Einführungspredigt

  • 31.10.2025 , Reformationstag
  • Pfarrer Dr. Janning Hoenen

PDF zur Einführungspredigt HIER

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde in der Thomaskirche!

Es ist Reformationstag, hier in Sachsen ein Feiertag! Heute versichern wir uns der Grundlagen der reformatorischen Kirche. Wir erinnern uns daran, was prägend und fundamental für uns als evangelische Kirche ist.

Den entscheidenden Text Römer 3 haben wir bereits gehört – gelesen und gesungen. Die Lehre von der Rechtfertigung des Menschen allein aus Glauben, nicht aufgrund von Verdiensten, ist protestantisches Herzblut. So wie die 95 Thesen Martin Luthers, der Kleine Katechismus und das Bekenntnis von Augsburg.

Predigttext ist heute aber ein anderer Bekenntnistext – auch ihn haben wir bereits gehört als Lesung in der Einführungshandlung. Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Im Original auf Hebräisch: Schema Jisrael, Adonai elohenu, Adonai ächad.

Dieser berühmte Text aus dem Deuteronomium, dem 5. Buch Mose, ist nicht nur Bekenntnis von uns Christenmenschen, sondern noch viel grundlegender das zentrale Gebet unserer jüdischen Schwestern und Brüder, das mehrmals am Tag und an vielen wichtigen Gelegenheiten gebetet wird. Das Schema Jisrael. Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Im Hebräischen steht da nicht Herr, sondern der Name Gottes. Den sprechen die Menschen nicht aus, aus Respekt, aus Ehrfurcht. Stattdessen sagen sie Adonai, das bedeutet Herr.

II

Der Kontext ist wichtig: Das Deuteronomium, oder 5. Buch Mose, ist eigentlich eine große Rede des Mose. Nach 40 Jahren Zug durch die Wüste verabschiedet sich Mose von seinem Volk. Er, Mose, kommt ja nicht mit ins Gelobte Land, er darf nicht. Als voll seiner Sache ergebener Anführer geht er nicht, ohne das Allerwichtigste noch einmal zu wiederholen: Der Bund zwischen Gott und seinem Volk ist Grundlage für das neue Leben, das jetzt vor den Menschen liegt. Zu diesen Grundlagen gehören die Zehn Gebote, Mose wiederholt sie an dieser Stelle. Und dann die Ansage: Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer.

Mose hält diese Rede an der Schwelle zu etwas grundlegend Neuem. Die Zeit der Wanderschaft geht zu Ende, jetzt geht es darum, sesshaft zu werden, sich auf ein gemeinsames Leben im Land einzustellen, mit Regeln, mit Zukunftsplänen, im Vertrauen auf ein Gelingen.

Ein Moment, der Analogie hat zum heutigen Tag, diesem Tag meiner Einführung, auch wenn das damals etwas größer war (noch größer!) und gar nicht friedlich. Heute endlich, nach zwei Jahren Vakanz gehen wir los in einen neuen Abschnitt im Leben der Thomasgemeinde und auch im Leben meiner Familie und mir. Wir wissen noch nicht, wie es werden wird – das wussten aber auch die Israeliten nicht. Sie hofften darauf, vertrauten darauf, stellen sich darauf ein, dass es gut wird.

Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer.

III

Mose beginnt seine theologische Grundlegung mit einer besonderen Aufforderung: Höre, sagt er. Er fängt nicht mit einem tu dies oder tu das an. Er sagt nicht: organisiert schnell dies, diskutiert heut noch jenes. Klärt bitte, wie ist das zu finanzieren? Schaut zu, dass Ihr dies durchsetzt.

Erst einmal geht es ums Hören.

Hört genau! Hört hin! Lasst Euch die nötige Zeit dafür.

Und wirklich: Das beschreibt meine Aufgabe jetzt in der ersten Zeit als Pfarrer an der Thomaskirche: Zuhören. Hören, was ist. Ein bisschen auch, was war, aber nicht zu viel. Hören, was die Wünsche sind, die Visionen, die Hoffnungen, die Ängste. Hören, was die Menschen hier in der Gemeinde brauchen. Hören, wie die Stadt Leipzig tickt, was sie von St. Thomas erwartet. Was die Menschen wirklich bewegt, hier vor Ort. Sagen Sie es mir, ehrlich und offen. Ich möchte zuhören.

Und es wäre toll, wenn Ihr, wenn auch Sie hören könntet – aufeinander und miteinander. Vielleicht auch mal auf mich, was ich so mitbringe: meine Erfahrungen, meine Ideen, meine Bedenken.

Wir hören ganz selbstverständlich hier immer wieder besonders auf die Musik, allen voran Johann Sebastian Bachs Musik. Auf den Thomanerchor, die Organisten, die Posaunen, die singende Gemeinde.

Und dann natürlich hören auf Gott: Was Gott für uns bereithält, was er sich für uns wünscht. Woran er leidet. Wer er wirklich ist.

IV

Mose bittet uns, gut auf diesen Satz zu hören: Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Und auf die Fortsetzung: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.

Das ist ein ganz grundlegendes Glaubensbekenntnis. Jüdinnen und Juden bekennen es. Alle Christen aller Konfessionen bekennen es, es ist ein ökumenisch verbindendes Bekenntnis. Auch unsere muslimischen Cousins und Cousinen sind dieser Überzeugung.

Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Du sollst ihn lieb haben.

