Predigt Estomihi über Lk. 10, 38-42 

  • 02.03.2025 , Sonntag vor der Passionszeit - Estomihi
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

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Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herren Jesus Christus. [Amen]
[Stille]
Liebe Gemeinde, das missfällt mir. Wenn alles so schwarz weiß gezeichnet wird, wenn das Leben scherenschnittartig als Dichotomie beschrieben wird:
Hier die Guten, da die Bösen.
Hier die, immer alles richtig machen, da die, die falsch liegen.
Hier die Erfolgreichen, da die Verlierer. -
In unserm Predigttext, der Erzählung über Maria und Marta im Lukasevangelium (Lk. 10, 38-42), scheint so ein schwarz-weiß Raster auf:
Maria die, die alles richtig macht.
Marta die, die zurechtgewiesen werden muss.

Wir hören:
„Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“

Maria die, die alles richtig macht.
Marta die, die zurechtgewiesen werden muss.
Wollen wir das so stehen lassen? Wenn nicht, lasst uns nochmal genauer hinsehen. Da ist zunächst die Situation:
Jesus zieht mit seinen Jüngern über Land. Er predigt. Er antwortet auf interessierte Nachfragen und muss auch sich Fangfragen von Gesetzeslehrern stellen. Gerade noch hatte er die Nachfrage eines solchen Gelehrten, der angesichts von Jesus dachte: 'Jetzt will ich's aber wissen!' … gerade noch hatte Jesus das Doppelgebot der Liebe in Erinnerung gebracht und dem Frager am Beispiel des Barmherzigen Samariters gleichnishaft erklärt, wer denn der Nächste sei: jeder Mensch, der mich in diesem Moment braucht.
Auch uns bringe ich das Doppelgebot der Liebe hier in Erinnerung, wie es im Ersten Testament aufgeschrieben ist und wie es Jesus zu leben immer wieder einlädt:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“

… es ist unglaublich, mit wie viel Liebesworten dieser Gottesdienst angefüllt ist. Vorhin hörten wir die lange Epistellesung aus dem 1. Korintherbrief über die Eigenschaften der Liebe (1. Kor. 13, 1-13). Und nun steht außerdem auch diese Dreiheit der Liebe (zu Gott, zum Nächsten, zu mir selbst) im Raum. Lasst sie – diese Liebe in einem gerüttelt Maß – uns kurz vor Beginn der Passionszeit aufsaugen, ja aufschlürfen, in einem Tank mit nach Hause nehmen. Eine bessere Wegzehrung in den Sieben Wochen ohne können wir nicht kriegen! …

