Dialogpredigt über Epheser 4, 11-15
Propst Gregor Giele und Pfarrerin Britta Taddiken haben diese Predigt zum Thema "mündig" im Ökumenischen Gottesdienst zum Pfingstmontag auf dem Thomaskirchhof gehalten.
- 21.05.2018 , Pfingstmontag
- Pfarrerin Taddiken und Propst Gregor Giele
Dialogpredigt „Mündig" (Epheser 4,11-15) Pfingstmontag, 21. Mai 2018
Gregor Giele
Trotz meines Alters kann ich mich noch gut erinnern, denn es war immer die gleiche Erfahrung. Als Jugendlicher habe ich meinen 14. Geburtstag herbeigesehnt, weil ich doch dann einen Personalausweis erhielt und mündiger Staatsbürger wurde. Da musste doch etwas anders werden? Und dann war der Tag da und nichts war anders. Kurzdarauf freute ich mich auf meine Firmung, weil es bei der Vorbereitung immer hieß: „Mit der Firmung werdet ihr mündige Christen." Und am Tag nach meiner Firmung war alles, wie am Tag davor.
Und schließlich erreichte ich mit 18 die Volljährigkeit - und es änderte sich zunächst nichts.
Britta Taddiken
Und dann warst Du irgendwann sogar Priester und am Ziel Deiner Träume ... und was war? Ich glaube, davon können wir alle ein Lied singen - von diesem: wenn ich dieses oder jenes erst mal geschafft habe, Leute, dann geht das Leben erst richtig los, ab da wird alles anders! Na ja, nichts ist's! Ob nun der Priester, die Pfarrerin, der Professor, die Abteilungsleiterin, der Bundestagsabgeordnete oder Bundeskanzlerin - das sagt erst mal noch gar nichts. Wir sind sogar viel mehr der Gefahr ausgesetzt, die hier im Epheserbrief angesprochen ist: dass wir uns nämlich „von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen". Je weiter Du kommst, umso höher wird auch die Erwartungshaltung an Dich. Und da stehst Du dann mehr denn je vor der Frage: Aus welchem Geist will ich denn eigentlich heraus handeln und gestalten?
Gregor Giele Aus welchem Geist heraus will ich handeln? - das ist eine wichtige Frage, die sich der Glaubende praktisch jeden Tag heraus neu stellen muss. Allerdings hat das für mich immer den Geschmack, dass es ganz auf mich ankäme, auf meine Entscheidung, auf mein Tun. Ich kann die Sache aber auch ein wenig andres sehen: Wenn Gott mich, wie es im Epheserbrief heißt, zum „Lehrer" oder „Hirten", zum „Evangelisten" oder „Propheten" gemacht hat, wenn er mich an die Stelle einer Familienmutter, eines Arbeiters, einer Rentnerin oder einer Pfarrerin gestellt hat, wenn er uns hier in Leipzig haben will, dann ist das zunächst ein Geschenk, eine großzügige Gabe Gottes, die wir dankbar annehmen dürfen. Und unser Auftrag ist es dann, dort, wo Gott uns hingestellt hat, gut, menschenfreundlich und gottgefällig zu wirken - aber eben nicht nur aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft und Klarheit und Eindeutigkeit seines Geistes. Der mündige Christ ist für mich immer ein aktiver - aber aus dem Geist Gottes heraus.
Britta Taddiken
Das ist alles richtig. Aber das ist mir noch zu glatt. Denn das geht ja nicht automatisch, das merke ich doch an mir selbst. Ja, ich weiß, was ich an guten Gaben von Gott geschenkt bekommen habe. Aber sie dann auch sozusagen in den Mund zu legen und diesen dann auch aufzumachen - dazu erlebe ich mich selbst und andere als oft viel zu träge. Oder ich halte um des lieben Frieden willens viel öfter die Klappe als mir lieb ist. Mündig sein kostet etwas, es kostet Kraft und man muss auch den Konflikt riskieren. Wenn ich merke, dass im Bekanntenkreis oder auch in der Gemeinde abfällig und menschenverachtend über andere hergezogen wird, dann muss ich sagen: Leute, das ist nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar. So nicht! Ich merke, wie mich die langsam aber sicher fortschreitende Verrohung unserer Sprache ärgerlich aber auch müde macht. Manchmal bin ich's auch leid, mündig sein zu müssen.