Wir hören das und meinen: Lasst uns doch auf diese gemeinsame Überzeugung bauen, immer wieder und immer weiter aufeinander zugehen. Ökumene und Zusammenarbeit der Religionen stärken, in geschwisterlicher Freundschaft, mit Respekt und Wertschätzung

An diejenigen in dieser Stadt, die nicht damit rechnen, dass es einen Gott gibt, die ihn nicht lieb haben können, geben wir unsere Überzeugung weiter: Doch, wir glauben an Gott. Höre, Leipzig, der Herr ist unser Gott, und er kann auch euer Gott sein, wenn Ihr das möchtet. In der Thomaskirche wird das laut und ganz unbeirrt verkündet. Gesprochen, gesungen, musiziert, in der diakonischen Arbeit weitergegeben.

So kommen wir ins Gespräch miteinander, über alle Grenzen hinweg. Herzliche Einladung.

V

Der Satz „Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer“ kann uns also miteinander verbinden. Er wird in seiner Kehrseite aber zugleich scharf und kritisch und damit zu einem reformatorischen Text, der evangelische Freiheit verkündet. „Der Herr ist unser Gott“ heißt gleichzeitig: Gott ist Gott, sonst keiner. Ihm gehört die Ehre. Es kann keine anderen Götter geben.

Zu Moses Zeit war das ganz wörtlich gemeint, da verehrte jedes Volk seinen eigenen Gott und Auseinandersetzungen zwischen Völkern wurden zu Kämpfen zwischen Göttern erklärt.

Martin Luther schrieb vor genau 500 Jahren zu unserem Text: „…niemand kann einen Gott haben, wenn er nicht allein an ihn hangt und ihm allein vertraut; sonst wird er zu mancherlei Werken hingerissen werden und sich verschiedene Götter erdichten … denn die Natur kann nicht anders, als Abgötterei treiben“ (Martin Luther: Annotationes zum Buch Deuteronomium 1525, 1423).

In heutiger Sprache bedeutet das: Kein Mensch, keine Institution, keine Idee darf göttlichen Status bekommen, Macht und Geld und Ruhm sind irdische Dinge. Luther hat dies gegenüber der Kirche seiner Zeit betont, die Bekennende Kirche gegenüber dem nationalsozialistischen Staat, und manch US-amerikanische Bischöfin erinnert gemeinsam mit Demonstrierenden im ganzen Land ihren Präsidenten daran, dass er weder Gott noch König ist.

Menschen sind Menschen, ob reich oder arm, ob mächtig oder machtlos. Institutionen und Ideologien sind Menschenwerk, nicht mehr und nicht weniger.

So wird der harmlose Satz „Der Herr ist unser Gott“ zum Sprengstoff gegen autoritäre Tendenzen in Staat und Kirche. Das Bekenntnis ist Grundlage reformatorischer Theologie und Fundament unserer demokratischen Gesellschaft.

VI

Ich finde es beeindruckend, wie Mose seinem Volk diesen Satz einschärft. Diese Worte, so Mose, sollen sich alle zu Herzen nehmen, den Kindern einschärfen, beständig davon reden, sie auf Hand und Stirn schreiben und an die Pfosten und Tore des Hauses. Sie sollen sie öffentlich bekunden, sie sollen Zeichen in der Öffentlichkeit setzen, die diese Worte bezeugen.

Die Thomaskirche mit all dem, was an ihr geschieht, ist so ein öffentliches Zeichen, mit der Musik, der Verkündigung, der Gemeindearbeit. Ein Leuchtturm inmitten des Häusermeeres. Und hört: Wir werden uns einmischen in die Debatten in der Stadt, werden unsere Werte und Überzeugungen, unsere Visionen und unseren Glauben einbringen.

Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass öffentliche Ausübung der Religion für alle möglich ist, wir werden dafür kämpfen, dass jeder und jede seine Religionszugehörigkeit zeigen kann, ohne Angst zu haben.

Die Thomaskirche und ihre Menschen werden nicht schweigen.

VII

Liebe Gemeinde! Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer.

Mose hat dies zu den Israeliten gesagt, und Jüdinnen und Juden beten das Schema Jisrael regelmäßig. In Respekt und Dankbarkeit haben wir diese Worte gehört und wir nehmen sie uns zu Herzen, auf unsere Weise. Denn für Christinnen und Christen ist dieser Gott derselbe, der sich in Jesus Christus offenbart hat, der für uns geboren wurde, gelebt und gelehrt hat, und der für uns gestorben und auferstanden ist.

Auch Jesus hat das Schema Jisrael mit Überzeugung gesprochen. Die Aufforderung, Gott zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all meiner Kraft hat er zu seiner Sache gemacht, und weitergeführt: Ganz so wie Gott sollst Du auch deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Recht verstanden ist das der Sinn eines jeden Bekenntnisses, das erst einmal streng und etwas gesetzlich daherkommen kann: Aus dem Bekennen wird Liebe. Die Glaubensüberzeugung fordert zur Tat heraus. Aus der formalen Zuordnung von Gott und Mensch wird eine Beziehung und eine Gemeinschaft.

Gott ist unser Gott – das ist das Entscheidende. Gott ist nicht fern, für sich, irgendwo im Weltall. Gott ist für uns, immer für uns.

Mit diesem Vertrauen, dieser Hoffnung können wir uns jetzt gemeinsam auf den Weg machen, Sie mit mir, ich mit Ihnen, wir alle mit Gott. Hier in St. Thomas, hier in dieser schönen Stadt.

Amen.