Gedanken zum Tag
- 24.07.2020
- Landesbischof i. R. Christoph Kähler
Denkmäler stürzen?
Im Juli steht der Todestag des berühmten Humanisten Erasmus von Rotterdam in vielen Kalendern mit historischen Daten. Als uneheliches Kind einer Witwe und eines Priesters musste er sich seinen Weg in die große Welt mühsam suchen. Sein Leben und Lernen führten ihn durch viele westeuropäische Länder, bis er selbst zum gesuchten Lehrer und Autor vieler wichtiger Schriften wurde. Zu seinen bedeutenden Leistungen zählt auch der erste Druck eines Neuen Testaments in der griechischen Originalsprache mit einer neuen lateinischen Übersetzung. Noch zu seinen Lebzeiten gab es davon insgesamt fünf Auflagen. Martin Luther und viele europäische Bibelübersetzer nach ihm haben seine Ausgabe intensiv genutzt, um das Evangelium aus der Ursprache und nicht aus der lateinischen Bibel zu übertragen. Mit seiner Schrift „Die Klage des Friedens“ warb Erasmus für eine friedliche Verständigung unter den europäischen Fürsten mit Einsichten und Argumenten, die bis heute in der Friedensethik gültig sind. Insofern trägt das „Erasmus-Programm“ der Europäischen Union einen passenden Namen, weil es für Millionen junge Leute ein Auslandsstudium und damit ein besseres Verständnis anderer Völker ermöglicht.
Und doch gibt es auch in diesem Leben und Wirken vor fünfhundert Jahren Äußerungen, die uns heute befremden oder erschrecken. Erasmus hat geraten, das Alte Testament nicht hoch zu achten, und bezeichnete brieflich Juden als „Pest“. Was bedeuten solche Äußerungen für uns heute? Gewiss muss man sie aus ihrer Zeit heraus verstehen, denn viele damalige Theologen – unter ihnen auch Luther – haben sich so schlimm geäußert. Auch daran zu erinnern, bedeutet gerade nicht zu vergessen oder kleinzureden. Doch sollten wir darum fordern, die Denkmäler zu stürzen, das „Erasmus-Programm“ umzubenennen? Ich hielte das für falsch, weil nahezu jede große Gestalt in der Geschichte nicht ohne ihren Schatten zu haben ist. Der darf nicht verschwiegen werden. Er gehört ebenfalls zu unserer Geschichte und zu unserer Verantwortung, die wir heute selbstständig klären und übernehmen müssen. Denkmäler zu stürzen, hilft dabei nur ausnahmsweise.