Weiter in der Situation. Jesus zieht über Land und predigt. Das macht hungrig, das macht – zumal in einem heißen Land – durstig. Wandern heißt hier, ohne Zuhause unterwegs zu sein. Jesus und die mit ihm gehen sind also darauf angewiesen, gastfreudig und gastfrei aufgenommen zu werden. (Wenn Sie letzten Sonntag im Gottesdienst waren, ist Ihnen ein solches gastfreies Haus schon einmal begegnet: das der Lydia in Makedonien. Sie nahm den Apostel Paulus und Silas auf. Und bat sie auch, jederzeit wieder bei ihr einzukehren.)
Jesus also, angewiesen auf die Gastfreundschaft anderer, findet in einem Dorf ein offenes Haus, einen offenen Menschen: „Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.“ Jesus tritt über die Schwelle. Und nun geht es natürlich los. Es MUSS losgehen! Eine Sitzgelegenheit richten. Einen Krug Wasser herbeischaffen, einen Becher dazustellen. Die Fensterläden so einstellen, dass der Raum nicht verdunkelt, aber vor der Sonne geschützt ist. Obst aufschneiden. Nüsse bereit stellen. Das Feuer im Küchenherd schüren, die Linsen ansetzen, das Gemüse schneiden, die Gewürze wählen. Die Ziege melken für einen fetten, stärkenden Trunk. Einen Krug mit Wein, einen mit Wasser füllen. - Für später am Abend (denn natürlich wird der Wanderprediger, wird Jesus über Nacht bleiben) die Bettstatt vorbereiten. Und ja, auch dies: den Abort prüfen.
 So tätig, so aktiv dürfen wir uns Marta vorstellen. So tätig, so aktiv auch Lydia die Woche davor für Paulus.  - Warum sind das immer Frauen? Wo bleiben in diesen Beschreibungen von planvoller Aktivität eigentlich die Männer?
Steigt in Ihnen vielleicht auch ein Wort auf, wenn Sie sich diese junge Frau Marta, die alles im Blick hat, die den Nachmittag und Abend schon durchgeplant hat, die hier- und dorthin läuft, vorstellen? Bei mir heißt dieses Wort: 'sie wuselt herum'. Sie kommt gar nicht zur Ruhe. Es ist so viel zu tun! Und es macht Freude, es ist eine tolle Herausforderung, die Marta da annimmt: alles planvoll zu schaffen. (Eine ganz besondere Art der Diakonie.)
Und dann? [Pause Pause Pause] Bleibt Marta wie angewurzelt stehen.
Sie kommt wieder in den Raum, in dem Jesus sitzt. Maria sitzt dort und hört zu. (Maria ist Martas Schwester. Sie leben zusammen in dem Haus.) Maria sitzt dort einfach nur da und hört Jesus zu.
Marta lehnt im Türrahmen. Ihr Herz pumpt, ihr Atem fliegt. Aber nicht, weil sie von der Küche in den Hof und von dort in den Kräutergarten geeilt und wieder zurück geeilt ist. Ihr Herz pumpt aus einem anderen Grund. Es bäumt sich auf. Marta fühlt sich nicht gesehen. Und da bricht es aus ihr heraus: „Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!“
[LAUT imitieren; vorher Triggerwarnung laut]
So groß die Wut.
So groß die Enttäuschung.
Ein Dammbruch.
Ein Aufschrei.
Und nochwas: Marta redet über den Kopf der Schwester hinweg. Sie ignoriert sie. Da ist die Schwesterliebe erstorben, die Luft im Raum gefroren.

Wie fängt Jesus diesen Aufschrei auf?
Er sieht Marta an. Und er redet sie an, gleich zweimal: Marta, Marta. Als besonders aufmerksam, als vielleicht  besonders liebevoll will ich das hören. Schon das tut gut.
Und mit einer Formulierung, die knapper nicht sein könnte, umreißt Jesus Marta und all ihre Verdienste: „Du hast viel Sorge und Mühe.“ Das umfasst alles, was ich oben im Detail aufgezählt habe: „Eine Sitzgelegenheit richten. Einen Krug Wasser herbeischaffen, einen Becher dazustellen. Die Fensterläden so einstellen etc.“ Sorge und Mühe. Jesus hat das sehr wohl mitbekommen. Das Herumwuseln. 'Ja, Marta, du versorgst mich mit allem, was ich brauche, du trägst Sorge, dass es mir gut geht. Und das kostet Kraft. Und es  ist sauanstrengend.'
„Marta, Marta. Du hast viel Sorge und Mühe.“
Jesus sieht das. Jesus sieht mich. In meiner täglichen Sorge. Dass alles läuft im Alltag, dass die Familie beieinander bleibt. Dass die Kinder ihre Termine schaffen. Dass sich die 90jährige Mutter geliebt fühlt. Dass die Ziele auf Arbeit erreicht werden. Dass einen der kostbaren freien Abende nun noch die Vorstandssitzung füllt. Jesus sieht das.

In unserer Geschichte von Maria und Marta fehlt noch der Schluss. Vor dem ich mich am liebsten drücken möchte. Denn ja. Er liest sich nicht schön. Jesus setzt in seiner Antwort auf Martas Ausbruch nach und äußert sich zum Verhalten von Maria. Dass sie da einfach nur sitzt. Und ihm zuhört: „Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
Das tut weh. Hier ist es, das Schwarz-weiß. Das Bewerten. Das Einteilen in gut und schlecht.
Marta wird abgewatscht. Maria geadelt.
Marta bekommt eine 4 minus. Maria eine Eins mit Sternchen.
Ist es so?

