Ansprache in der Christvesper am Heiligen Abend 16.00 Uh
- 24.12.2017 , 4. Advent, Heiliger Abend
- Pfarrerin Taddiken
Ansprache in der Christvesper 16.00 Uhr, Heiligabend 2017
Liebe Gemeinde,
besser als jeder historische Tatsachenbericht zu einem längst vergangenen Ereignis es je könnte, öffnet uns der Lukas mit seiner Weihnachtsgeschichte die Augen für das Wunder von Weihnachten. Eine Geschichte, voller aktueller Symbolik und Sprengkraft, voller Vorstellungen, die das Wesen der Botschaft Jesu im Kern treffen und veranschaulichen. Sie ist ein Bekenntnis. Das macht diese Geschichte so wertvoll - und so wahr über alle Jahrhunderte hinweg.
Ja, sie hat recht. Mitten in der Nacht, sagt sie, in der Finsternis, kommt Gott in diesem Kind in unserer Welt. So muss es sein, denn anderes könnte es niemals verstehen, wie der erwachsene Jesus es später in seiner ganzen Botschaft zu erkennen gibt: Wie sehr uns, jeden von uns, Phasen von Dunkelheit und Aussichtslosigkeit in unserem Leben zusetzen können.
Und kalt war es, sagt diese Geschichte zumindest zwischen den Zeilen, und hat auch damit recht - nicht nur, was die nächtliche Kälte betrifft, sondern vor allem auch die soziale - denn das Ganze, dass sich hier Leute wie die hochschwangere Maria und der verunsicherte, in sich über seine Zukunft zerrissene Josef durch Kälte und Finsternis schicken lassen müssen, wird dadurch ausgelöst, dass der Kaiser in Rom Steuern braucht, um sein Verständnis von sozialem Frieden aufrecht zu erhalten, das heißt: Oben bleibt oben - die Herkunft bestimmt, der kulturelle Hintergrund - wo diese Gruppe Abstiegsängste entwickelt, geriet und gerät vieles ins Wanken, also lieber nicht... Ja, auch diese Kälte kommt hier vor, die Menschen an den Rand drängt. Und auch damit hat die Geschichte recht, denn wie anders würde unser Erlöser für menschliche Herzenskälte nicht Verständnis haben, wie wir es brauchen, um gegen den schneidenden Wind stetig schwindender Solidarität in einer Gesellschaft, um gegen die Beraubung wärmender Güte und Begegnung dennoch das Vertrauen zu setzen in Gott und die Menschen. Dieses sanfte Gesetz des noch unscheinbaren Kindes in der Krippe wird stärker sein als die schneidenden Befehle, die klirrenden Gewalttaten, die die Verschränkungen dieser Geschichte mit der historischen Ebene andeuten: Augustus, Quirinius, die Provinz Syrien - wir können diese Namen austauschen, können die Geschichte aktualisieren mit den Namen und Orten von 2017 - und auch wahrnehmen, was sich durchzieht durch die Geschichte mit all den Geboten und einseitigen Verlautbarungen, die da in Augustusmanier mal eben so ausgehen und Konflikte anheizen, die Menschen völlig unnötig in Unruhe, Angst und Schrecken versetzen und teilweise auch Gewaltbereitschaft neu wecken, die damit kalkulieren, nicht nur, aber im Moment besonders in der damaligen Provinz Syrien mitsamt den Wellen, die das noch hier wirft in Berlin, in Leipzig und anderswo, wo es übler Weise vor allem wieder und wieder die Mitbürger jüdischen Glaubens sind, die betroffen sind wie schon seinerzeit.
Aber auch dem setzt diese Geschichte etwas entgegen: Auch diese Herzenserfrierungen, die die Angst in uns Menschen verursachen kann und diese am Aufrechterhalten der Spannung menschlicher Verhältnisse interessierte Haltung - sie sollen überwunden werden! Die ersten Zeugen dafür sind in Aufnahme der alten Prophetenworte die in jedem Krippenspiel vorkommenden Tiere. Sie, nicht die Menschen, sind es, die dem Kind mit ihrem wärmenden Atem an der Krippe ein erstes Zeichen geschöpflicher Barmherzigkeit gönnen. Die unverstellte, instinktive Vernunft, das Spontane, einfach zu tun, was dem anderen jetzt gut tut ohne jedes Lamentieren - es ist unverzichtbar neben all dem Ausgeklügelten, was unsere Vernunft zuwege bringt und was dann, gottseidank, unser Zusammenleben jenseits aller Befindlichkeiten regelt, es darf uns einfach nicht abhandenkommen! Und - auch von daher brauchen wir dieses Bild für uns und das, was wir in unserem Leben suchen - kommen wir uns doch oft selbst genug vor wie solch ein Esel, der wie bepackt und angetrieben durch‘s Leben trabt. Gehören diese bis zur Gleichgültigkeit getriebenen Geschöpfe nicht als erstes an die Krippe? Und gibt es in unserem Leben andererseits nicht auch genug von dem, wofür wir uns selbst beschimpfen möchten wegen unserer ochsengleichen Langsamkeit? Wegen unserer gedanklichen Unbeweglichkeit? Wegen der Fehler, die wir nicht aus schlechtem Willen heraus, aber aus Kurzschlüssigkeit und verkürzter Einsicht machen, aus Versagen, dessen Lehre wir erst viel zu spät imstande sind zu ziehen?
