Besinnung am Wochenende
- 07.07.2018
- Landesbischof i. R. Christoph Kähler
Wir Menschen sind Kinder eines himmlischen Vaters,
er hat dich und mich, uns alle, geschaffen. Darum darf ich Sie ansprechen:
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Unsere Besinnung am Wochenende hält sich in diesem Jahr an die Wochensprüche. Der Spruch der kommenden Woche steht im Buch des Propheten Jesaja Kapitel 43:
So spricht der HERR, der dich geschaffen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
(1) Geradeheraus gefragt: Wovor fürchten Sie sich?
Gehören Sie zu denen, die nichts und niemanden fürchten? Wenn es so ist, dann wünsche ich Ihnen, dass das mit guten Gründen lange so bleiben kann. Aber ich weiß andere, denen ist angst und bange.
Wovor? Vor dem nächsten Befund. Wie niederschmetternd wird die Diagnose sein?
Oder vor der nächsten Umstrukturierung in der Firma und vor der Frage: Wird es meinen Arbeitsplatz dann noch geben? Das Problem gibt es auch in unseren Kirchen! Wer geht denn heute noch in einen Betrieb als Lehrling und verlässt ihn mit einer wohlverdienten Rente nach 40 bis 50 Jahren Arbeit? Jeder Wechsel in der Firma aber stellt heute ein Risiko dar. Die Arbeitsbiografie der jungen Leute ist - vorsichtig gesagt - ziemlich bunt, nicht selten prekär. „Fürchte dich nicht?" Ist das realistisch?
Andere fürchten sich vor den neuen Kriegen: vor Handelskriegen, die gerade jetzt beginnen; und vor Bürgerkriegen in der Ukraine, in Nahost und in Afrika. Nach 73 Friedensjahren in Deutschland rücken uns bewaffnete Konflikte näher. Die Flüchtlinge aus diesen Gebieten sind schon da. Die Angst vor ihnen bestimmte in den letzten Wochen die deutsche Politik in einem geradezu furchterregenden Ausmaß.
Gründe, sich zu ängstigen, gibt es genug. Und die eigentliche Furcht ist immer die, das eigene Leben zu verlieren: durch Krieg, durch Krisen oder durch Krankheit. Unsere wirklichen Befürchtungen richten sich nicht auf Fußballergebnisse und spielerische Niederlagen, sondern auf das, was unser Leben ausmacht: auf Gesundheit, Arbeit, Frieden im Kleinen wie im Großen.
(2) Dies alles ist kostbar, spätestens bewusst in den Zeiten, in denen wir es vermissen. Eigentlich können wir seine Kostbarkeit schon dann empfinden, wenn wir es erleben und genießen dürfen. Denn ist es auch - richtig bedacht und nicht nur einfach hingenommen - ein Grund zu Lob und Dank, zu tiefstem Dank. Denn wir haben unser Leben nicht selbst geschaffen, auch das meiste nicht, was unser Leben bis heute ausgemacht hat und weiter ausmachen wird. Es beginnt schon damit, dass unsere Eltern den Mut zu Kindern hatten. Es gehört Mut dazu, Kinder zu haben - damals wie heute.
Auch zu der insgesamt erstaunlich langen Friedenszeit haben wir nur einen sehr geringen Teil selbst beigetragen.
Und noch unsere eigene Arbeit und unsere persönlichen Leistungen setzen die Vorarbeit vieler anderer Menschen voraus, vor und neben uns. Wir verdanken anderen viel; sehr viel mehr, als uns täglich bewusst ist. Wenn wir aber alles zusammennehmen, was unser Leben ausmacht, was wir anderen verdanken, dann ist das- bin ich überzeugt - kein Zufall. Das hat sich nicht einfach so ergeben. All das - zusammen genommen und richtig bedacht - kann uns dankbar werden lassen. Dabei wird irgendwann die Frage unabweisbar: Wem verdanken wir das alles, was unser Leben ausmacht? Diese Frage und die Dankbarkeit können uns zu dem Vater hinführen, der uns geschaffen hat und uns weiter erhält, also zu Gott, dem Herrn über Leben und Tod. In diesem Sinn sind die Menschen, die uns zu leben geholfen haben, seine Beauftragten, seine Boten - in biblischer Sprache: seine Engel. Nur er darf daher sagen: „Fürchte dich nicht!" Nur bei ihm ist das kein billiger Trost. Denn er ist der, dem wir mit unserer Dankbarkeit zugleich Rechenschaft schulden. Auch das klingt an, wenn es im Wochenspruch heißt: „ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!". Er ist der, der uns durch andere und durch unser Gewissen anspricht. Auch auf das, was in unserem Leben nicht in Ordnung war und ist. Was der Prophet, den wir den zweiten Jesaja nennen, zunächst darüber zu sagen hat, lohnt sich nachzulesen. Denn er lässt den Propheten zu seinem Volk sagen: Ich rufe dich bei deinem Namen und befreie dich aus der Gefangenschaft, aus dem Exil. Aber er sagt es nicht ohne Erinnerung an das frühere Versagen, nicht ohne Erinnerung an die eigene Verantwortung, an menschliche Verantwortung für Gottes Schöpfung. Aber er belässt es nicht bei der schmerzhaften Erinnerung und dem Hinweis auf die Fehler, die Völker und Menschen in ihrem Leben machen und mit denen sie sich und andere belasten.
Seine Beziehung zu uns, seinen Menschenkindern, beruht auf einer ganz anderen Grundlage: „Du bist mein!" Das meint nicht nur unsere Herkunft, das meint nicht nur die Ursache unseres Lebens. Es meint den Einen, der uns begleitet. Es meint den Gott, der auch am Ende unseres Lebens stehen wird, der am Ende unseres Lebens zu uns steht und uns zu sich nimmt. „Du bist mein!" das steht gegen alle anderen Besitzansprüche, die wir im Laufe unseres Lebens erleben. Es steht auch gegen das Ende, gegen den gefürchteten Tod. Denn der Vater, der uns ins Leben gerufen hat, wird uns auch nicht mit dem Tod aus seiner Hand fallen lassen. Sein Wort gilt: Du bist mein.
Das hilft mir gegen alle Furcht, mein Leben gänzlich zu verlieren. Amen