Motettenansprache
- 07.01.2017
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache am 7.1.2017 über den Choral von Paul Gerhard „Ich steh an deiner Krippen hier“ mit Aufführung der Bachkantate BWV 248/VI „Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr
Liebe Motettengemeinde,
Mit Verwunderung sowie einem gewissen Maß an Bestürzung las ich gestern Abend auf LVZ-online, dass sich eine große Leipziger Stadtratsfraktion nicht am bürgerschaftlichen Protest am kommenden Montag beteiligen wird, weil dieser Protest eher eine „Beschäftigungstherapie“ für die Akteure sei als denn nütze.
Manchmal entpuppen sich leider eigentliche und natürliche Verbündete als stolze, tobende Feinde. Anstatt fest zu stehen an der Seite derer, die aus ihrem Glauben heraus an Menschenfreundlichkeit, Nächstenliebe und Demokratie für eine offene Bürgergesellschaft eintreten, wird deren Engagement herabgewürdigt. Das ist weder christlich noch demokratisch.
„Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben,
so gib, daß wir im festen Glauben
nach deiner Macht und Hülfe sehn!“
Nach Gottes Macht und Hilfe zu sehen, war Zentrum der Verkündigung des Liederdichters Paul Gerhardt. Seine Lieder sind bekannt und beliebt trotz einer Sprache, die auf den ersten Blick unzeitgemäß zu sein scheint. Aber eben nur auf den ersten Blick. Paul Gerhardt ist Kind seiner Zeit, Kind barocker Frömmigkeit und Sprache. Fast mystisch klingt die eben gehörte Strophe „Vergönne mir o Jesulein, dass ich dein Mündlein küsse.“ Der Kuss als Zeichen inniger Liebe wird in Verbindung gebracht mit dem Krippenkind, von dem weit mehr ausgeht als es Wein, Honig und Milch, die Insignien für ein überbordendes Leben, vermögen können.Der menschliche Körper wird genährt von diesen Lebensmitteln. Das Überlebensmittel in einer sich ständig und gefährlich wendenden Welt war für Paul Gerhardt die unaufgebbare Beziehung zu Jesus Christus. Sich als Gottes Kind zu wissen, vergewisserte, stärkte und stärkt Mark und Bein.
Gerade dann, wenn Feinde toben und schnauben, mögen sie reeller Gestalt sein oder in meinem Innersten ihr Unwesen treiben, ist es von Nöten, einen guten Freund zu haben. Einen Freund, dessen Verlässlichkeit unverbrüchlich ist, findet der Mensch in Jesus Christus, jenem Krippenkind, dem ich inniglich begegnen darf. Von Schuld und Schulden sind wir Menschen umgeben, oftmals unbewusst aber leider auch viel zu häufig bewusst. Das lastet schwer auf der Seele, drückt so manchen nieder, lässt ihn verkrümmen. Das Herze im Leibe schluchzt dann und weint, weil mich niemand versteht oder weil ich nichts mehr verstehe. „da ruft mirs zu: Ich bin dein Freund, · ein Tilger deiner Sünden! Was trauerst du, mein Brüderlein? Du sollst ja guter Dinge sein, · ich zahle deine Schulden.“
Im Krippenkind finden wir nicht nur die Weihnachtsromantik, sondern eben auch den Bruder und Freund, der genau dann mir zur Seite steht, wenn alles zusammenzubrechen droht. Dort, wo ich versage, wo ich Schuldscheine für mein Gewissen produziere, kommt Jesus Christus und tilgt sie. Das kann nur eine einzige Reaktion hervorrufen: Freude! So lasst uns nun voller Freude miteinander singen:
9. [14.]
Eins aber, hoff ich, wirst du mir, ·
mein Heiland, nicht versagen:
daß ich dich möge für und für · in, bei und an mir tragen.
So laß mich doch dein Kripplein sein;
komm, komm und lege bei mir ein ·
dich und all deine Freuden.
[15.] Zwar soll ich denken, wie gering ·
ich dich bewirten werde,
du bist der Schöpfer aller Ding, ·
ich bin nur Staub und Erde.