Gehört nicht weiß Gott unsere Ochs-und Eselei deswegen als erstes an die Krippe, um uns zu sagen: He, liebe Menschen, ihr seid Menschen und ihr dürft so sein mit all dem, was der Menschen Hochmut oft genug als tierisch abdrängen und mit Füßen treten möchte? Genau diese Wende vollzieht sich ja an der Krippe, wer an sie herantritt und hinschaut, der mag es erkennen. Denn Lukas erinnert uns Jahr für Jahr daran, dass es für Gott keinen anderen Weg gegeben hat in unser Leben zu kommen als in der Gestalt eines Kindes. Und dass er uns mit diesen Augen anblickt. Denn was passiert da, Sie wissen's ja selbst als Eltern, Großeltern und eigentlich alle anderen. Die Augen eines Kindes kennen einen ja nicht. Sie wissen nichts darüber uns, was uns leid tut oder worüber wir uns freuen. Sie blicken einen nur an. Das kleine Kind ist neu und unbekannt in der Welt, aber wenn es einen anblickt, dann ist es, als wäre ich es selbst, der neu ist und unbekannt, und als sage das Kind: „Willkommen in der Welt, in meiner Welt". Und dieser Blick, selbstverständlich, offen und empfangend, er weckt die Liebe, den Mut und die Fürsorge im Erwachsenen - so wie auch Irritation und Verstörung, wenn man sich das diesjährige UNICEF-Foto des Jahres des fünfjährigen Mädchens Zahra aus Syrien anschaut: dieses Grauen, das diesem Kind angesichts von Krieg und Flucht in den Augen steht...
In der Heiligen Nacht schenkt Gott uns einen solchen Blick - von sich. Um uns und unsere Liebe und unseren Mut zu wecken. Um uns zu sagen, dass er uns will uns etwas von uns will. Hier in dieser Welt, die ihm gehört. Das erfahren als erstes die Hirten, diese Leute von ganz außen vor in jeder Hinsicht, die damals raus waren aus der Gesellschaft, in vieler Hinsicht Leute der Nacht und der Finsternis. Wenn wir sie in dieser Geschichte verstehen als eigene innere Anteile in uns selbst, den Teil von uns, den wir selbst gern abspalten, verdrängen, rauswerfen mögen - als den Teil, auf den wir auf jeden Fall nicht von andern angesprochen werden möchten und der in Panik gerät, wenn er sich bewegen soll. Versuchen wir es, ihn so zu verstehen und dann im Rahmen dieser Geschichte zu verstehen und zu hören: Gerade ihm gilt Rettung!!! Diesem Hirten-Teil in mir!!!
Auch als Erwachsener hat Jesus nie nach Gründen gefragt, nach Erklärungen oder Entschuldigungen, wenn er Menschen begegnete. Er hat nicht nach der Vergangenheit von Leuten gefragt, und er war nicht daran interessiert, davon zu hören, warum sie in Armut geraten waren, in Krankheit, Prostitution oder staatsschädigende Aktivitäten. Wenn Jesus Menschen begegnete, dann hat stets nur dieser Augen-Blick gezählt, in dem er und sie einander begegnet sind. Und deshalb hat diese Begegnung - dieser Blick - etwas Neues in den Menschen hervorgerufen. Neue Stärke, neue Freude, neues Vertrauen und neuen Glauben. Fähig zu werden, die Ängste und Niederlagen zu integrieren in sein eigenes Leben. Dass wir eben nicht dazu verurteilt sind, sie über uns herrschen lassen zu müssen. Nein, wir sind ihnen nicht mehr ausgeliefert, auch der Dunkelheit und Kälte in und um uns herum nicht. Wir können ihr etwas entgegensetzen und sind dazu berufen, im Hellen, am Tag weiterzusagen, was wir gesehen und gehört haben - auch heute am Heiligen Abend 2017 im Hören dieser Geschichte. „Fürchtet Euch nicht" - das sagen und singen die Engel den Hirten mitten in der tiefsten Nacht. Und dann ziehen sie sich zurück - damit die Hirten zu Boten werden können an ihrer statt. Ich denke, auch das gehört zur Wahrheit der Geschichte des Lukas: Wir sind Maria und Josef, wir sind Ochs und Esel, wir sind die Hirten. Ja, wir sind auch die Kaiser und Statthalter. Aber: Die treten hier zurück in ihrer Bedeutung. Lukas geht es darum, dass wir diese anderen Seiten in uns stärken lassen, dass wir sie zum Leben rufen lassen, dass wir auf Gottes Wort antworten, Mensch zu werden in dieser Welt - wozu er selbst zu uns gekommen ist, um uns gerade dabei beizustehen. Möge uns diese Botschaft des Lukas erreichen mit seiner wahren, wirklich wahren Weihnachtsgeschichte. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org