Besinnung am Wochenende am 19. August 2017

  • 19.08.2017
  • Pfarrerin Jutta Michael

Liebe Gäste und Besucher der Lutherkirche,
Sie haben sich einladen lassen, über Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" nachzudenken. An den vergangenen Samstagen ging es um den inneren Menschen, um sein Verhältnis zu Gott, sein Leben aus Gottes Zusage.
Wenn es nun um den äußeren Menschen geht, sein Dasein in der Welt, geht es auch um den Begriff der Freiheit.
Dieses Wort verliert wohl nie seinen Zauber.
Wir haben so viel Freiheit wie keine andere Generation vor uns. Wir können leben wie wir wollen, wir können arbeiten, viel oder wenig, wir können reisen, denken, sagen tun so fast alles was wir wollen.
Wir sind so frei, dass es uns beinahe schwindelt.
Wenn die Schülerinnen und Schüler, die ich im Fach Evangelische Religion bis zum Abitur begleiten darf, vor der Studienwahl stehen, zeigt sich an der freien Wahlmöglichkeit etwas davon. Und nicht selten sind die jungen Menschen unentschieden ob dieser Möglichkeiten.
Wonach sollen sie entscheiden? Nach dem eigenen Gefühl, glücklich zu werden? Nach dem guten Verdienst? Danach, wie nützlich und sinnvoll der Beruf für andere ist?
Nachdem der Rausch der erfahrenen Freiheit von Stundenplan und Klausuren, von Lieblingslehrern und Pflichtfächern, vom 90 Minutentakt Montag bis Freitag verflogen ist, kommt die nüchterne Erkenntnis:
Zu irgendetwas muss man sich entscheiden, und wenn es erstmal das Nichtstun ist. Diese Phase hält für gewöhnlich solange an, bis es mindestens dem jungen Menschen selbst unbehaglich wird ob des Nichtstuns. Meistens sind andere da schneller, aber das ist ein anderes Thema.
Klar wird ihnen: Es braucht Maßstäbe für diese Entscheidung, für jenen Platz im Leben und in der Welt.
Diese frisch erworbene Freiheit, sie funktioniert offenbar nicht ohne Bindung. Gut, wenn wir darauf vertrauen können, dass sich ein Weg für uns findet in solchen und ähnlichen Situationen.
Wenn wir auf etwas vertrauen können, dann hält uns das den Rücken frei, wenn wir uns der Welt zuwenden.
Wenn uns zusichert wird: Es ist dein Weg und er ist gut so.
Für Martin Luther gehörte diese Erkenntnis zu denen, um die er für sein eigenes Gottesverständnis, um seinen eigenen Glauben rang.
Und er fühlte selbst die Freiheit der Erfahrung, dass der Glaube allein frei macht von aller Pflicht, ein gottgefälliges Leben zu führen. Ihm wurde klar, dass alles, was zu tun der Mensch sich berufen fühlt, aus dieser inneren Freiheit heraus erwächst.
Dann stellt sich die Frage: Warum muss der Mensch dann überhaupt etwas tun? Insbesondere etwas, das gut ist, sinnvoll oder in Kontext des Glaubens gesagt: gottgefällig.
Wir sind doch schon gerechtfertigt im Glauben ohne unser Tun!
Das scheint nicht zu genügen. Ein Unbehagen stellt sich ein, weil wir offenbar so beschaffen sind, dass wir etwas leisten wollen. Uns messen wollen, beweisen, dass wir etwas leisten können, uns nützlich machen, sinnvoll leben.
Für Luther ist das ein folgerichtiger Aspekt. Wir sind zwar in den Augen Gottes gut, so wie wir sind. Aber wir sind das als Menschen, die mitten im Leben stehen, in einer Welt, die gestaltet werden will.
So beschreibt das Luther in seiner 20. These:
Obgleich nun der Mensch inwendig, nach der Seele, durch den Glauben genügend gerechtfertigt ist, so bleibt er doch noch in diesem leiblichen Leben auf Erden und muss seinen eigenen Leib regieren und mit Leuten umgeben.
Also doch wieder: das Müssen? Die Freiheit nur ein schöner Schein? Kommt durch die Hintertür doch wieder die Pflicht, für die Seligkeit eine Gegenleistung zu bringen?
Luther sieht die Welt und den Menschen darin realistisch.
