Motettenansprache
- 05.05.2017
- Pfarrerin Taddiken
Liebe Motettengemeinde,
im Zuge der Berichterstattung über die jüngsten Vorfälle in der Bundeswehr ist zur Zeit viel vom sogenannten „Korpsgeist" die Rede (für die jüngeren Thomasser: nicht „Chor", sondern „Korps"). Und dieser Korpsgeist, er kommt selten allein daher. Meistens werden die Worte „falsch verstandener" davorgesetzt. Damit ist klar: Bei diesem Begriff schwingt etwas Negatives mit, zumindest in der Öffentlichkeit. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Anschlagsplänen eines rechtsextremen Offiziers vom falsch verstandenen Korpsgeist in der Bundeswehr gesprochen. Eigentlich ist mit diesem Begriff aber nur das Gemeinschaftsbewusstsein eines Standes gemeint. Der „Esprit de corps" wurde z.B. bei den Handwerksgesellenverbänden gebraucht und bis ins noch lange positiv verstanden: man war als „Körperschaft ein Zusammenschluss von Personen, die durch gleiche Gesetze und Gebräuche, durch Beruf oder Weltanschauung verbunden waren. Doch schon im 18. Jahrhundert begann der Begriff sich einzuengen auf den militärischen bzw. auch pseudomilitärischen Bereich. In diesem Zusammenhang wurde der Korpsgeist dann mit elitärem Standesbewusstsein und Dünkel in Verbindung gebracht. Heute wird außer dem Militär manchmal auch der Polizei diese Form des Korpsgeist unterstellt - und zwar dann, wenn der Eindruck entsteht, man schotte sich nach justiziablem Vorfällen ab. Konformitätsdruck, falsch verstandene Loyalität, mangelnde Fehlerkultur statt der ursprünglich gemeinten bzw. angestrebten Solidargemeinschaft.
Ja, was mit Korpsgeist gemeint ist, kann schnell kippen. Und wer da nur mit dem Finger auf die Bundeswehr oder die Polizei zeigt, könnte zugleich einen kleinen Moment innehalten und über das nachdenken, was uns denn einfach als Menschen zusammenhält oder auseinandertreibt. Und: Ob nicht nahezu alle Gruppen und Gruppierungen potentiell gefährdet sind davon, dass das kippen kann - natürlich, liebe Thomasser, durchaus auch in dem Chor, der sich mit „Ch" am Anfang und ohne „s" am Ende schreibt. Dass es auch die Christenmenschen davon nicht frei sind, kann deutlich werden, wenn wir uns die Rede Jesu an seine Jünger aus dem Johannesevangelium näher ansehen, aus der wir eben in der Vertonung von Heinrich Schütz einen Ausschnitt gehört haben:
Ich bin ein rechter Weinstock, mein Vater ein Weingärtner. Einen jeglichen Reben an mir, der nicht Frucht bringet, wird er wegnehmen, und einen jeglichen, der da Frucht bringet, wird er reinigen, dass er mehr Frucht bringe. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; bleibet in mir und ich in euch. Gleich wie der Reben kann keine Frucht bringen von ihm selber, er bleibe denn am Weinstock, also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir. (Johannes 15,1ff)
Was nach diesem Bild letztlich den ganzen Weinstock am Leben hält, ist dies: Die Reben wissen, dass sie nur leben und Frucht tragen werden, wenn sie sich ständig auf ihren Stamm zurückbeziehen. Wenn sie „bleiben" und den Saft aufnehmen, der durch diesen Stamm fließt. Wo sich eine Rebe nur noch mit der Pracht der eigenen Blüte beschäftigt und entweder versucht, den anderen das Wasser abzugraben oder sich andererseits in Hoffnung auf endgültige Freiheit und Prachtentfaltung vom Stamm losreißt, wird es ihr nicht dauerhaft bekommen. Eine Weile mag es gutgehen. Aber wer sich von den eigenen Grundlagen selbst abschneidet, wird irgendwann verdorren. Allerdings geht es hier um mehr als um diese letztlich lapidare Weisheit. Es geht vielmehr um das Bleiben an Jesus im positiven Sinne. An dem - oder in dem, wie es im Johannesevangelium heißt - worum es Jesus ging und um das, was er für die Menschheit bewirkt hat. Das Bleiben seinerseits an dem, was den Tod zu überwinden weiß: Die Hoch-und Wertschätzung jedes Menschen, auch dessen, der mir persönlich unangenehm ist, sein unbeirrbares Festhalten daran, dass nur die Gottes-und Nächstenliebe den Menschen vor der ihm innewohnenden Fähigkeit zur Unbarmherzigkeit, vor seiner Selbstbezogenheit und auch vor dem Ausleben seiner Hassgefühle schützen wird. Daran, so Jesus, möge man als Zweig an seinem Stamm bleiben, daran möge man sich halten und immer wieder den Nährwert dieser Haltung in sich aufnehmen, damit quasi verwachsen: Bleibt in mir und ich in Euch. Diese verantwortliche Bezogenheit jedes einzelnen zu seinem Stamm mag verhindern, dass eine Rebe sich über der anderen wähne, sie mag verhindern, dass das passiert, was beim sog. Korpsgeist vom Positiven ins Negative kippen kann.
So, meine ich, kann man dieses Bild Jesu vom Weinstock und den Reben verstehen: Als eine Hilfe zum Nachdenken für das, was es einem bedeutet, dass man als Christenmensch eben nicht allein für sich da ist und zumindest nicht auf Dauer existieren kann. Und dafür, welche Früchte möglich sind, wenn man sich bewusst von dem durchströmen lässt, was dieser Stamm, dieser Weinstock uns als Kraft unseres Lebens anbietet. Amen.
Gebet
Unser Gott, wir kommen am Ende dieser Woche zu Dir mit dem, was uns bewegt. Wir danken Dir für alles, was wir an Gutem empfangen durften. Wir danken Dir für Ermutigung und Stärkung durch andere und für das, was wir für andere tun konnten. Und wir bringen vor Dich, was nicht gelungen ist, was keine Früchte getragen hat und all das, was in uns im Moment auch dürr und leer ist. Erneuere uns mit deinem Geist, kräftige und stärke uns für das, was kommt, stehe uns bei in den Prüfungen, die auf uns zukommen in Schule und Leben. Dass Du uns trägst, darauf vertrauen wir, wenn wir mit den Worten Jesu beten: Vaterunser...
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org