"Besinnung am Wochenende" in der Lutherkirche
- 06.07.2019
- Pfarrerin Jutta Michael
Ansprache zu Psalm 13,6
Liebe Besucher unserer Zeit der Besinnung in der Lutherkirche,
schön, dass Sie gekommen sind.
Wir wenden uns in diesem Jahr den Psalmen zu. Wir werden miteinander entdecken, dass diese alten biblischen Texte von dem reden, was Menschen bewegt. Sie reden von dem, was Menschen froh macht, was sie bedrängt, von Sorgen und Ängsten, von neuem Lebensmut. Sie reden in einer Sprache, die wohl um die 2 ½ Tausend Jahre alt ist, und dennoch so genau in der Beschreibung der Gefühle, in treffenden Bildern, in einfühlsamen Worten, dass sie bis heute ansprechen und das Leben verstehen helfen. Wir haben unsere Reihe deshalb dieses Jahr so genannt: Psalmen – Worte zum Leben.
Ich las einen Bericht zum Thema Einsamkeit. Einsam sind vor allem Menschen, die allein leben, meist ungewollt, die einen Partner verloren haben, die keine natürlichen sozialen Kontakte mehr haben, weil die Kinder aus dem Haus sind, sie nicht mehr zur Arbeit gehen, eine Krankheit sie an das Haus, die Wohnung, das Bett fesselt. Das ist so, teilweise. Das ist die traurige Kehrseite unserer schnellen und optimierten Lebensweise. Das beobachten wir schon lange und an vielen Stellen wird erfolgreich dagegen gewirkt, auch von den Kirchgemeinden mit ihren sozialen Diensten.
Was andererseits überraschend ist: die auf der anderen Seite, die zwischen 20 und 30 Jahre alten Menschen, die das Tempo vorgeben oder vorzugeben scheinen, die ihr Leben in den Bezügen Beruf, Wohnort und Partnerschaft versuchen zu optimieren: die sind genauso einsam. Zumindest ein Teil von ihnen, so zeigen neueste Studien über die Forschung zur Einsamkeit. Dabei ist auch hier mit Einsamkeit nicht das gewollte und gewählte Alleinleben, das heilsame Alleinsein gemeint, sondern ungewolltes Alleine-Sein, der Verlust von Beziehungen.
Der Psalm, der uns heute zum Nachdenken anregt, ist Psalm 13. König David hat ihn in der Zeit geschrieben, da er glaubte, von Gott und der ganzen Welt verlassen zu sein. - Und dann dieser Schluss, der letzte Vers:
„Ich traue aber darauf, dass du so gnädig bist; / mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut.“
Was war geschehen? Wenn man die Verse vorher liest, fragt man sich, wie das Ende des Psalms diesen dankbaren Ausdruck haben kann. Da klingen Davids Worte anders: Klagen und Flehen und Bitten bringt er vor. Er klagt Gott seine Verletztheit:
„Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele / und mich ängsten in meinem Herzen täglich?“
Dabei klingt der Vorwurf mit, Gott habe das Elend verschuldet, weil er sich abgewandt hat von David:
„HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?“
Gleichzeit ahnt der Beter, dass der Zustand nicht dauert. „Wie lange“ heißt ja, es gab schon eine Zeit ohne Einsamkeit, es gab eine Zeit der spürbaren Gottesnähe, der erfüllenden Beziehung. Und deshalb sucht er danach, lässt den Zustand nicht einfach so stehen, sondern wird aktiv, indem er die Erinnerung an die guten Erfahrungen wach ruft:
„Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott!“
Wer so bittet, weiß aus eigener Erfahrung, dass es Zeiten des Glücks gab, Zeiten gelingender Beziehung, Zeiten, in denen Angst und Sorge nicht so bestimmend waren, dass nichts anderes spürbar blieb. Dieses andere will der Psalmbeter natürlich wieder haben. Deshalb zapft er quasi an seine guten Erfahrungen an. Er erinnert sich an Momente, in denen er nicht einsam war. Deshalb kann er den Psalm auch im Vertrauen beschließen. Er will darauf vertrauen, dass er nicht bei seinen Schwierigkeiten stehen bleibt, er vertraut darauf, dass sich auch für ihn wieder ein Weg auftut.