Gregor Giele
Jetzt kann man deutlich heraushören, dass das ein ökumenischer Gottesdienst ist: wir liegen gar nicht so weit auseinander, haben eben nur einen etwas unterschiedlichen Zungenschlag bei der eigentlich gleichen Meinung und Sichtweise. Für mich ist Mündigkeit sicher zuerst ein Geschenk, manchmal einfach durch das Erreichen eines Alters oder einer Reife wie bei Personalausweis, Alkoholtrinkerlaubnis und Volljährigkeit. Wir Christen werden durch die Gabe des Heiligen Geistes mit Mündigkeit beschenkt. Aber dann gilt es, diese Geschenk zu nutzen, einzusetzen -auch wenn es anstrengend ist. Aber wenn Abstimmungsunterlegene nicht verlieren können, selbst in einer Bischofskonferenz, dann braucht es mündige Christen, die an den Geist Jesu, den Geist der Barmherzigkeit vor allem Festhalten an Regeln und Gesetz, erinnern. Wenn Krawallmacher im Bundestag strukturell das erste Wort haben, braucht es mündige Bürger und Christen, die dafür sorgen, dass sie nicht das letzte Wort behalten. Paulus hat auch heute noch Recht: es gibt zu viele Lehren, die eher ein trügerisches Spiel von Menschen sind, mit dem sie uns arglistig verführen. Wenn wir da als Christen aus was für Gründen auch immer schweigen, statt kraft des Geistes, der uns geschenkt ist, mündig den Mund aufzumachen, dann ist das - um es mit einem starken Wort zu sagen - unterlassene Hilfeleistung für unsere Zeit, für die Gesellschaft, für die Menschen um uns.
Britta Taddiken
Lieber Gregor, das ist wirklich ein starkes Wort: „unterlassene Hilfeleistung". Stark deswegen, weil klar ist: Das bleibt nicht ungeahndet. Denn: Wir verweigern uns in diesem Fall nicht nur unseren Mitmenschen, die unsere Solidarität und Unterstützung brauchen, sondern wir sind das Gegenteil von dem, wozu Paulus uns hier auffordert: „wahrhaftig zu sein in der Liebe". Wir sind schlicht unwahrhaftig und auch unglaubwürdig, wenn wir diese Hilfe unterlassen. Denn wer Menschen verächtlich macht, macht sie als Gottes Ebenbilder verächtlich - und damit auch Gott selbst. In Rom kann man diesen schönen „Bocca de la verita" finden, auf Deutsch: „Mund der Wahrheit". Er ist auf unserem Gottesdienstprogramm abgedruckt. Die Legende sagt, wer seine Hand in den Mund dieser Figur legt und dabei nicht die Wahrheit sagt, dem wird sie abgebissen. Eine etwas drastische Form zu beschreiben: Unwahrhaftigkeit und Lüge haben fürchterliche Folgen. Und wenn wir uns vor unserer Mündigkeit als Christen drücken, dann hat das Folgen, dann bestimmen tatsächlich diese Menschenverächter, die du als Krawallmacher bezeichnest, das allgemeine Klima unserer Debatten im gesellschaftlichen Raum.
Insofern leuchtet mir gerade die römisch-katholische Lehre sehr ein, dass die „Acedia", die Faulheit, die sich gegen Sorge, Mühe oder Anstrengung wendet, zu den sieben Todsünden gehört. Wir versündigen uns gegen unsere Mündigkeit, wenn sie uns zu anstrengend ist. Nun feiern wir zum Glück Pfingsten, wo wir uns vergewissern, dass Gott uns durch seinen Heiligen Geist immer wieder herausreißt aus unserm Verzagen, aus unserem Herumeiern, aus unserem Gefühl, es ist doch alles vergeblich. Um diesen Geist kann ich nur immer wieder bitten. Ich denke, unser tägliches Gebet ist gerade ein Zeichen unserer Mündigkeit, weil wir wissen: Es ist die Voraussetzung dafür, dass unser Mund und unser Herz zur rechten Zeit das Rechte zu sagen wissen.
Propst Gregor Giele und Pfarrerin Britta Taddiken