Ja, auch der gerechtfertigte Mensch steht noch in der Welt. Der Mensch muss „seinen eigenen Leib regieren und mit Leuten umgehen".
Ja, wir müssen uns, ob wir wollen oder nicht, verhalten zu der Welt, die uns umgibt.
Wir sind in ihr Zeit unseres Lebens und haben die Aufgabe, unseren Platz zu finden.
Selbst wenn wir nichts tun, verhalten wir uns ja schließlich zu ihr.
Der Zustand des Nichtstuns kann selbst gewählt sein, etwa um neu oder erst einmal überhaupt sich zu orientieren und heraus zu bekommen, wo es hingehen soll. So, wie die Abiturienten nach dem Abschluss der Schule.
Wenn er aufgezwungen ist, etwa durch Arbeitslosigkeit, wird das von vielen Betroffenen als unbefriedigender Zustand erlebt. Es fehlt der alltäglich greifbare Bezug zur Welt und zum Mitmenschen.
Wenn wir aber jenen Ort gefunden haben, an dem wir unsere Beziehungen knüpfen, eine erfüllende Arbeit finden, dann fühlt sich das nicht wie eine lästige Pflicht an, sondern spiegelt wieder, dass wir in Übereinstimmung mit uns selbst handeln.
Wenn ich das tun kann, was ich richtig finde, dann habe ich auch das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.
Und ich bin andererseits unzufrieden, wenn ich gegen meine Überzeugungen handele.
Der Glaubende ist also der Gerechtfertigte. So wird er, weil er das prinzipielle JA Gottes für sich hat, auch das tun, was ihm entspricht und möglich ist.
Er lebt aus Gottes Zusage ihm gegenüber. Er wird frei von Angst.
Luther sah den Menschen hier in einem Prozess, unterwegs auf der Suche nach Formen der Lebensgestaltung, welche diese Freiheit in gleichzeitiger Bindung an Gott möglich machen.
So nennt er den Glauben auch Zuversicht.
Solcherart zuversichtlich und motiviert bringt sich der Gerechtfertigte handelnd ein in die Welt, begegnet anderen in der Liebe, aus der er selbst lebt.
Machen unsere jungen Menschen also alles richtig auf dem Weg in die Freiheit?
Wenn sie sich erstmal Zeit nehmen, chillen und abwarten, nicht gleich weiter in die Tretmühle hinein, wie sie es empfinden?
Ich erlebe junge Menschen, die sich die Entscheidung nicht leicht machen, die auf keinen Fall machen wollen, was alle tun.
Und was man früher an dieser Stelle so für Schritte gegangen ist, interessiert sie sekundär.
Ich kenne junge Menschen, die sehr genau in sich hinein hören um heraus zu finden, was ihnen entspricht.
Und sie haben ihre Mitmenschen im Blick. Denn sie wissen sehr wohl, dass ihr Sich-Ausprobieren unmittelbar damit zusammenhängt, das sie mit anderen umgehen werden.
„Wie finde ich denn heraus, ob das Gute, das ich tue, nicht aus Egoismus geschieht sondern wirklich aus Nächstenliebe?", fragte neulich ein Schüler im Religionskurs.
Es ging um eben jene Folgerung aus der Rechtfertigung für das Zusammenleben. Ist es wirklich das freie, selbstgewählte Tun, aus Liebe? Oder schiele ich schon wieder danach, dafür anerkannt zu werden? -
Solange solche Fragen gestellt und engagiert diskutiert werden, können wir uns darauf verlassen, dass die Frage nach der Freiheit richtig gestellt und bei ihrer Beantwortung der Nächste im Blick ist.
Amen
GEBET
Wir denken an die Opfer von Terror und Gewalt.
Unsere Sorge und unser Mitgefühl bringt uns zusammen. So treten wir im Gebet vor dich Gott.
Sei bei den Angehörigen, die sich Sorgen machen um die Verletzten; sei bei denen, die trauern um die Getöteten.
Sei bei denen, die sich mit denen beschäftigen, die -verführt von verbogenen und verqueren Vorstellungen - religiöse Pflicht falsch verstehen und irrigen Freiheitsversprechungen nach laufen.
Halte unsere Neugier wach für Fragen des Glaubens,
bestärke uns mit deiner Liebe für den Alltag.
Behüte uns und alle, an die wir jetzt denken.
Vater unser

Pfarrerin Jutta Michael