Besinnung am Wochenende in der Lutherkirche

  • 26.08.2017
  • The Rev. Dr. Robert G. Moore

Liebe Gemeinde,

in den Vereinigten Staaten war die Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand vor allem nach dem zweiten Weltkrieg sehr populär - und das, obwohl Amerika als ein christlich geprägtes Land gilt. Denn was Rand gelehrt hat, ist das Gegenteil des christlichen Glaubens. In einem Interview hat Rand ihre Philosophie mit diesen Worten beschrieben: Der Mensch existiert für sich selbst, und die größte Aufgabe des Menschen ist, sein eigenes Glück zu verfolgen. Der Mensch muss sich nicht für Andere opfern, auch nicht für seinen Nächsten. Viele kennen eine solche Philosophie. Es ist im Kern ein extremer Individualismus und ein Glaube nur an sich selbst. Ayn Rand verstand sich selbst als antireligiös und antichristlich.
Doch was ist denn im Gegensatz zu Ayn Rand der Kern der christlichen Lehre, also der Kern dessen, was wir Rand entgegensetzen können? Vor fast 500 Jahren hat Martin Luther das Buch über die „Freiheit eines Christenmenschen" geschrieben. Darin kam Luther zu dem Schluss:
Aus dem allen ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten. In Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.
Für Luther ist das Zentrum des Glaubens die Verkündigung, dass Gott Jesus von dem Tod auferweckt hat. Daraus erwächst die Freiheit des Menschen, aber auch sein Gebundensein. Dieses zu begreifen ist ein Geschenk von Gottes Geist: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." (1. Kor.3,17)
Luther machte in seiner Schrift klar: Freiheit ist weder beliebig noch willkürlich. Vielmehr führt sie in die Verantwortung. Das beschreibt er meisterhaft mit zwei Sätzen, die am Anfang seiner Schrift stehen:
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über all Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Luther versuchte in seinem Traktat, diese zwei gegensätzlichen Thesen aufeinander zu beziehen, ja sie zu versöhnen. Darum spricht er vom inneren und vom äußeren Menschen. Der innere Mensch ist der, der frei von aller äußerlichen Dinge ist, um das Wort Gottes als Gebot und Zusage zu hören. Der innere Mensch ist immun gegenüber allem, was Körper und Seele bedroht. Der innere Mensch muss nichts tun, um dieses Wort zu empfangen, sondern nur das Wort hören zum Seligkeit. Der äußerliche Mensch ist der, durch die Liebe Gottes befähigt wird, dem Nächsten zu dienen. So können wir auch heute bestätigen, ein Christenmensch ist beides: ein freier Herr und ein dienstbarer Knecht.
Das Problem mit dem inneren und äußeren Menschen ist: Der innere Mensch will Gott nicht vertrauen und versucht den äußeren Menschen auszunutzen, mit guten Werken das von Gott zu gewinnen was von Gott nicht gewonnen werden kann. Luther übte seine Kritik gegen die Kirche, da sie funktionierte als ob das Evangelium nicht mehr gültig wäre oder als ob es nie existiert hätte. Luther verweist auf den Apostel Paulus, der einen anderen Weg anbietet. Im Philipperbrief beschreibt er den Weg Jesu. Jesus wurde ein Mensch wie wir, voll und ganz. Er hat gedacht wie wir und gefühlt wie wir. Aber: Dieser Weg der Entäusserung und der Erniedrigung macht den Mensch noch unsicherer. Der Mensch ist hauptsächlich ein ängstliches Wesen, das versucht sich selbst zu etablieren, aus sich selbst zu leben. Die Wahrheit ist, dass der Mensch sterblich ist, und diese Wahrheit lauert immer im Hintergrund von jedem Versuch autonom zu leben, getrennt von Gott und vom Nächsten, wie Ayn Rand das sehen würde. Die Ängste sind nicht beiseitezuschieben. Wir können alles tun, um tapfer zu sein, um uns groß zu machen, und um uns unabhängig vorzustellen. Aber je öfter und je stärker wir versuchen, die Ängste zu entrinnen, desto tiefer gefangen finden wir uns. Wer rettet uns, wenn wir uns selbst nicht retten können?
Natürlich ist für Luther Jesus die Antwort, dessen Name Luther am Kopf seines Büchleins einschreibt. Jesus ist der Weg des absoluten Vertrauens. Das Evangelium verkündigt die gute Nachricht, dass Gott barmherzig ist und die Rechtfertigung des Menschen ohne gute Werke dem Menschen zuspricht. Wenn ein so freier Gott diese Realität spricht, dann ist der Menschen auch frei, gute Werke zu tun, ohne dass der das Seine sucht, sondern das Gute des Nächsten zu pflegen. So kann Paulus und Luther uns mahnen in Worten, die die Philosophie von Ayn Rand widerspricht:
3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, 4 und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. (Philipper 2,3-4)
Amen
Gebet
Nicht ich allein, mein Gott,
bin auf dich angewiesen.
Viele sind es, die deine Hilfe brauchen.
Ich bitte dich für die Menschen,
die mir anvertraut sind,
für mich sorgen,
mit mir zusammenarbeiten.
Ich denke an die Menschen,
die besondere Verantwortung tragen
in unserer Gemeinde
und in der ganzen Christenheit,
für unser Land
und für die Gemeinschaft der Völker.
Gott, du bist unsere Hoffnung
auf Freiheit,
auf Gerechtigkeit und Frieden
bei uns und überall in der Welt.
Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.

The Reverend Dr. Robert G. Moore
Reformationsbotschafter der Stadt Leipzig und
Vertreter der Evangelical Lutheran Church in America