Ansprache Schuljahresabschlussmotette
- 05.07.2019
- Pfarrerin Taddiken
Liebe Motettengemeinde und besonders liebe Abiturienten,
Ihr habt heute bei der Zeugnisübergabe eine Menge guter Worte mit auf den Weg bekommen. Und auch sonst werden euch viele in der letzten Zeit mit guten Ratschlägen versorgt haben. Manches davon wird Euch gefreut haben. Es hat Euch gut getan. Von anderem wart ihr genervt oder vielleicht sogar verärgert, fandet das heuchlerisch oder übergriffig. Man kann mit Appellen nicht alles erreichen. Manches schon. Aber eben nicht alles. Auch nicht mit den gut gemeinten. Das wissen wir eigentlich alle, auch die, die heute die Reden halten so wie ich jetzt auch. Und geraten in den Verdacht, wir wüssten immer, was richtig ist und wie es geht. Das tun wir natürlich nicht. Aber je weniger wir es wissen, umso größer das Bedürfnis, nach außen hin sicher zu wirken, souverän.
Cool. Da spielen wir so manches Spiel miteinander, das oft wirklich vollkommen überflüssig ist. Das wissen wir. Und tun’s trotzdem, denn wir möchten gut sein. Stark. Klug. Wir möchten bewundert werden – oder besser: geliebt. So sind wir. Das ist auch nicht schlimm. Wir müssen’s halt nur wissen und uns dabei beobachten. Und ein bisschen aufpassen. Im vollen Wissen darum möchte ich Euch heute auch mit einem Appell kommen.
Der hat auch seine Grenzen, klar. Aber der hat sich über Jahrhunderte als wertvoll erwiesen. Hat viele Menschen getragen, nachdenklich gemacht und auch froh. Es ist dieser allererste Satz aus der Motette von Johann Christoph Altnikol, die Paul Gerhardts Auslegung des 37. Psalms aufnimmt: „Befiehl Du Deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege, des der den Himmel lenkt.“ Ein guter Rat. Wir müssen gelernt haben, das Leben anders zu sehen als mit dem Erfolgsblick. Wir müssen uns versöhnt haben mit Misserfolg und Gebrechlichkeit. Ich benutze mal bewusst dieses Wort: „Gebrechlichkeit“ - auch wenn das zumindest körperlich noch nicht unbedingt Euer Problem ist. Wir sind gebrechliche, verletzliche Wesen. „Was dein Herze kränkt“, sagt Paul Gerhardt. Da steckt die mittelhochdeutsche Wurzel „krenken“ drin: zunichte machen, plagen, erniedrigen. Und das Herz ist in biblischem Verständnis das, was uns als Person ausmacht, unser Charakter und unsere Lebenskraft, all das zusammen. Wenn das jemand verletzt oder wenn wir an dieser Stelle erniedrigt werden – dann kann uns das wirklich schwer schädigen, dann kann es sogar lebensgefährlich werden. Und das kann eben leider auch genau dort passieren, wo wir anderes suchen: Wo wir danach suchen, gestärkt zu werden als Mensch, als Persönlichkeit – mit unseren Fähigkeiten und Begabungen – aber eben auch mit unserem Herz.
Schule ist so ein Ort, der Thomanerchor, auch die Kirche. Es kommt auch da zu diesen Kränkungen, zu diesen Verletzungen unserer Herzen. Das liegt weniger an der Unfähigkeit der jeweils Beteiligten. Jedenfalls nicht nur. Sondern es liegt an dem System selbst. Wir werden dort beurteilt und benotet, wir stehen auch unter Druck. Wer gut ist, sehr gut, wird in der Regel auch mehr geliebt und wer nicht gut ist, wird eher gekränkt als der Starke. Mit gutem Willen arbeiten wir da sicher alle gegenan. Niemand will das eigentlich. Aber es passiert.
Und Ihr wisst das eigentlich alle als Abiturienten, auch wenn ihr in den letzten Wochen und Monaten darauf geguckt habt, denn beim Thema Zulassung zum Studium oder Bewerbung spielt es schon noch eine Rolle: Die Abiturnote, vor allem die Stellen hinter dem Komma. Ihr wisst, das wird danach nie wieder jemanden außerhalb der Schulwelt interessieren. Das Leben verteilt die Noten anders. Und es wird schon sehr bald niemanden mehr interessieren, was ihr mal geleistet habt, sondern das, was Ihr könnt– und das meiste lässt sich nicht im Notenbild darstellen. Da wird sich manches sehr schnell verändern. Manchen wird das beflügeln. Und manchen kränken. Auf jeden Fall lässt es einen reifen und wachsen.
Und es lässt einen lernen, sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht alles zu Herzen zu nehmen. Paul Gerhardt hat das am eigenen Leibe (und Herzen) erfahren: Mal stand er beruflich sozusagen vor dem Nichts, weil man ihn aus seiner Stelle als lutherischer Pfarrer in Berlin hinauswarf, weil er seine tiefsten Glaubensüberzeugungen nicht preisgeben wollte. Das hat er sich was kosten lassen, das tun die meisten bis heute nicht obwohl sie sehr genau merken, dass ihre Anpasserei ihnen alles andere als gut tut und sie sich am meisten selbst damit kränken. Paul Gerhardt hat es darüber hinaus geschafft, damit zu leben, dass seine Frau gestorben ist und dass ihn von fünf Kindern gerade mal ein Sohn überlebt hat. Nebenbei tobte der 30jährige Krieg mit Pest und Schrecken. Das wünschen wir uns natürlich nicht herbei um daran zu reifen.
Aber was wir von Paul Gerhard lernen können ist, diese Seite des Lebens eben wirklich zu akzeptieren und mit Niederlagen und persönlichen Katastrophen leben zu können. Den Schmerz und die Last auch abgeben zu können. Vertrauen zu können, dass sich das als wahr erweisen wird: „Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, dass dein Fuß gehen kann.“ An dieser Stelle ändert sich der Ton. Mit einem Appell ging es los. Mit Zuspruch endet es. Mit dem, was er selbst erfahren hat. Das gekränkte Herz hat andere Möglichkeiten, als andere zu kränken, sie herabzuwürdigen, zu plagen, zu erniedrigen. Das passiert ja meist bei Menschen, die das erfahren haben, dass sie genau das mit anderen auch machen. Dass sie es durchreichen, man lernt nicht automatisch draus und wird kein besserer Mensch durch erlittenes Unrecht.
Ein besonders abschreckendes Beispiel findet sich ja am Ende der Vertonung des 137. Psalms von Kurt Thomas, den wir am Ende der Motette hören. Da habe ich schon etliche Male etwas zu gesagt, ihr könnt es vielleicht auch schon nicht mehr hören: dass da ein zutiefst herzensgekränkter Mensch seinen Rachephantasien freien Lauf lässt und anderen wünscht, was er offenbar selbst erfahren hat: Dass ihre Kinder am Felsen zerschmettert würden. Ja, so etwas steht in der Bibel. Es steht da, weil der Mensch da realistisch gesehen wird. Und wozu er fähig ist, wenn sein Herz gedemütigt und erniedrigt ist. Der gute Rat von Paul Gerhardt ist es letztlich, das nicht über sich herrschen zu lassen. Sich nicht davon bestimmen zu lassen. Das abzugeben an Gott. „Auf, auf gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht“, schreibt Gerhardt in der 7. Strophe, die ihr ja auch schon mal gesungen habt, wenn auch nicht heute. Auch wieder ein Apell. Aber durch Erfahrung gedeckt. Ich wünsche Euch, dass Ihr die selbst macht. Und dass Ihr Euch dabei begleitet fühlt. Von Menschen. Und von Gott. Amen.
Gebet
Unser Gott, ein Schuljahr liegt hinter uns mit Höhen und Tiefen. Wir danken Dir für dein Geleit durch beides und wir bitten Dich darum, dass wir in den kommenden Wochen Ruhe finden und Abstand. Wir bitten Dich für alles, was wir tun, dass wir es mit Freude tun können und mit den Kräften, die Du schenkst. Wir bitten Dich: Nimm von uns, was uns nicht gelungen ist. Stärke und heile unsere zerbrechlichen Herzen und die unserer Mitmenschen, die vielleicht wir verletzt haben ohne zu wollen. Hilf uns, dass wir alle miteinander auf dem Weg bleiben können als Gesellschaft und Gemeinschaft der Verschiedenen. Hilf uns, die Wege zu finden, die Du uns bereitet hast in Deinem Sohn Jesus Christus mit dessen Worten wir beten: Vaterunser…
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org