Das ist das Resümee, was der Psalmist am Ende zieht. Er, der so lang und hart bedrängt wurde, sagt zu sich selbst mit festem Entschluss: „Ich singe zu Gott, und Preise Ihn für seine Taten.“
Anders gesagt: Er will vertrauen, er bleibt nicht bei seinen Schwierigkeiten stehen.
Und dieses Vertrauen ist der erste Schritt: Jedes ermunternde „Du schaffst das!“ vor der Prüfung, das freundliche „Das wird gut!“ vor dem Vorspiel schöpft aus dieser Quelle. Es ist der Vertrauensvorschuss, den Gott in jedem angelegt hat.
Die Generation der Macher, der Gestalter, der Die-Welt-neu-Erfinder entdecken gerade, dass nicht alles machbar ist und manchmal das Einfachste fehlt, zum Beispiel Nähe und Vertrauen. Ich las von Kuschelpartys, die einzig dem Zweck dienen, soziale Nähe herzustellen und das zu tun, was in gesunden zwischenmenschlichen Bezügen dazu gehört: In den Arm nehmen, streicheln, die Hand halten. Dinge, die für Menschen, die einander nahe sind, selbstverständlich sind. Das baut Stress ab und aktiviert das Glücksgefühl.
Und immer mehr Menschen schaffen für sich andere Formen von sozialen Strukturen als der üblichen Familienstruktur: Unter der Überschrift: „Familie, aber anders“ gab es gerade diesen Donnerstag den Leitartikel der Wochenzeitung DIE ZEIT. Es wird festgestellt, dass viele Menschen ihr Glück in Lebensgemeinschaften suchen, die jenseits des Vater-Mutter-Kind-Klassikers aufgebaut sind. 40% der Haushalte werden von einer einzelnen Person bewohnt.
Es gibt eine große Zahl von Müttern oder Vätern, die ihre Kinder allein großziehen. In 20 Jahren wird jeder fünfte Einwohner 67 Jahre und älter sein und aus verschiedenen Gründen auch allein leben.
Was sind die neuen Formen? Da gibt es Senioren-WGs, da gibt es Wohnanlagen wie kleine Dörfer, von einer Genossenschaft gebaut. Diese und ähnliche Wohnprojekt könnten in Zukunft vielen Menschen Vorbild sein als wirksames Mittel gegen die Einsamkeit.
Menschen haben verstanden, dass es nichts hilft, dem alten Modell von Beziehung nachzutrauern und dabei viel wertvolle Lebensenergie zu verschwenden. Sie wagen es, ihre Situation ganz anders zu betrachten, also die Perspektive zu wechseln. Sie haben den Mut, den Rahmen viel weiter zu stecken und finden so eine Lösung für ihr Problem. Das Alleisein muss nicht zur Einsamkeit werden. Der unglückliche Umstand eröffnet Möglichkeiten, den Zustand zu ändern und nicht zu manifestieren.
Der plötzliche Sinneswandel in Psalm 13 ist ein Zeichen dafür, dass es gelingen kann, die alten Muster zu verlassen. Der Psalmbeter vertraut Gott. Er erinnert sich an Zeiten des Glücks, an Zeiten gelingenden Lebens und will sich nicht damit abfinden, dass die vorbei sind. Daraus zieht er die Kraft, in die Zukunft zu schauen und er erkennt: Was wir grade empfinden, was wir grade erleben, ist nicht die alleinige Wirklichkeit, Gott kann viel mehr, als wir uns vorstellen können. Amen
Pfarrerin Jutta Michael