Motettenansprache

  • 20.09.2024
  • Pfarrer i.R. Christian Wolff

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Ansprache über

Willy Burkhard (1900–1955): Die Sintflut

Kantate für vier- bis siebenstimmigen Chor a cappella op. 97 nach dem Bericht aus dem ersten Buch Mose

Die Sintflut – eine uralte Erzählung von Scheitern und Neuanfang, von Schlussstrich und Aufbruch, und höchst aktuell. Wenn wir diese biblische Geschichte lesen oder sie als Kantate hören, drängt sich eine Frage auf: Leben wir vor oder nach der Sintflut? Für die Menschen in Polen, Tschechien, Niederösterreich, in der Millionenstadt Maiduguri/Nigeria oder Mali ist dies derzeit keine Frage: Sie kämpfen mitten in einer verheerenden Sintflut um das nackte Überleben. Da erweisen sich Häuser nicht als Schutz gebende Archen wie einst bei Noah, sondern als aus den Fundamenten gerissene tödliche Fallen.

Vermögen die Menschen nach dem Zusammenbruch ihrer Lebenswelt, nach der Vernichtung all dessen, woran wir Menschen unser Herz hängen, noch an das zu glauben, was Gott dem Noah verheißen hatte, als er nach 40 Tagen und 40 Nächten Dauerregen mit seiner Familie und ausgesuchten Tieren die Schutz spendende Arche verlässt – nämlich ein friedliches Leben im Rhythmus der Gezeiten? Ist uns angesichts der Flutkatastrophen in immer kürzer werdenden Intervallen Vertrauen in den Bestand dieser Erde überhaupt noch möglich?

Ja, wir können so fragen. Wir können auch – wie viele Menschen heute - an der alten Sintflutgeschichte einen Haken machen – und uns lieber konzentrieren auf Fragen wie: Wer trägt die politische Verantwortung für mangelnden Hochwasserschutz? Warum hat das Frühwarnsystem nicht funktioniert? Welcher Innenminister, welche Landrätin, welcher Bürgermeister hat versagt und sollte zurücktreten? Wir kennen das zur Genüge: Untersuchungsausschüsse, politische Scharmützel und das Wechselspiel von Schuldzuweisung und Verdrängen.

Die biblische Sintflutgeschichte wartet mit all dem nicht auf. Sie benennt Verantwortlichkeiten vor der Sintflut: der Mensch, der seiner Bestimmung und den Geboten Gottes nicht gerecht wird. Die Sintflutgeschichte beginnt – wie die Kantate - mit der ernüchternden Feststellung, was Gott zur Vernichtung der Schöpfung veranlasst hat:

der Menschen Bosheit (war) groß … auf Erden, und alles Dichten und Trachten ihres Herzens (war) nur böse … immerdar.

Ja, schon vor Urzeiten war den Menschen bewusst: Katastrophen haben ihre Vorgeschichte, in die jeder Mensch einbezogen ist. Ja, dass weltweit Stürme, Dürren, Brände, Überschwemmungen Leben zerstören, ist kein schicksalhafter Zufall. Jede und jeder von uns ist daran beteiligt. Wodurch? Weil wir täglich wissentlich das Falsche tun (eine andere Formulierung für das, was die Bibel Sünde oder Willy Burkhard „Verderbtheit des Menschengeschlechts“ nennt).

Derzeit sind wir ja wieder dabei, kollektiv und wider besseres Wissens um Klimawandel und Klimaschutz zu feilschen. Wir scheuen uns vor entschlossenen Maßnahmen zur Bewahrung der Schöpfung. Parteien wie die AfD und gefährliche Polit-Hasardeure wie Donald Trump leugnen den Klimawandel. Sie wollen einfach so weitermachen wie bisher: Verbrennermotor, Ölheizungen, billiges Gas, Abholzen des Regenwalds – und finden ungeahnte Zustimmung. Doch Jahr für Jahr potenzieren sich weltweit die Sintfluten – auch bei uns. Jahr für Jahr wird deutlicher, dass die Schöpfung die Gewalt nicht mehr aushält, die wir ihr antun.

Wie aber kann eine Umsteuerung aussehen? Mit Katastrophenszenarien drohen? Die „Letzte Generation“ ausrufen und Endzeitstimmung anheizen? Die biblische Sintflutgeschichte schlägt einen anderen Ton an. Sie geht davon aus, dass wir Menschen es nicht in der Hand haben, ob die Welt Bestand hat. Das liegt allein in Gottes Hand. Gott aber schließt nach der Sintflut einen neuen Bund mit den Menschen. Diesen begründet er mit den gleichen Worten, mit denen er die Sintflut ausgerufen hat:

Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.

1. Mose 6,5 und 8,21

Das bedeutet: Mit Strafe, mit Androhung des Untergangs, mit der konkreten Erfahrung einer Flutkatastrophe erreicht selbst Gott keine Verbesserung der Lage. Veränderung zum Guten geschieht allein aus Gnade. Diese Gnade, die Aussicht auf ein unverdientes Morgen, bietet Gott uns Menschen an:

Ich richte mit euch einen Bund auf.

Zunächst schließt Gott mit Noah einen Schutzbund vor der Sintflut (2. Teil der Kantate). Nach der Sintflut verspricht er der Erde dauerhaften Bestand:

Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

  1. Mose 8,22

Und der Bogen, den Gott in die Wolken setzt (1. Mose 9,13), und aus dem bei uns der Regenbogen wurde, zeigt an: Gott wird keine tödlichen „Waffen“ mehr gegen die Menschen richten. Der umgekehrte Streitbogen wird so zu einem Friedenszeichen, das auch dann noch leuchtet, wenn sich der Himmel durch Wolken der Gewalt und des Krieges verdunkelt.

 

Auf diesem Hintergrund erweist es sich als gute Nachricht, dass Gott sein Handeln nicht mehr abhängig macht vom Wohlverhalten von uns Menschen. Das hat eine uns entlastende Folge: Wir haben es – im Positiven wie im Negativen - nicht allein in der Hand, ob diese Erde Bestand haben wird oder nicht. Darum sollten wir uns zwei Einsichten stellen:

  1. Wir können noch so schöpfungsbewusst leben – es wird sich an der Vergänglichkeit des Lebens und dieser Welt nichts ändern. Menschen werden weiter krank und sterben, auch die Natur bekommt ihre epileptischen Anfälle und rastet aus. Aber: Das ist nicht das Ende!
  2. Gott wird das Versagen von uns Menschen nicht mit Strafen zu bändigen oder zu disziplinieren versuchen. Für diese Gnade können wir nur dankbar sein – und dafür, dass er uns nicht zuletzt durch Jesus Christus Maßstäbe für sinnvolles, den Menschen und der Schöpfung zugewandtes Leben schenkt.

Diese Dankbarkeit schenkt uns die Kraft, nach der Sintflut wie Noah verantwortlich leben und dem Leben dienen zu können. Amen.

 

Gebet

 

Gott, unser Vater,

wir danken dir,

dass du unserem Leben

Zukunft verheißt.

Wir danken dir,

dass du uns mit Jesus Christus

von Verdrängung und Schuldzuweisung befreist.

Wir bitten dich:

Lass uns neu anfangen,

für die Bewahrung der Schöpfung

Verantwortung zu übernehmen.

Schenke du allen,

die jetzt vor den Trümmern

ihrer Existenz stehen,

neue Aussichten.

Lass sie zu den ersten

Mahnern werden,

damit wir umkehren

und auf der Spur Jesu wandeln.

Mit seinen Worten beten wir:

Vater unser ...

 

 

Christian Wolff, Pfarrer i.R.

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