"Besinnung am Wochenende" in der Lutherkirche

  • 13.07.2019
  • Prof. Dr. Jürgen Ziemer

Text: Psalm 27, 1 - Lebenskraft

 

Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten?

Der Herr ist meines Lebens Kraft – vor wem sollte mir grauen?

 
 

Liebe Besucherinnen und Besucher, liebe Gemeinde!

 

I.

Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten!

Wer so spricht, hat es gut!

Ein klares Bekenntnis des Vertrauens – dazu eine Frage, die die Antwort schon in sich trägt: Natürlich muss ich niemanden fürchten. Und wie in Psalmen üblich. wird das wiederholt:

Der Herr ist meines Lebens Kraft – vor wem sollte mir grauen!

Es gibt Menschen, denen spürt man es ab: sie leben davon und ziehen daraus Lebenskraft, ohne Eitelkeit, ohne Krampf, schlicht und überzeugend. Ja, so möchte ich es auch können!

 Es sind dann nicht die Worte, es ist vor allem die Person, die überzeugt. Mir sind einige solcher Menschen begegnet. In ihrer Schlichtheit und Festigkeit haben sie mich beeindruckt, nicht selten auch beschämt.

 Aber manchmal ist es auch ganz anders, wenn jemand so spricht: vor wem sollte ich mich fürchten? Da stellen sich Fragen ein: ist das auch geprüft, hat es Bestand? Stehen die es sagen auch mit ihrer Person dahinter?

Der Schriftsteller Elias Canetti hat vor vielen Jahren eine kleine Charakterkunde geschrieben. Darin kommt auch ein Typ vor, den er „Gottprotz“ nennt: „Der Gottprotz muss nie fragen, was richtig ist, er schlägt es nach im Buch der Bücher…Was immer er unternehmen will, Gott unterschreibt es. Er findet die Sätze, die er braucht.“ (Der Ohrenzeuge, 1990, 87f) Mancher „Gottprotz“ platzt vor lauter Frömmigkeit, fromme Sätze gehen ihm leicht über die Lippen. So dass es eine unter Druck setzt, aber auch fragen lässt: Ist es wahr?

 Der Herr ist meines Lebens Kraft – vor wem sollte mir grauen? Viele von uns würden sich danach sehnen so glauben zu können. Aber wie gelange ich dahin? Es gibt einen eher weltlichen und einen mehr geistlichen Weg.

 II.

 Es fängt, denke ich damit an, dass wir uns fragen, was dieses Psalmwortes mit unserem Alltag zu hat. Da ist das Bekenntnis „vor wem sollte ich mich fürchten?“ doch alles andere als eine Frage, die sich selbst beantwortet.

Der Angstpegel bei den meisten Menschen steigt: trotz all dem Lebenskomfort, den wir genießen, trotz aller Sicherheitssysteme auf den Straßen, bei den Banken, im Internet. Wir haben Angst! Angst, etwas zu verpassen oder zu verlieren. Es gibt dafür objektiv Gründe: der Klima-Wandel, der die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet, die anwachsende Ungleichheit der Lebensverhältnisse, der auf Dauer die politische Stabilität in Deutschland und Europa in Frage stellt. Das tangiert unser Lebensgefühl.

 Stärker fällt hier aber unser persönliches Verhalten ins Gewicht. Wir haben es verlernt, mit dem, was bedrohlich, was unerledigt, was störend ist, bewusst und zuversichtlich zu leben. Ich komme erst zur Ruhe, wenn die letzte Rechnung bezahlt, die letzte Mail beantwortet, das letzte Missverständnis geklärt ist. Das aber passiert fast nie. Immer ist etwas noch rasch zu erledigen. Ich finde ich keine Ruhe, kehrt mein Vertrauen nicht zurück. Das zehrt an meiner Lebenskraft.

Ist denn also das Wort aus dem 27. Psalm eine utopische Formel? Der Herr ist meines Lebens Kraft – vor wem sollte ich mir grauen?

 Der Psalmbeter, der zum ersten Mal so betete, befand sich indessen durchaus nicht in einem Zustand der vollkommenen Glückseligkeit, für ihn war keineswegs alles erledigt ist, was Angst macht.  Wir hören von Feinden, die ihn bedrohen, von Verlassenheit und von Unrecht, gegen das er sich wehren muss. Das ist bei ihm so. Dennoch hält er fest : Der Herr ist meines Lebens Kraft - wovor sollte mir grauen?

Der Psychologe Willi Butollo meinte kürzlich, es wäre hilfreich, „wenn Menschen mehr zu ihrer Unsicherheit stehen würden… Dann muss man nichts mehr verstecken… Unsicherheit ist etwas Menschliches, Stattdessen haben wir den Fetisch Sicherheit entwickelt – und die Kehrseite davon ist das Kumulieren von Angst.“ (SZ 4.7.19, S. 8)

Der Psalmbeter versteckt nichts. Darin beruht, psychologisch gesagt seine Lebenskraft.

 III.

 Aber er zeigt auch einen geistlichen Weg und zeigt wie sein Lebensvertrauen sich immer wieder erneuert. In der Mitte des Psalms sagt er:  „Eins bitte ich vom Herrn“: „dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn“ (Ps, 27, 4). Er bittet Gott nicht, dass er alle Probleme und Gefahren von ihm fernhalte. Aber er bittet, am Gottesdienst teilhaben zu dürfen Er ist sich sicher, dort immer wieder die Lebenskraft zu gewinnen, die er braucht.

Ist das eine Lösung? Würde es unsere Lebensangst bannen, unsere Lebenskraft stärken, häufiger zum Gottesdienst zu gehen? Dafür gibt es in Leipzig gute Gelegenheit! Das freilich sollte natürlich jeder und jede für sich selbst entscheiden.

Ob im Gottesdienst oder anderswo: Gelegenheiten sind notwendig, bei denen ich spüre, dass Gott seine Hand nach mir ausstreckt. Das ist die geistliche Voraussetzung dafür, um in all den Ungewissheiten und Unfertigkeiten meines Alltags zuversichtlich leben zu können.

 Meister Eckart, der mittelalterliche Mystiker (gest. 1328), bringt uns vielleicht auf eine Spur dahin:

               

Dass der Mensch ein ruhiges

und nachdenkliches Leben in Gott hat,

                        das ist gut;

                        Dass der Mensch sein mühevolles

Leben mit Gott erträgt,

                        das ist besser;

aber dass man Ruhe habe mitten im mühevollen Leben,

                        das ist das allerbeste,

Ein Mensch gehe über das Feld

und spreche sein Gebet und erkenne Gott

Oder er sei in der Kirche und erkenne Gott.

Denn Gott ist gleicher Weise in allen Dingen und an allen Stätten…

(zit. bei Jörg Zink, Gotteswahrnehmung, 2009, 351)

Wo ich ihm nahe komme hier oder da, da wächst das Vertrauen:

Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen!

 

Amen

 

Jürgen Ziemer, ziemer@uni.leipzig.de