Ansprache in der Christvesper (16.00 Uhr)

  • 24.12.2019 , Heiliger Abend
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Liebe Gemeinde,

es ist großartig in der Weihnachtsgeschichte. Lukas stellt die Gestalten, die Geschichte machen wollen, mal ganz locker- souverän an den Rand. Kaiser Augustus und sein unaussprechlicher Statthalter Quirinius sehen alt aus damit, sich die ganze Welt zu unterwerfen. Es reicht noch, sie in Aufruhr und Bewegung zu versetzen. Aber das ist das einzige, was Lukas ihnen zubilligt, dann verschwinden sie in dieser Geschichte im Dunkeln. Und was sie auslösen, ist genau das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen. Der Kaiser ist nicht mehr wichtig. Rom ist nicht mehr wichtig, das selbsternannte Zentrum der Macht. Menschen finden ihren wahren König. Sie kommen an einen Ort, der sie verändert, der ihr Leben verändert. An einen Ort, wo wirklich Geschichte geschrieben wird. Maria und Josef und auch die Hirten. Alles, was in dieser Geschichte passiert, führt auf diesen Ort zu. Auf Bethlehem. „Brot-haus“ heißt dieser Ort auf Deutsch. Ein Ort, den es auf der Landkarte gibt. Und zugleich ein Ort, der über Zeit und Raum auch hinausgeht. Ein Ort an dem man Brot findet – etwas, was nährt, was Leben erhält und ermöglicht. Wo man Kraft bekommt zu Neuem. Ich denke, die alte Weihnachtsgeschichte spricht uns deshalb an, weil wir alle im Grunde Bethlehem suchen. Christen, Nichtchristen, Gläubige, Halbgläubige, Ungläubige, egal. Wir wollen da schon hin. Wir suchen ihn, den Ort, an dem wir Brot finden für unser Leben. Vielleicht sogar dort, wo Maria und Josef diesen Ort gefunden haben: außerhalb der Herberge. Außerhalb dessen, wo wir uns sonst aufhalten und womit wir uns beschäftigen. Aber wo wir etwas finden für unsere innere Haltung, aus der heraus wir unser Leben führen. Etwas, was uns dafür nährt. Was Richtschnur gibt und zugleich Trost und Hilfe ist. Wo wir Altes lassen können. Auch was uns belastet. Und mitnehmen, was uns weiterbringt und neu belebt und bisweilen hoffentlich verändert. Vielleicht wie Maria, die in Bethlehem zur Mutter wird. Die die Dinge in ihrem Herzen zu bewegen weiß und schon ahnt, was dieses Kind der Welt bringen wird. Und vielleicht auch wie die Hirten, die ihre Furcht verlieren, die sich nicht vor dem Lob Gottes scheuen und auf den Rest der Menschheit zugehen mit der guten Nachricht – die nun vom Licht reden statt im Dunkeln zu schweigen. Vielleicht etwas trocken gesagt: Besonnenheit und Optimismus, dass unsere Welt um Gottes Willen nicht verloren ist, das ist eine wunderbare Kombination und unsere Welt braucht viele, viele Menschen, die das zu leben wissen…

Wir alle heute haben uns heute auf den Weg hierher gemacht. Vielleicht auch, weil wir uns wünschen, so zu werden wie Maria oder die Hirten, wie sie am Ende dieser Geschichte sind: Menschen, die nach innen und außen stark sind – aber eben in der Stärke und Kraft dessen, den in der Krippe sehen. Nicht von ungefähr steht deshalb ziemlich in der Mitte unserer Christvesper ein Lied, in dem geht es um diesen persönlichen Weg zur Krippe. „Ich steh an Deiner Krippen hier.“ Ich. Also jeder für sich – und die 1. Strophe haben wir ja auch von einer einzelnen Stimme gehört. „Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben, ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben, nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin und lass Dir’s wohlgefallen“. Der Mensch, der hier zur Krippe kommt, versteht: Ich habe längst etwas von dem Brot, das es nur in Bethlehem gibt. Ich bin schon beschenkt mit dem, was ihm Wesen und Würde gibt. Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut. Das schenkt ihm dieses Kind. So neu ist es also nicht, dieses Geschenk. Aber dennoch erneuert es sich von Tag zu Tag und immer wieder haben wir es nötig wie ein trockener Schwamm das Wasser: „O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen.“ Ja, das ist es, worum es an der Krippe geht. Dass wir sie wahrnehmen, dass wir sie sehen, diese Gaben. Und sie fassen und begreifen, wie wir sie einsetzen können. Immer wieder neu, immer wieder damit anfangen. Durch sie wird diese Erde erneuert, durch sie schreibt dieser Krippen-König Geschichte:

