Gedanken zum Tag
- 05.05.2020
- Röm.-kath. Pfarrer Markus Dieringer
Vieles ist anders in diesen Corona-Tagen. Meine gewohnten Abläufe sind durcheinander geraten. Mir fällt es schwer, meine Zeit im Home Office gut zu strukturieren. Schnell kann ich dem heranbrandenden Sturm der Nachrichten und Kommentare zur aktuellen Krise erliegen. Da tut es gut, Zeiten des Innehaltens einzulegen, Zeiten des Gebetes, in denen ich mich zentrieren und neu auf Christus, das Licht meines Lebens, ausrichten kann. Vor einigen Tagen erhielt ich dazu einen unerwarteten Impuls von außen.
Eine Freundin lud mich zu einer sogenannten Watch-Party auf Facebook ein. Was Sie, liebe Leserin und lieber Leser vielleicht in eine ganz andere Richtung denken lässt, entpuppte sich als Einladung zum gemeinsamen Abendgebet der Communauté von Taizé, der ökumenischen Brüdergemeinschaft im Burgund. Die Einfachheit der Gebete und Gesänge ist mir mittlerweile seit über drei Jahrzehnten vertraut und ich konnte mich sofort in diese Gebetsgemeinschaft „hineinfallen“ lassen und fühlte mich – obwohl nur online verbunden – geistlich zu Hause.
Aus der Perspektive der versammelten Brüder schaute auch ich auf die Freundschaftsikone von Taizé, die Christus Arm in Arm mit einem Abt zeigt, der für jeden seiner Jünger*innen stehen kann. Die einfachen Gesänge ließen mich zur Ruhe kommen. Die biblische Lesung beschränkte sich auf ein oder zwei Verse. Gestern Abend waren es Verse aus dem Hebräerbrief: „Gott hat uns eine Verheißung gegeben, damit wir einen kräftigen Ansporn haben, die uns dargebotene Hoffnung zu ergreifen. In ihr haben wir einen sicheren und festen Anker der Seele.“
Die Wiederholung in Englisch, Französisch und Spanisch lassen die Worte noch etwas weiter in die Seele einsinken und machen für mich zugleich die weltweite Gemeinschaft der versammelten Beterinnen und Beter spürbar. Und nach einem Antwortgesang folgt dann der wichtigste Teil des Gebetes – die STILLE! Wer Taizé-Gebete schon einmal miterlebt hat, weiß um diesen Schatz, aber auch um die Herausforderung, die Stille auszuhalten. Im Blick auf die Verse des Hebräerbriefes wurde ich auf einmal von einer großen Zuversicht erfasst, dass ich in Christus einen sicheren und festen Anker für meine Seele haben darf. Die gefüllte Stille der betenden Gemeinschaft in Taizé, die räumlich so weit entfernt ist, hatte mich erfasst.
Dankbar konnte ich am Ende der Stille in die Kyrie-Rufe und in die vielsprachigen Fürbitten einstimmen, auf Deutsch: Christus, du hast versprochen, den Geist der Wahrheit zu senden, lass uns deine Liebe erfahren, die alle Erkenntnis übersteigt. Auf Italienisch: Per coloro che lavorano negli ospedali - für das Krankenhauspersonal. Für Ärzte, Krankenschwestern, Pflegehelfer. Für ihre Familien...
Dieser Gebetszeit ab 20.30 Uhr schließe ich mich seit dieser lieben Einladung öfter an und finde so einen guten Tagesabschluss. Vieles ist anders in diesen Corona-Tagen. Meine gewohnten Abläufe sind durcheinander geraten. Wie überraschend und heilsam das manchmal sein kann!