Gedanken zum Tag
- 18.04.2020
- Labdesbischof i. R. Christoph Kähler
Eine geheimnisvolle Gestalt am Heiligen Grab in der Stiftskirche von Gernrode
Wahrscheinlich stellt sie Maria Magdalena dar. Als erstes fallen ihre Hände auf: links wehrt sie ab, was auf sie zukommt, rechts zeigt sie ihre Demut, ihr Vertrauen, ja eine herzliche Begrüßung des Gegenüber. Ganz gewiss hat das nichts mit der jetzt gebotenen Corona-Vorsicht zu tun: „Ich halte Abstand, weil ich dich gern habe.“ Es passt aber gut zu der wichtigsten Geschichte von Maria Magdalena im Johannesevangelium (20,11-18) und ihren heftigen Kontrasten: Als Maria den Leichnam Jesu in der Grabeshöhle sucht, begegnet ihr der Lebendige, aber nicht im Grab, sondern davor. Aber sie erkennt ihn nicht. Ja, er spricht sogar mit ihr: „Frau, was weinst du? Wen suchst du?“ Doch nicht einmal an der Stimme erkennt sie den geliebten Meister wieder. Seltsam! Weder die Nähe, noch der Augenschein, noch seine erste Anrede erreichen sie wirklich. Erst als er ihren Namen nennt „Maria“, da durchfährt es sie. Diese Überraschung – ihn selbst, lebendig – hatte sie nicht erwartet. So erneuert sich die Beziehung zu ihrem Meister; „Rabbouni!“ redet sie ihn an. Die Begegnung ist anders, als alles Zusammenleben vorher, vor der Kreuzigung, vor dem Karfreitag.
Diese Erfahrung prägt fast alle Ostergeschichten. Der da kommt und seine Jünger in ihrer Totenklage anspricht, ihnen Mut macht, ist nicht mehr der Mensch, mit dem sie gelebt, gegessen und viel durchgemacht haben – bis zum Tod am Kreuz. Der jetzt als Erscheinung aus Gottes Himmel hervortritt, hat und behält etwas Schwebendes. Er lebt bereits in einer anderen Welt; in einer größeren, die unsere kleine Welt umfasst. Von dort erscheint er, von dort hilft er, von dort lässt er die Hoffnung aufstehen, dass sein Tod nicht das letzte Wort haben wird, kein Tod das letzte Wort haben soll.
Auch damit wird er der Bote Gottes, wie zu seinen irdischen Lebzeiten. Wir können ihn nicht mit menschlichen Händen berühren und festhalten. Er sagt: „Rühre mich nicht an!“ Und Maria Magdalena deutet in diesem Bild aus Gernrode an: „Ich habe verstanden! Ja, es bleibt eine Distanz zwischen deinem neuen Leben und meinem hier auf Erden. Wann und in welcher Gestalt du dich uns erscheinst und zeigen wirst, bleibt dein Geheimnis. Es wird immer wieder ganz anders sein. Doch wir vertrauen dir und deinem himmlischen Vater, dass unsere Welt mit ihren Krankheiten, mit ihrem Streit, mit dem menschengemachten Tod nicht das letzte Wort behält.“ Wir können den Auferweckten ahnen in einer Erneuerung des Leben, in einem neugeborenen Kind, in einer überraschenden Begegnung, in der Verzeihung, in der Liebe, die uns verbindet. Und in dem Vertrauen darauf, dass dieser Himmel unsere Erde und unser aller Leben umfängt.
(Bild: Heiliges Grab in der Stiftskirche St. Cyriakus in Gernrode)