Indem er uns Geist schenkt, der uns bewusst sein lässt, wie großartig die Schöpfung ist. Wie viel wir bewegen können, wenn wir diesen Geist einsetzen, um sie zu bewahren. Die letzten Ergebnisse der Klimakonferenz von Madrid können einen eigentlich nur erschüttern, natürlich. Aber das kann nicht der Grund sein, an unseren Möglichkeiten zu verzweifeln, die da sind und beharrlich zu bleiben, nicht aufzugeben. Klar zu bleiben, geistreich zu sein ist gefragt. Nicht Panik zu schieben.

Und auch unsere Sinne mögen erneuert werden, mit denen wir wahrnehmen können, wie reich das Leben ist, sehen, schmecken, riechen. Ja, uns ist auch viel einfach nur zum Genuss geschenkt. Wo wir vor lauter Flugscham und Steakscham nicht mehr herauskommen aus dem schlechten Gewissen, wo soll da Erneuerung wachsen und Freude am Gestalten? Aktuell sind es ja auch Christbaumscham und Geschenkpapierscham, auf die in Fernsehen und Zeitung abgehoben werden...Verzicht auf Gänsestopfleber und Lametta reicht irgendwie nicht mehr. Nun ja: Vielleicht kann man die nächsten Tage ja auch dazu nutzen, um auch moralisch mal ein bisschen runter zu kühlen, mindestens 2 Grad Celsius weniger wären auch da sicher gut...

Und Herz? Mit Herz können wir staunen, lieben, aber auch mitleiden. Wir haben damit Zugang zu dem, was Kopf nicht immer begreifen kann. Und ich habe nur darüber am Ende Zugang zu dem, dessen Sprache ich nicht verstehe, dessen Meinung ich grottig finde und wo ich mich am Riemen reißen muss und mir sage: Ich habe als Christenmensch meine Feinde zu lieben. Nein, mögen muss ich sie zum Glück nicht, aber lieben – und das ist schwer genug. Alles andere führt in den Abgrund.

Denn was man mit Herz allein nicht kann, ahnt die Seele: dass alles zusammenhängt auf dieser Welt – und dass es in diesem Kind zusammenhäng. Gott wird Mensch. Gott wird nicht Christ, Jude, Muslim. Gott wird nicht Deutscher, Franzose, Pole, Amerikaner. Er wird Mensch. Punkt. Damit ist alles gesagt in jeglicher Beziehung zum Nächsten.

Mut wagt es, all dem einen Weg zu bereiten. Im Wissen, ich bin begrenzt mit meinen Möglichkeiten. Gottes Gaben an sich aber sind es nicht. Also los, gehe weiter und nutze sie tapfer.

Geist, Sinn, Herz, Seel und Mut – Gottes fünf Geschenke an uns. Die weihnachtliche Basisausstattung für alles, was es zu tun gibt und worüber nachzudenken ist. Wir haben sie als Menschen zu Weihnachten geschenkt bekommen. Und wir können sie an der Krippe erneuern lassen. Jahr für Jahr. Oder auch sonst.

Vielleicht werde ich mal meine Krippe reduziert über das Jahr stehen lassen im Wohnzimmer. Nur die Krippe mit nichts drin und nichts drum herum. Vielleicht hilft es, Geist, Sinn, Herz, Seel und Mut in sich immer mal zu überprüfen. Und sich dieses Brot zu holen, das es nur in Bethlehem gibt. Und es sich schmecken zu lassen. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org