Besinnung am Wochenende am 29. Juli 2017
- 29.07.2017
- Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann
Glauben - Gott vertrauenThese 11 aus Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen".
Der Mensch muss an etwas glauben. Darüber sind sich die meisten Menschen heute einig. Der Mensch braucht einen Glauben. Aber an einen Gott im „Himmel", an den Vater Jesu Christi glauben? Das scheint den meisten fremd, wider die Vernunft, manchen sogar gefährlich zu sein. Gottesglauben: Da soll ich glauben, dass die Erde in sechs Tagen geschaffen wurde oder dass eine Jungfrau vom Heiligen Geist schwanger wurde? Gottesglauben: Ist der nicht oft verbunden mit einem absoluten Wahrheitsanspruch, mit Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, ja sogar mit Gewalt? Ist es nicht ein extremer „Gottesglaube", der dafür sorgt, dass sog. „Gläubige" Bomben legen, um sog. „Ungläubige" zu vernichten?
Der Mensch muss an etwas glauben, sagen wir. Aber woran?
- An mich und das, was ich mit meiner Kraft schaffen und bewirken kann, denken viele.
- An verständliche Ideale, wie man die Welt verbessern kann, denken andere, z.B. an eine gerechte Weltordnung;
- an Gesundheit durch gesundes Essen und Sport...
Der säkulare Mensch von heute ist mit seinem Versuchen, Gutes zu bewirken und daran zu glauben, den vielen einfachen Menschen zu Martin Luthers Zeit durchaus ähnlich. Man dachte damals zwar stets religiös. Dass Gott existiert, war selbstverständliche Grundüberzeugung. Aber die vielen komplizierten Glaubensvorstellungen überließ man dem Klerus, und man konzentrierte sich auf das Tun guter Werke: auf Geldspenden für die Kirche, auf praktische Hilfe für die Armen. Daran glaubte man, und dass man so das Heil erlangen könnte. D.h.: dass man so auf dem richtigen Weg war - für Zeit und Ewigkeit.
Der Mensch muss an etwas glauben. Ob Luther dem Satz zugestimmt hätte?
- Ja, hätte er gesagt: Der Mensch kann nicht nicht glauben. Wer nicht an Gott, den Vater Jesu Christi, glaubt, macht sich seinen Abgott, seinen Götzen.
- Aber er hätte zugleich Nein gesagt. Denn seiner Meinung nach muss der Mensch nicht zuerst an „etwas" glauben, weder an intellektuell schwer zumutbare Vorstellungen noch an eigene Erfolge mit frommen oder sonstigen auffälligen Leistungen. Das eine lenkt ebenso vom Kern des Glaubens ebenso ab wie das andere.
Vielmehr ist der christliche Gottesglaube im Kern Vertrauen, ein personales Vertrauen. So wie wir in unserem Leben einem bestimmten Menschen vertrauen, weil wir ihn für authentisch, wahrhaftig und gut halten, so gilt das auch für Gott. Wir vertrauen ihm, indem wir ihn für wahrhaftig und gut halten. Und dass wir ihm vertrauen können, das hängt mit Jesus Christus zusammen. Er zeigt, wer Gott ist und wie er ist: einer, der sich lieber umbringen lässt, als dass er von seiner Liebe zu den Menschen lassen würde. An einer Stelle der Freiheitsschrift Luthers heißt es: „Damit du aus dir und von dir (gemeint ist: von deiner Sünde, von deinen Anstrengungen, alles allein gut und richtig zu machen, von deinem bloßen Glauben an dich selbst) herauskommen möchtest, deshalb setzt Gott dir seinen lieben Sohn Jesus Christus vor und lässt dir durch sein lebendiges tröstliches Wort sagen: Du sollst dich in ihn mit festem Glauben ergeben und frisch auf ihn vertrauen. Dann sollen dir um dieses Glaubens willen alle deine Sünden vergeben, soll all dein Verderben überwunden sein..."
Der Mensch muss glauben, wenn er getröstet leben will. Martin Luther hat in seiner Zeit die Christenheit wieder darauf hingewiesen, dass der christliche Gottesglaube im Kern Vertrauen ist, Vertrauen auf den Gott mit dem Gesicht Jesu Christi. Die Umstände für einen solchen Glauben haben sich heute stark verändert. Es ist nicht mehr eine fragwürdig gewordene christliche Verdienstfrömmigkeit, die uns umgibt. Der Ruf zum Vertrauen auf Gott erklingt vielmehr heute in einer säkularen Gesellschaft, in der viele nur noch an sich selbst glauben und in der wohl auch deshalb Solidarität Mangelware geworden ist. Und er erklingt in einer Zeit, in der es vielen schwer fällt, nicht zu verzweifeln - aus persönlichen, aber auch aus gesellschaftlichen und politischen Gründen. Wir feiern 500 Jahre Reformation in einer Zeit, in der Vertrauen zu einer kostbaren Ressource geworden ist.
Manchmal hat das Reformationsjubiläum skurrile Züge angenommen. Lutherkekse oder Luthersocken braucht eigentlich keiner. Aber die Reformation ist vor allem eine Revolution im Glauben. Glauben - das heißt: Gott vertrauen. Nicht einem Gott der Gewalt, sondern des Friedens, nicht einem Propheten, der sich vorwiegend als Krieger hervorgetan hat, sondern an den Prediger der Feindesliebe. Dem Gott mit dem Gesicht Jesu Christi vertrauen. In diesem Gottesglauben liegt eine Ressource zum getrosten Leben. Weil ich nicht mehr nur um mich selbst besorgt bin, habe ich Hand und Herzen frei für andere. Und selbst wenn ich an Grenzen stoße und keine Lösungen mehr weiß in persönlichen oder politischen Krisen, muss mein Vertrauen noch nicht zu Ende sein. Denn das Reservoir des Gottesglaubens ist groß, weil es von Gott selbst durch sein Wort gespeist wird. „Es ist nichts anderes als die von Christus geschehene Predigt, wie sie das Evangelium enthält. Die ... ist dazu angetan, dass du deinen Gott zu dir reden hörst", so drückt es Martin Luther aus.
Der Mensch muss an etwas glauben. Und weil das so ist, ist er eingeladen, an den Gott
zu glauben, dem man vertrauen kann und der uns vertraut. Ihm sei Dank in Ewigkeit. Amen
Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann