Ansprache zur Orgelvesper über das Lied "Wie soll ich dich empfangen"
- 23.12.2017
- Pfarrer Hundertmark
(Das Lied befindet sich im Evangelischen Gesangbuch unter Nr. 11)
Liebe Motettengemeinde,
noch einmal kurz durchatmen inmitten des hektischen Treibens kurz vor den Festtagen. Heute muss alles erledigt sein, weil morgen schon Feiertag ist. Etwas ungewohnt für uns sonst so zeitverwöhnte Menschen, die stets und sofort verfügbar haben wollen, was angeboten wird. Vorweihnachtliche Zeit kann sich schnell zu einem Strudel entwickeln, der uns in seinem Sog kreisen lässt.
Da tut es gut, die Ruhe einer Kirche in sich aufzunehmen, um nachzudenken oder zu spüren, was Advent auch sein kann: Die Beantwortung der Frage, wie ich mich vorbereite auf Gottes Ankunft auf unserer Erde.
Als adventliche Brücke hin zum Weihnachtsfest lässt sich Paul Gerhards Lied „Wie soll ich Dich empfangen“ verstehen. Anknüpfend an das Evangelium vom Ewigkeitssonntag als es darum geht, bereit zu sein für die Ankunft Gottes, wird der Bogen über Jesu Einzug in Jerusalem geschlagen hin zum Christusgeschehen, das in Weihnachten, Karfreitag und Ostern zum Ausdruck kommt.
Betrachten wir dieses Lied gemeinsam.
Die erste Strophe paraphrasiert die Geschichte von den klugen und törichten Jungfrauen. Dafür steht die Fackel. Der Lieddichter hebt dabei ganz auf das reformatorische Geschehen, auf die Bewegung Gottes hin zu den Menschen ab. Jesus selbst muss mir das Licht geben. Er kann das, weil er Licht der Welt ist. Somit wird mein adventlicher Weg von dieses Lichtes Schein erleuchtet.
Weiter geht es mit den Palmzweigen, die auf den Weg gestreut werden, als Zeichen der Huldigung und Anerkennung des einziehenden Königs. Entsprechend werden Psalmengesang und ein grünendes Herz zum heutigen Zeichen, für die Bereitschaft, Jesus zu empfangen.
Der Mensch vermag es nicht, sich selber Gott in sein Haus zu holen. Er bedarf der Loslösung aus schweren Banden. Der letzte Adventstag fragt nach unseren Bindungen, die schwer auf dem eigenen Leben liegen können. Was drückt mich nieder? Wo wird Freude verhindert?
Wann bin ich derjenige, über den gelacht wird, weil ich versuche, Gott die Treue zu halten oder anders zu leben als es alle tun?
Die Erfahrung, in Spott und Schanden zu stehen, kennen wir aus unterschiedlichen Alltagsbezügen, verbunden mit der Sehnsucht, genau da herausgeholt zu werden.
In ihrem Lobgesang erzählt die adventliche Maria von solcher für sie lebenswendender Erfahrung.
Gott macht groß, was alle niederzudrücken versuchen. Er hebt empor und bringt zu Ehren, was andere belächeln. Paul Gerhard verarbeitet diesen theologischen Gedanken auch sprachmelodisch. In der ersten Hälfte von Strophe vier wechseln sich die Vokale „a“ und „o“ ab, in der zweiten Vershälfte, wenn es um die Ehre und das große Geschenk geht, entsteht ein Dreiklang aus den Vokalen „e“, „i“ und „o“.
So wird Theologie zur eindrücklichen Melodie meines Lebens.
Advent ist Zeit der Vergewisserung, besonders da, wo christlicher Glaube nicht mehr selbstverständlich ist.
In der fünften Strophe entspricht das göttliche Umfangen, dem menschlichen Empfangen aus Strophe eins. Gottes Liebe ist die Energie, die ihn selber in Bewegung zu uns Menschen setzt, damit wir, in ihr geborgen, unseren Weg gehen können. Dafür gibt es keine Bedingung, keine Leistung ist zu erbringen, damit Gott solche Zuwendung mir geschehen lässt.
Singen des Liedes bis Vers 5
Im zweiten Teil des Liedes, das insgesamt zehn Strophen hat, zeigt uns Paul Gerhard, dass wir einem Gott vertrauen dürfen, der uns nicht im Stich lässt. Die existenzgefährdenden Erfahrungen von Gram und Schmerz, frühen Tod, Krieg, Hunger und unsäglichem Leid, sind Erfahrungen des Lieddichters gewesen.
Sie lassen sich aus unseren Lebensbezügen auch heute nicht streichen.
Wer einen lieben Menschen kurz vor Weihnachten verloren hat, dem wird ein freudiges Lied nur schwer über die Lippen kommen. Und wo statt Weihnachtsglückwünschen der Entlassungsbrief mit der Post zugestellt wird, verdunkelt sich die Zukunft sehr schnell, weil die Frage, wie Leben weitergehen soll auf einmal zur alles entscheidenden Frage wird. Gott wird als Seelsorger beschrieben, der nicht fern ab irgendwo ist, sondern ganz nahe, direkt vor der Tür. So will er trösten, wo menschliche Worte nichts mehr auszurichten vermögen, will da sein und uns einhüllen in seine göttliche Geborgenheit.
In der christlichen Anthropologie ist u.a. eine Frage entscheidend: Wie gehen wir mit Schuld und Verfehlungen um, wenn menschliches Tun und Treiben göttlichem Willen entgegensteht?
Gibt es Rettung für diejenigen, die es zwar immer wieder versuchen mit Gott, aber mit ihren Zweifeln und ihrem Kleinglauben scheitern?
Auch hier dient der Verweis auf das Christusgeschehen als Schlüssel zu Beantwortung dieser Frage. Ja, es gibt ein Retten aus all dem heraus. Menschliches Versagen muss uns nicht niederdrücken, wenn wir fest darauf vertrauen, dass Jesus Christus unser Fürsprecher ist.
Daraus folgt dann nicht etwa Beliebigkeit, sondern Bestärkung, im Hier und Jetzt Lebensmöglichkeiten zu entdecken und zu gestalten. Mag uns manches dabei feindlich entgegenstehen. Es ist und wird nur vorläufig bleiben. Denn der Weg des in die Welt kommenden Christus ist ein Weg, dessen Ziel die unverbrüchliche Gotteskindschaft hat.
Heilsversprechen sind meistens nicht alltagstauglich, weil sie zerschellen, wo Leben angefochten ist. Gottes Versprechen ist sein Trost in Jesus Christus und dadurch wird er zu unserem wahren Heil oder, um es mit Paul Gerhard zu sagen „zum ewgen Licht“ im Freudensaal. Amen. Wir singen die Verse 6 und 8
Gebet
Gott wir warten auf dein Kommen. Wir warten darauf, dass Unrecht bereinigt und dem Frieden eine Chance gegeben wird. Wir warten darauf, dass alles, was zwischen Menschen in die Brüche gegangen ist, geheilt wird. Komm Du zu uns in deinem Sohn Jesus Christus! Amen.
Pfarrer Martin Hundertmark, St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)