Gedanken zum Tag

  • 30.04.2020
  • Pfarrerin Jutta Michael

 

Es haben sich so viele schöne Rituale gefunden in den letzten Wochen.

In unserem Stadtteil spielt eine Familie jeden Abend den Choral „Der Mond ist aufgegangen“. Ein Bläserquartett, feinste Qualität. Und je nach Stimmung und Anlass gibt es noch ein Abendlied für die Kinder dazu, etwas Österliches, ein Volkslied. Einige Leute warten immer schon auf dem Balkon, wir machen die Fenster auf, legen die Arbeit für den Moment weg. Danach wird applaudiert, mal ist das Klatschen aus allen Ecken zu hören, mal nur spärlich. Aber alle hören zu, der Streit hört auf, das Herumwirtschaften, das Geschwätz. Manchmal singt auch jemand mit.

Vieles nervt jetzt, aber das kann bitte bleiben! Der Moment Besinnung: Wir sind nicht allein unterwegs. Der Halt im Alltag: Das Leben ist nicht nur das, was wir täglich vor Augen oder in den Händen haben. Es fehlt so vieles, aber wir bekommen auch manches hinzu:

Die Erfahrung, dass Beschränkung auch mal guttun kann, das Erlebnis, dass Gemeinschaft entstehen, Solidarität wachsen kann, und dass wir zu guten Ideen in der Lage sind, ohne mit Gewinn zu rechnen.

Vielleicht ist deshalb gerade jetzt mehr Nähe trotz des Kontaktverbots. Das „liebe deinen Nächsten“ ist offenbar gerade gut möglich, weil wir viel Zeit haben, den Nächsten zu sehen, mehr Möglichkeiten, uns mit ihm auseinanderzusetzen und vor allem sehr viel zu tun haben mit dem gleichen Problem, zu dem wir uns alle zu verhalten haben.

Und so zeigt sich: Freundlichkeit unterliegt keinen Abstandsregeln, Mitgefühl hat keine Quarantäne.

Was von diesen Erfahrungen bleiben wird, hängt von uns ab. Wir wissen ja jetzt, dass wir unser Verhalten umstellen können. Wir sind in der Lage, unsere Sicht auf den Mitmenschen, die Umwelt zu verändern.

Ob das Bläserquartett im Sommer noch spielt? Vielleicht dann ein Konzert für alle, die sonst immer nur aus der Ferne zuhören konnten? Ich sollte sie dazu ermutigen, denn ihr abendlicher Gruß tut gut.