Doch bist du ein so frommer Gast,
daß du noch nie verschmähet hast ·
den, der dich gerne siehet.
Ansprache zweiter Teil
„dass ich dich möge für und für, in, bei und an mir tragen“ sangen wir gerade in der 14 Strophe. Die Hoffnung, dass Jesus Christus mir nicht verloren geht wird verknüpft mit dem Gedanken des Bereitseins für diesen rettenden Gott. Eine ungehobelte Krippe, gefüllt mit Stroh - das bin letztlich ich selber. Als Empfangender darf ich Gottes Freundschaft, seine Zuwendung und seinen Frieden annehmen. Gott kommt zu mir und bringt meine Lebensperspektiven durcheinander, richtet sie neu aus. Er richtet sie auf sich hin aus. Dies zu begreifen ist, weil einfach, doch unendlich schwer. Und so liegt auch in der letzten Strophe der betrachtende Mensch im Widerstreit mit sich selbst und dem Christusgeschehen. Himmel und Erde stehen sich gegenüber in unendlicher Distanz. Der Schöpfer der Erde und das Staubkörnchen. Treffender können die Gegensätze wohl kaum beschrieben werden.
Doch dem frommen Menschen nähert sich dieser Gott als frommer Gast. Obwohl Staubkorn, weist mich Gott nicht zurück. Obwohl Staubkorn erhebt er mich zu sich empor, hält mich für würdig, bei mir Wohnung zu nehmen. Da steckt mehr dahinter als die anrührende Weihnachtsromantik. Alles, was ich bin als staunend anbetender Mensch nimmt letztlich seinen Anfang im Kind in der Krippe. Eingeschlossen sind hier auch alle Veränderungen in meinem Leben. Der Perspektivwechsel vom zweifelnden, und betrübten in sich verkrümmten Menschen hin zum fröhlich lachenden hat seinen Grund im Kind-werdenden-Gott. Das geht über Weihnachten hinaus, auch über Karfreitag und öffnet letztlich eine himmlische Perspektive.
Mein Lebensumfeld mag mich hart ran nehmen, wenn sich der Krebs durch die Hoffnung frisst, wenn plötzlicher Tod zum höllischen Schrecken wird, wenn das Feuer höllisch brennt, weil der Schmerz über verpasste Lebenschancen so groß ist oder wenn Freunde zu Gegnern werden. Unter schwierigen Bedingungen mag ich meine Existenz sichern – darüber sieht auch Paul Gerhardt nicht hinweg, wohl aus der eigenen Erfahrung von Entbehrung, frühem Tod der Kinder und der Ehefrau. Hinter all dem steht jedoch das große ABER.
ABER du Gott hast Dich bei mir eingestellt.
ABER du Gott, wirst all das, was ich dir bringe und gebe, meine ganze Existenz, Herz, Seele, Geist und Sinn mir letztlich zurückgeben, weil du niemanden übersiehst, sei er auch noch so winzig wie ein Staubkörnchen der Erde.
Deshalb muss ich mich aufmachen, auch manchmal in der Kälte stehen, um den Gegnern der göttlichen Menschenfreundlichkeit entgegenzutreten, um ihnen zu zeigen: Ich könnte zwar auch anders, aber heute stehe ich hier, weil mein Gott mich nicht gering achtet und ich deshalb in jedem Menschen zuallererst das Ebenbild Gottes sehen will. Amen.
Gebet
Auf der Suche nach dem König unserer Herzen sind wir angekommen bei Christus.
Alles, was wir haben, breiten wir vor ihm aus, unsere Freude, unsere Gaben, unsere Fähigkeiten, unsere Schätze, Geist, Sinn Herz und Mut, aber auch unsere Sorgen, unsere Lasten unser Leid und unsere Schuld.
Wir bitten, sei uns zugewandt, barmherziger Gott, vergib uns, wo wir zweifeln und zagen, lass uns nicht in der Finsternis vergehen, sondern lass dein Licht durch das Christus in uns leuchten, dem wir unsere Herzen zur Krippen werden lassen wollen. Amen
Pfarrer Martin Hundertmark (hundertmark@thomaskirche.org)