"Besinnung am Wochenende" in der Lutherkirche

  • 27.07.2019
  • Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann

Liebe Samstagsgemeinde hier in der Lutherkirche,

„Lebenszuversicht“ – das ist etwas, was man viele Jahre lang ganz selbstverständlich zur Verfügung hat: eine grundlegende seelische Ressource im Leben. Und zugleich ist es etwas, das einem plötzlich verlorengehen kann. Vor allem alte Menschen erleben das. Davon redet schon der 71. Psalm, der in der Lutherbibel unter der Überschrift steht: Bitte um Gottes Hilfe im Alter. In Vers 5 heißt es: „Du bist meine Zuversicht, Herr, mein Gott, meine Hoffnung von meiner Jugend an“ (Ps 71,5)

 

Die Lebenszuversicht verlieren, dazu gibt es ganz verschiedene Anlässe: Manchmal ist es ein heftiger Schmerz, der sich und uns mitteilt, dass unsere Knochen alt und abgenutzt sind. Manchmal ist es eine kurze Mitteilung, dass unsere Kinder auf unseren Rat keinen Wert legen. Manchmal ist es ein zunehmendes Gefühl, dass das, was mein Leben mir kostbar gemacht hat – eine sinnvolle Aufgabe, ein erfülltes Liebesleben, anregende Gespräche – kaum mehr vorhanden ist. Manchmal ist ein Weg durch die Dübener Heide und das Erschrecken über die vielen vertrockneten hohen Kiefern. Und manchmal ist es der Eindruck, dass auch der Glaube zerbröselt und mein Gebet keine Kraft mehr hat. Die Lebenszuversicht, d.h. die Freude am Leben, die Hoffnung auf Kommendes, die Lust etwas mitzugestalten und mitzutun, das Vertrauen auf meine Kraft und die anderer – das ist plötzlich verschwunden. Der Psalmbeter kennt wohl solche Empfindungen, denn der Psalm beginnt mit dem Gebetsruf: „Herr, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich…“ Und wenn der Beter sagt: „Du bist meine Zuversicht, mein Gott“, dann höre ich das nicht als ein trutziges Bekenntnis, sondern eher als eine dringende Bitte: „So war das doch immer, Gott, und so lass es doch wieder sein, dass du wieder meine Zuversicht bist und meine Hoffnung.“

 

Was dem Dichter des Psalms besonders zu schaffen macht, sind „Feinde“ – er nennt sie „Gottlose“ und „Tyrannen“, die ihm in dieser Situation nachstellen und ihm Angst machen, Mächte, die er sprechen hört: „Gott hat ihn verlassen; jagt ihm nach und ergreift ihn, denn da ist kein Erretter.“ Ich weiß nicht, ob diese Feinde reale Menschen waren oder eher innere Stimmen. Es sind Mächte, die ihn in Ängste stürzen. Das kennen auch wir, wenn uns die Lebenszuversicht ausgeht: Da spricht nicht nur der einzelne Schmerz im Rücken zu uns, sondern da erheben sich zugleich andere Stimmen und sagen: „Das wird nun immer schlimmer mit deinem alten Körper.“ Oder da erlebe ich nicht nur den einen Fall, wo jemand auf mich keinen Wert legt, sondern da höre ich viele Leute, die denken: „Der ist doch zu nichts mehr zu gebrauchen.“ Wir kennen diese Feinde – Stimmen, die Angst schüren und die aus Grau ein totales Schwarz malen. Erst die machen aus dem einen Anlass zur Mutlosigkeit eine lähmende Krise. Erst die rauben die Zuversicht.

 

Aber wir brauchen Lebenszuversicht als eine Grundressource unseres Lebens. Und deshalb reden wir von ihr, weil wir auf Wege hoffen, Zuversicht und Hoffnung zu erneuern. Wenn ich es recht sehe, gibt dazu der Psalmdichter drei gute Hinweise.

Der eine ist: Er igelt sich nicht ein. Er verstummt nicht vor Schmerz und Angst. Er fängt an zu reden. Er betet. Er fleht zu Gott, dass Gott ihn, den Beter, nicht verwerfen und verlassen soll. Auch wir sollten in Krisenerfahrungen nicht stumm werden, sondern Worte für das suchen, was wir erleben und was wir befürchten. Wir sollten Gesprächspartner suchen: einen Freund, die Partnerin, einen Seelsorger, und: Gott selbst.

Der zweite ist: Er benennt bestimmte „Feinde“, die ihm nachjagen. Wenn wir Worte finden und aussprechen, was wir erleben – im Gespräch mit guten Menschen und mit Gott, dann verstummen unsere Feinde, die inneren Stimmen. Dann unterbrechen wir deren Rede, dass doch alles keinen Sinn mehr hat und dass alles nur noch schlimmer wird. Gebete können Kampfmittel sein gegen die Hoffnungslosigkeit in uns und um uns herum. Sogar in der Nacht, wenn die feindlichen Stimmen uns besonders wirkungsvoll bedrängen. Und auch mit guten Gesprächen kann man die feindlichen Stimmen der Hoffnungslosigkeit zum Verstummen bringen.

Und der dritte: Der Psalmbeter schöpft bei seinem Gebet aus dem Reservoir seiner Frömmigkeit. „Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt“, betet er. Immer wieder warst du „meine Zuversicht, Herr, und meine Hoffnung von Jugend an“. Wenn er augenblicklich auch Schweres durchmacht, so hat er dennoch vertraute Worte und Töne, an denen er sich festklammern und sich der Nähe Gottes vergewissern kann. Sein Psalm ist voller Zitate aus anderen Psalmen: „Herr, auf dich traue ich!... Du bist meine Zuversicht, meine Hoffnung von Jugend an.“ Es ist heilsam, wenn es einem die Sprache verschlägt, auf solche Worte der Hoffnung zurückgreifen zu können, die – hoffentlich – in unserer Seele gespeichert sind. Wir sollten diesen Sprachbesitz im Alter gut pflegen: Worte der Hoffnung, bewährte Worte gegen die Angst.

 

Lebenszuversicht. Dass sie bedroht sein kann, wissen wir. Aber wir sind nicht machtlos den Feinden ausgeliefert, die uns Angst und Hoffnungslosigkeit einflößen wollen. Wir haben die Waffen unserer Worte und unserer Gebete, um gegen sie zu kämpfen. Gott sei Dank. Amen