboren werden. Gerade heute war zu lesen, dass sich die Menschen in Leipzig sehr wohl fühlen. Wer hier leben darf, wer hier geboren wird, hat es im Vergleich zu den meisten Landstrichen auf unserem Planeten sehr gut. Daraus müsste bei der jungen Generation eigentlich Engagement für Freiheit und Demokratie erwachsen, weil die jetzige Situation ein großes Geschenk ist. Nicht die Fragen „Wieso betrifft es mich?“ oder „Was hat das mit mir zu tun?“ sollten leitend sein, sondern die Frage, „Wo kann ich mich einbringen?“.

Für diejenigen, die schon mehrere Lebensjahrzehnte unterwegs sind und Verantwortung tragen, steht im Raum, dass ihr Tun auch verantwortlich bleibt gegenüber der übernächsten Generation, angefangen beim Umweltschutz bis hin zum Umgang mit den Staatsschulden. Wo sich Menschen blenden lassen, vom kurzen und scheinbaren Glück, kann nicht nachhaltig gelebt werden. Auch das ist Demut, wenn der Erfolg nicht selbst aufgebraucht wird, sondern wenn daran andere teilhaben können. Jesus Christus lädt uns ein, Demut zu wagen. Indem er selbst alles in Gottes Hand legte, fand er die Freiheit in einem Leben, welches über unsere Vorstellungen hinaus geht. Damit machte er uns letztlich frei von allen Zwängen einer verlogenen Ich-Bezogenheit.

Selten zitiere ich hier auf der evangelischen Kanzel Päpste. Heute darf uns zum Schluss ein Zitat von Johannes XXIII. begleiten.

„Solange jemand sein Ich nicht unter seine Füße gesetzt hat, ist er nicht frei.“ (Joh. XXIII, geistliches Tagebuch)

Zu solcher Freiheit, möge Gott uns Kraft schenken durch seinen Geist, der für uns eintritt, wenn wir keine Worte finden. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark (hundertmark@thomaskirche.org)