Besinnung am Wochenende

  • 28.07.2018
  • Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann

„Impulse zum Leben", Thema: „Schwer gefordert" (Lk 12,48)

Liebe Gemeinde,
es gibt Sprüche in der Bibel, die versteht man sofort - oft ganz unabhängig davon, ob man Christ ist oder nicht. In ihnen wird eine allgemeine Erfahrung wiedergegeben, der man gut zustimmen kann. Der Wochenspruch der kommenden Woche ist solch eine allgemeine Lebensweisheit, die Jesus in einer Rede aufnimmt: „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern."

Eine allgemeine Lebensweisheit: Starke Schultern können viel tragen. Wer viel hat, kann viel geben. Wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern. Vielleicht denken wir zunächst an die Eliten in unserer Gesellschaft. Von einem Weltmeister im Fußball erwartet man nicht nur sportliche Höchstleistungen, sondern auch politisches Verantwortungsgefühl. Der Präsident einer Weltmacht sollte nicht nur ein fähiger Politiker, sondern auch eine moralisch integre Person sein, für die man sich nicht schämen muss. Einem wohlhabenden Menschen gönnt man sein schönes Haus oder sein schnelles Auto, wenn er zeigt, dass er auch abgeben und für andere mitsorgen kann. Besonders begabt zu sein oder zur gesellschaftlichen bzw. lokalen Elite zu gehören, das ist nicht nur schön, sondern mitunter auch schwer. Oben wird die Luft dünner. Man wird beobachtet. Es entstehen Erwartungen, denen man sich nicht entziehen kann. Sicher: Ich kann viel tun, Gott sei Dank. Aber: Ich bin eben auch verpflichtet, mehr zu tun als andere. Ich bin weniger frei als andere. Ich bin „schwer gefordert". Das war so zu Jesu Zeiten, und das ist so - in einer Mediengesellschaft wie der unseren vielleicht sogar noch mehr. Und mancher unter uns ist froh, nun im Alter nicht mehr eine exponierte Rolle bekleiden zu müssen und nicht mehr so „schwer gefordert" zu sein.

„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen." Jesus kritisiert diese allgemeine Lebensweisheit nicht, sondern macht sie sich zu eigen. Er schließt mit ihr eine Geschichte, in der er seine Jünger aufgefordert hatte, sich als treue Verwalter der Gemeinde bzw. der Welt zu bewähren. Aber damit ändert er die Blickrichtung. Das Wort passt seiner Meinung nach nicht nur im Blick auf die Eliten und Hochbegabten. Es passt auch für seine Anhänger, für die Jünger, für die christliche Gemeinde. „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen."
Jesus hat offenbar nicht nur Charaktereigenschaften und persönliche Begabungen im Blick, nicht nur hohe Ämter und verantwortliche Berufe. Es geht ihm um etwas anderes: die Nachfolge, den Glauben, das Christsein. Da sei uns viel gegeben worden.
Aber was denn? Was ist das, was uns der Glaube an Gott, an Christus, gibt? Was ist das, was uns im Glauben anvertraut wird? Es ist das Vertrauen, im Leben und sogar im Sterben immer wieder eine Instanz oder richtiger: eine Person zu haben, zu der man „Abba", „Vater unser im Himmel" sagen und der man sich anvertrauen kann. Glaube ermöglicht Vertrauen.
Deshalb haben Glaubende das Privileg, den Stimmungen von Angst und Panik im eigenen Herzen nicht ständig ausgeliefert zu sein. Sie haben die Chance, den Angst- und Hasspredigern in den Medien und in der Gesellschaft nicht folgen zu müssen.
Glauben heißt Vertrauen - gemeint ist nicht ein blindes Vertrauen, das vor gefährlichen Tendenzen einfach die Augen verschließt, sondern ein sehendes Vertrauen, das gelassen das Nötige tut. Natürlich ist es sinnvoll, auf die Anzeichen des Alters in unserem Körper aktiv zu reagieren, vielleicht mit mehr Sport und Bewegung oder mit einer Änderung des Lebensstils. Und natürlich sollte ein Staatswesen eine gewisse Kontrolle über die Menschen ausüben, die in ihm leben.
Aber es darf nicht dazu kommen, dass allein Panik und Angst über uns herrschen - weder individuell noch sozial. Wo die Angst die Politik diktiert, dort rückt nur noch das eigene Überleben in den Vordergrund: wir zuerst. Dort wird vergessen, dass auch Fremde Menschen, unsere Schwestern und Brüder sind - mit ihrer eigenen Würde und oft mit einer Geschichte voller Leid. Wo die Angst die Herrschaft innehat, dort werden Zukunftsbilder ganz aus der Vergangenheit geholt: Es soll wieder so werden wie früher einmal. Und so wird das heute Nötige versäumt, um die Zukunft verantwortlich zu gestalten - in Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung. Wo die Angst auf dem Thron sitzt, braucht man viel Waffen und ist der Friede immer wieder in Gefahr. Und da schielt man plötzlich wieder nach starken Führern.

Liebe Gemeinde, wir sind „schwer gefordert", meint Jesus, etwas von der Vertrauenskraft des Glaubens weiterzugeben: unseren Kindern und Enkeln, unseren Freunden und Verwandten, unseren Kirchgemeinden oder kommunalen Gemeinden. Wir sind besonders herausgefordert, besonders dort, wo in zufälligen Begegnungen vor allem über andere hergezogen oder unfruchtbar gejammert wird. Das ist oft schwer, wie ich aus manchen Urlaubskontakten oder aus Gesprächen mit Mitpatienten in Krankenzimmern weiß. Und mitunter reicht unsere Vertrauenskraft nicht einmal für uns selbst. Dennoch sollten wir es immer wieder versuchen, uns Glauben zu erbitten und aus einem glaubenden Vertrauen heraus zu denken und zu reden. Denn es ist sind nicht nur die Menschen, die von uns als Christen etwas Besonderes erwarten, sondern es ist Gott selbst. Die jüdischen Prediger vermieden es aus Respekt vor der Heiligkeit Gottes, wenn es irgend ging, Gott bei Namen zu nennen, und sie „versteckten" ihn sprachlich gern in der dritten Person und unter dem „man": „Von dem wird man um so mehr von fordern." Gott ist es, der uns Vertrauen schenkt, und er erwartet es von uns, dass wir in solchem Vertrauen leben - uns zum Segen und ihm zu Ehren.

Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann, Leipzig