Manchmal hilft es, die Geschichten weiterzulesen. Ich blättere vor im Neuen Testament, verlasse das Lukasevangelium und komme zum Johannesevangelium. Dort, im 11. Kapitel, begegnen sie mir wieder, die beiden Schwestern Marta und Maria. Als die Geschwister von Lazarus. Lazarus ist gestorben, er ist schon ins Grab gelegt. Jesus wird ihn auferwecken. Das können die Schwestern nicht wissen. Das können sie nur hoffen.
Marta bleibt nicht – wie übrigens Maria – zu Hause. Es hält sie dort nicht. Sie läuft los, bis sie Jesus vor dem Dorf findet.
Und in dieser Begegnung lesen wir einen Dialog von einer dermaßen theologischen Tiefe, wie es sie nur in besonderen Momenten gibt. Bitte hören Sie (V. 23 ff.):
„Jesus spricht zu Marta: Dein Bruder wird auferstehen. 24Marta spricht zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. 25Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; 26und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? 27Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt.“
Marta, Du hast das gute Teil gewählt! Halleluja. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen.
Fürbitten

Guter Gott,
wir sind Narren.
Durch dein Wort wissen wir sehr wohl, wie wir es anstellen sollen:
In Glauben, in Hoffnung, in Geduld einander lieben (s. 1. Kor. 13).
Doch wir machen es anders:
Wir fallen einander in den Rücken oder reden schlecht übereinander.
Wir brechen in Ehen und Beziehungen ein.
Wir fangen Krieg an.
Wir bitten dich, Gott:
Fall uns in den Arm. Gebiete uns Einhalt. Führe uns zurück.

Guter Gott,
wir sind Narren.
Durch Dein Wort wissen wir sehr wohl, dass Leiden und Sterben zum Leben gehören. Jesus geht uns darin voran.
Doch wir sträuben uns, ihm zu folgen:
Wir verschieben das Altern auf später, wollen am liebsten für immer jung sein.
Wir haben keine Ahnung vom Tod und schweigen ihn tot.
Wir träumen von Schönheit und ewiger Gesundheit.
Den Gehandicapten hoffen wir, nicht zu begegnen.
Wir bitten Dich, Gott:
Hilf uns, dass wir unser jeweiliges Kreuz annehmen.
Wir wollen versuchen, es zu tragen, und bitten Dich, dass Du uns dabei hilfst.

Guter Gott,
wir sind Narren.
Durch Dein Wort wissen wir sehr wohl, was Not tut:
wie Maria bei Dir zu sitzen und in Ruhe auf Dein Wort zu hören.
Doch wir erwählen nicht das gute Teil.
Stattdessen hetzen wir herum, kümmern uns um dieses und jenes,
sind mit geteilter Aufmerksamkeit bei hundert Menschen und tausend Dingen,
lassen uns Stunde um Stunde vom Digitalen aufsaugen.
Wir bitten Dich, Gott:
Hilf uns auszubrechen aus dieser Sucht und Betriebsamkeit.

Guter Gott,
wir sind Narren.
Durch Dein Wort wissen wir sehr wohl, was es heißt, einander zu dienen.
Doch wir verzetteln uns in Theoriediskussionen und bei langwierigen Überlegungen, wo und wie man helfen könnte.
Wir überhören unsere Schwester, unsern Bruder, die uns gebeten haben, ihnen zu helfen.
Wir sehen geflissentlich darüber hinweg, wie viel Sorge und Mühe sie haben.
Wir bitten Dich, Gott:
Rüttle uns aus dem Schlaf des ewigen Abwägens und Überlegens.
Mache uns zu gutem Lande;
mach uns zu Menschen, die anpacken, die losgehen, die mitreißen.
    Lass uns auf dieser Wanderschaft in Liebe einander dienen.
    Das bitten wir Dich, Gott, Du Ursprung der Liebe.    Amen.