Ansprache in der Christvesper 16.00 Uhr
- 24.12.2021 , Heiliger Abend
- Pfarrerin Britta Taddiken
Ansprache für die Christvesper 16.00 Uhr, Heiligabend 2021
Liebe Gemeinde,
immer, wenn man denkt: Es kann jetzt nicht noch komplizierter werden, kommt eine neue Variante um die Ecke. Omikron. Und zwar mit einem Ansteckungstempo, das alle bisherigen Varianten in den Schatten stellt. Diese Virusvariante verbreitet an diesem Weihnachtsfest ein ungutes Gefühl: Holland im Lockdown. Katastrophenalarm in London Und bei uns – was kommt im Januar? Auch 2022 wird wohl ein Corona-Jahr. Wird es uns alle lahmlegen in wenigen Wochen? Niemand weiß es wirklich. Es ist so ein mulmiges Gefühl. „Frohe“ Weihnachten? Nicht eher „Mulmige“? Vor ein paar Tagen hat mir der Weihnachtsbrief eines Freundes sehr gutgetan. Er schreibt sinngemäß: „Mir scheint im Blick auf 2021 Weihnachten das einzig Stabile in diesem Jahr zu sein. Auch im Hinblick auf die entsetzlichen Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie das politische Geschäft mit Flüchtlingen, wie es Weißrussland betreibt. Unabhängig davon, ob man einer Kirche angehört oder nicht, ist Weihnachten mit der Christgeburt ein Fest der Hoffnung und der Zuversicht. Und das meine ich nicht im Sinne von Optimismus. Nein, es geht um mehr. Um das, was unserem Leben Stabilität schenkt. Um das, was an Weihnachten wahr ist.“
Ich denke, dieser Freund hat recht. Gerade an der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium können wir das Jahr für Jahr ablesen. Oder aus ihr heraushören. Wir wollen sie deshalb jedes Jahr wieder hören, weil wir ahnen: Sie ist wahr, diese Geschichte. Nicht in dem Sinne, dass alles historisch wie geschildert zugegangen ist. Historische Korrektheit hat wenig zu tun mit der stabilen inneren Wahrheit dieser Geschichte. Fragen wir also danach, vielleicht haben wir in diesem Jahr ja sogar besonders geschärfte Sinne dafür.
Von welcher Wahrheit also weiß diese Geschichte? Zunächst: Wo Gott auf die Erde kommt, können sich die Dinge komplett wenden. Da wird auch das aufgebrochen, was wir für unumstößlich halten für stabile Lebensverhältnisse. So kommt Gott in einem Kind zur Welt, dessen Eltern eben nicht in einer damals gängigen „anständigen“ Beziehung Eltern werden. Und mitten hinein in ihre Verunsicherung müssen die beiden sich noch auf einen Weg machen, der beschwerlich und gefährlich ist. Und am Ende ist da noch nicht mal ein angemessener Ort, ein festes Haus, eine menschenwürdige Bleibe. Aber Lukas sagt klar: Hier wird es Weihnachten. Hier kommt Gott in die Welt. Wo Menschen verunsichert sind. Und wo sie das Leben in unsichere und unstabile Umstände hineintreibt. Diesen Ort hat Gott sich ausgesucht.
Und weiter ist die Weihnachtsgeschichte auch klar – und wahr - dass mitten hinein in all das ein Licht fällt, mit dem nicht zu rechnen war. Ein Licht, das Menschen in Furcht und Erstaunen, aber eben auch in Bewegung versetzt. Sie bleiben nicht sitzen in dem Dunkel, das sich über ihr Leben gelegt hat. Dafür stehen die Hirten, die des Nachts die Herden hüten. Sie sind die ersten, die verstehen: In diesem Kind ist Gott an unserer Seite. Und – auch das ist klar und wahr - dieses Kind, es lässt sich von ihnen finden. In ihrer Lebenswelt. Deshalb beschreibt Lukas die Szene so genau: Maria, Josef, die Krippe als Bett für das Kind – diese unheilige heilige Familie, die aus dem Nichts in den Mittelpunkt rückt – und zwar nicht nur in den Mittelpunkt der Weltgeschichte, sondern in den Mittelpunkt der Geschichte zwischen Gott und uns Menschen.
Genau hier geschieht es, weiß die Weihnachtsgeschichte. Darin liegt ihre Wahrheit: So ist es mit Gott und uns. Auch für mein, Dein, Ihr, unser aller Leben soll das gelten. Da, wo ich verunsichert bin, auf unsicherem Terrain unterwegs und wo ich das Gefühl habe, im Dunkeln zu sitzen: Dahin kommt Gott für mich. Darin kommt er zu mir. Wehrlos, gefährdet, wie ich mich selbst fühlen mag. Aber ich bin dort nicht allein. Er geht mit mir. So nimmt die Weihnachtsgeschichte schon eins vorweg: Den Weg dieses Kindes als erwachsenen Mann. Er sucht Menschen dort auf, wo sie verletzt sind, wo sie verunsichert sind, wo ihnen mulmig ist. Er sucht sie auf, damit sie selbst den Weg aus diesen Zuständen hinausfinden können. Blinde, Lahme, Taube, Aussätzige, Leute, die sich in ihren eigenen Phantasien verrannt haben. Und er führt sie dahin, wo sie von Neuem erfahren können: Sie sind geliebt – auch wenn Menschen sich von ihnen abgewandt haben. Sie können zurückkehren in die Gemeinschaft. Sie können heil werden – auch wenn sie krank sind. Diese Menschen stellt Jesus wieder auf die Beine. Macht sie stabil. Wortwörtlich heißt das: feststehend, standhaft, dauerhaft.
Und das eben brauchen alle, denen jetzt mulmig zumute ist. Es ist keine Frage: Es sind viele geworden in den letzten Wochen und Monaten der Corona-Pandemie, denen es so geht. Und viele wissen nicht mehr, worauf sie eigentlich noch vertrauen können. Und treffen bei ihrer Suche nach Gewissheiten manchmal leider auch schlechte Entscheidungen. Und werden dabei nicht stabiler, sondern eher immer instabiler. Wie wir aus unseren mehr oder weniger fragilen Gemütszuständen nach fast zwei Jahren Pandemie als Gesellschaft wieder herausfinden, wird eine Menge Arbeit bedeuten. Die Wahrheit der Weihnachtsgeschichte mag uns dabei unseren Willen und unseren Mut dazu aufrechterhalten: Aus Furcht wird Gotteslob. Im Dunkeln scheint ein Licht, mit dem keiner gerechnet hat. Die Müden werden munter, die Stummen beginnen zu reden, die aus dem Dunkeln treten wieder ins Licht. Wer verunsichert ist, wird wieder stabil. Darum:„Fürchtet Euch nicht, denn Euch ist heute der Heiland geboren.“ Amen.
Pfarrerin Britta Taddiken, taddiken@thomaskirche.org