Motettenansprache
- 26.04.2025
- Christoph Hackbeil
PDF zur Motettenansprache HIER
Liebe Motettenbesucherinnen und -besucher,
unter den Grüßen, die mich zu Ostern erreichten, war eine Nachricht auf Telegram. Ein junger Mann schrieb: „Ich bin nach 2 Jahren Osterabstinenz mal wieder in Osterstimmung gekommen.“ Daran hing ein Foto von der Osternachtsfeier in einer alten Klosterkirche. Viele Besucher erleuchteten mit ihren Kerzen den Raum. Eine lichtvolle Atmosphäre in der Nacht – das war wohl für ihn Osterstimmung. Ich musste darüber nachdenken, wie viel Ostern mit Gefühlen zu tun hat. Auch das bisherige Programm führte uns auf einem emotionalen Weg von der Klage bis zum Halleluja. Was wäre eine Glaubenswahrheit wie die Auferstehung ohne Emotionen, ohne dass sich etwas innerlich löst und bewegt. Wie also fühlt sich Ostern an?
Dass mir diese Frage nachgeht, verdanke ich nicht nur einer Nachricht im Chat, sondern auch dem Komponisten Joseph Gabriel Rheinberger. Meine Ansprache hat ihren Platz zwischen zwei Kompositionen von ihm. Daran blieb ich hängen. Zum einen kann ich mich aus meiner Thomanerzeit in den 1960er und 70er Jahren nicht erinnern, dass wir Stücke von Rheinberger gesungen hätten. Der Komponist war vergessen, vielleicht weil er zu romantisch war. Wir sangen von den Romantikern Reger und Bruckner, aber wenn es zu gefühlvoll wurde, verkniffen wir uns ein Grinsen. Gefühle lagen nicht im Trend, eher Nüchternheit. Umso dankbarer bin ich für diese Musik, die mich als fühlendes Wesen anspricht.
Wir hörten gerade das Abendlied von Rheinberger, das zugleich ein Ostergesang ist. Überschrieben mit Lukas 24,29 heißt sein Text: „Bleib bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget. Oh bleib bei uns“. Das bitten am Abend des Ostertages zwei Jünger. Sie sind mit einem unbekannten Fremden meilenweit in das Dorf Emmaus gelaufen. Sie erzählten ihm von ihrer Traurigkeit über den Tod Jesu und von den Hoffnungen, die für sie zerbrochen sind. Er erklärt ihnen das alles. Den Sinn dieses Leidens. Seine Worte tun gut. Er vermittelt Klarheit. Ihr Gefühlschaos verschwindet beim Reden und Gehen.
Und dann, als sie zum Abendessen beieinandersitzen, erkennen sie ihn. Er teilt das Brot, wie es Jesus immer gemacht hat. Sie erkennen den Auferstandenen. ER ist der HERR. Jesus. Sie möchten, dass er bei ihnen bleibt. Seine Nähe tröstet. Sie möchten nicht wieder verlassen sein. Sie bitten: Bleib bei uns Herr, denn es will Abend werden. In den Klängen des Abendliedes von Rheinberger schwingt dieses Drängen der Jünger mit. Nicht wieder verzweifelt sein. Nicht wieder allein den Nachtgedanken ausgesetzt. Nicht wieder ohne Hoffnung. All das steckt in der kurzen Bitte: Bleib bei uns – und dem großen Klang darüber. Es wird musikalisch ein Trost hörbar, dass Jesus bei ihnen und uns ist. Nun nicht mehr sichtbar, aber eben spürbar.
Es war das Programm der Romantiker des 19. Jhd., die Gefühle der Menschen anzusprechen, auch die religiösen. Schon damals waren diese ziemlich ausgetrocknet. Romantische Kirchenmusik wollte und will, dass sich Menschen sinnlich vom Glauben berühren lassen. Es ist schön, im Glauben Neues zu erfahren. Gott will in deinem Leben wieder auftauchen. In der Tiefe deiner Seele ist er schon da und du kannst ahnen, wie alles mit ihm zusammenhängt. Durch die Lebendigkeit des auferweckten Christus kannst du dich lebendig fühlen.
Doch bleiben auch zu Ostern gemischte Gefühle. Negative Gefühle können wir nicht ausklammern. Ostern 2025 war wieder ein Kriegsostern in Europa, viel Unsicherheit und Angst geht um. Für viele Christen weltweit verbindet sich das Osterfest 2025 mit dem Tod von Papst Franziskus. Auch wir fühlen den großen Verlust dieses glaubwürdigen Christenmenschen und demütigen Bischofs mit. Über seinem Sterben kommen Trauer und Dank zusammen. Denn es war ja Ostern! Der Abschied heute geschah im Licht der Auferstehung.
Der verstorbene Bischof von Rom hatte oft vor einer Globalisierung der Gleichgültigkeit gewarnt. Das geht mir von diesem besonderen Ostern nach. Osterstimmung ist Mitgefühl und Mithoffnung mit der ganzen Schöpfung und jedem leidenden Menschen. Ich wünsche uns, dass uns der auferstandene Herr diese mitfühlende Osterstimmung schenkt und erhält.