Ansprache zur Vesper in der Kreuzkirche Dresden

  • 13.01.2018
  • Pfarrerin Taddiken

Die Ansprache wurde als "Wort zum Sonntag" am 13. Januar 2018 in der Dresdner Kreuzkirche gehalten. Im Rahmen des "Kanzeltauschs" hatten sich diesmal auch die Organisten sowie der Thomanerchor und der Kreuzchor auf den Weg gemacht, um die jeweils andere Gemeinde zu besuchen.

Vesper in der Kreuzkirche am 13. Januar 2018

Johann Sebastian Bach, Magnificat D-Dur, BWV 243

Liebe Gemeinde,
wir hören gleich Johann Sebastian Bachs Vertonung des „Magnificat". „Meine Seele erhebt den Herrn", 1723 in Leipzig entstanden. Dieses Lied der Maria gehört zu den revolutionärsten Abschnitten der Bibel. Als junge Frau erfährt sie, wie sich die Dinge in ihrem Leben umkehren. Aus dem gesellschaftlichen Abseits rückt sie in den Mittelpunkt des Weltgeschehens. In ihr wird ein für alle Male deutlich: Gott gibt den Machtlosen Anteil an seiner Herrschaft. Und wir hören in diesem Lied, was sich in der Seele eines Menschen tut, der wider Erwarten Ansehen erfährt. Marias „Niedrigkeit" - wird von Gott „gesehen", indem er sie zur Hoffnungsträgerin der messianischen Verheißungen macht. Sie wird den Sohn Gottes gebähren. In ihr wird heranreifen, was Gott in sie als Keim einer hoffnungsvollen Zukunft für die Menschheit gelegt hat.

So kann Maria die Wirklichkeit in einem anderen Licht sehen, im Licht der Veränderbarkeit hin zu gerechten und menschenwürdigen Lebensverhältnissen. Davon handelt ihr Lied, ihr Glaubenslied. In ihm können auch wir uns wiederfinden, wenn wir uns darauf einlassen. Zu der inneren Haltung zu kommen, dass auch wir uns herausrufen lassen aus unserer Resignation und manchmal schieren Verzweiflung über die Realität - dazu kann uns dieses wunderbare Lied bewegen. Und was das in einem Menschen an überschießender Freude auslösen kann, wird in Bachs Vertonung von Beginn an deutlich. Er beginnt mit der seinerzeit größtmöglichen Orchesterbesetzung und fügt dem sozusagen normalen vierstimmigen Gesang eine fünfte Stimme hinzu - denn in dem, was hier zur Sprache kommt, geht es über das Gewöhnliche hinaus. Und es ist nicht nur Maria, die diese Erfahrung macht. So wird es im dritten Satz reflektiert, in der Arie des 1. Soprans: „Alle Kindeskinder" sind mit einbezogen. So weitet sich im vierten Satz auch das musikalische Geschehen: Alle Generationen werden dort hörbar in einem musikalisch hochdynamischen Satz.

Diesen Gedanken verfolgt Bach auch weiter, wenn er im Terzett der beiden Soprane und der Altstimme von den Oboen die uralte Melodie spielen lässt, in denen das Magnificat seit Jahrhunderten in den christlichen Vespergottesdiensten erklungen ist - ein Psalmton, der sogar möglicherweise schon auf den vorchristlichen Synagogengesang zurückgeht.
Und nicht zuletzt wird am Ende des Werks angedeutet: Das Ende eines Lobgesangs ist immer auch der Anfang eines neuen. Thematisch- motivisch wird der Anfang des Werks noch einmal aufgenommen. Eine Generation gibt es an die andere weiter bis am Ende der Gesang aller Menschen von Abraham an bis in Ewigkeit ertönt.

So wird deutlich: Es ist Marias Lied, aber es ist kein Privat-Lied. Es nimmt unser aller Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen auf. Und setzt auch unserem Schmerz und Leid etwas Tröstliches entgegen: Dass Gott uns ansieht, wie wir sind, dass er uns wie Maria berührt und wie in sie auch immer wieder in uns Neues hineinlegt, das sich in uns entwickeln und zur Welt kommen kann. So ist es gut, dass wir dieses Lied auch zu Beginn des Jahres 2018 noch einmal hören, in dem ja schon so einiges passiert ist, was einen nur tief entsetzen kann und man sich fragt: Was ist bloß mit den Menschen los. Marias Lied, das Magnificat, ruft die, die es hören, zu einer Widerstandsbewegung gegen solche Formen von Resignation und Hoffnungslosigkeit in uns selbst auf. Hören wir es also nun gleich.

Gebet
Wir beten: Unser Gott, wie Maria lass uns unbeirrt festhalten an Dir. Wir bitten dich um einen klaren Verstand, der uns die Zeichen der Zeit deuten und deine Gegenwart in der Welt erkennen lasse. Wie bitten dich um erfüllte Gegenwart und offen Zukunft, um deine Nähe in allem, was uns angreift - Zweifel, Kummer, Schmerz und Leid und in allem was uns beflügelt, begeistert und vorantreibt. Komm zu denen Gott, die erschöpft und abgestumpft sind und nicht mehr spüren, dass Du sie ansprichst. Komm zu den vielen, die nicht mehr wissen, wofür sie leben. Für sie und für uns alle bitten wir dich: Verwandle das Ende in einen Anfang, den Tod in Leben, die Furcht in Liebe. Wir bitten dich im Namen Jesu Christi:

Vaterunser...

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org