Predigt über Matthäus 20, 1ff
- 09.02.2020 , 3. Sonntag vor der Passionszeit - Septuagesimae
- Pfarrer Martin Hundertmark
Friede sei mit Euch von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
„So etwas darf nicht passieren!“
„Wie kann man nur so handeln?“
„Das ist ein Tabubruch.“
„Wir sind alle an der Nase herumgeführt worden!“
Heftig wird am Abend diskutiert. Die Ereignisse des Tages sind so ungewöhnlich, dass kaum einer ruhig nach Hause gehen kann.
Überall wird davon berichtet.
So ähnlich könnten die Worte gefallen sein als am Abend sich die Nachricht vom ungewöhnlichen Handeln des Weinbergbesitzers verbreitete.
Was war geschehen?
Alle wurden am Ende des Tages gleich behandelt, liebe Gemeinde.
Deshalb die Diskussionen auf dem Marktplatz und an den Abendbrottischen.
Wer den ganzen Tag schuftet, muss auch ordentlich bezahlt werden. Und wer faul ist, darf den Anderen nicht gleichgestellt werden.
Das wäre in höchstem Maße ungerecht.
Dem wird man gut und gerne zustimmen.
Die Parabel von den Arbeitern im Weinberg fordert uns heraus – beim Hören und beim Lesen. Am heutigen Sonntag will ich den Blick auf eine kleine Sequenz lenken, die mit dem Sehen zu tun hat. Der Herr des Weinbergs fragt die murrenden Tagelöhner:
„Ist dein Auge böse, weil ich gütig bin?“
Im biblischen Verständnis ist das Auge der Spiegel der Seele. Quelle und Auge lassen sich aus dem gleichen hebräischen Wort übersetzen. Unsere Augen verraten schnell, wie es um unser Innerstes bestellt ist. Getrübter Blick, leuchtendes Funkeln, tränenverschleiert, stumpf, leer, blitzend hellwach – es ließen sich noch viele Beschreibungen finden, um in Worte zu fassen, was ich mit dem Blick in die Augen meines Gegenübers über ihn erfahren kann.
Der böse Blick –Luther übersetzt die Worte mit „scheel sehen“- verrät uns, wie weit Neid und Missgunst schon am Herzen fressen.
Sich ungerecht behandelt zu wissen ist mehr als ein Gefühl. Dieser Zustand ist so stark, dass wir ihn kaum loswerden, mehr noch: alle erklärenden Abmilderungsversuche verschärfen ihn meistens.
Im Weinberggleichnis vermögen es die Tagelöhner, ihre Gefühle in Worte zu fassen.
Der Blick ist zwar böse, aber sie machen ihrem Unmut Luft und sprechen direkt an, worum es geht. „Du hast diese uns gleichgestellt.“
Gleichstellung sollte selbstverständlich sein, jedoch kommt es im Wesentlichen darauf an, worauf sie basiert.
Sobald der Leistungsgedanke eine Rolle spielt, wird es schwierig mit der Gleichstellung. Denn jeder wird ohne Zweifel unterschreiben, dass sich Leistung lohnen muss und für gleiche Arbeit auch gleicher Lohn gezahlt werden soll.
Doch was ist, wenn der Lohn nicht reicht, um ein würdiges Leben zu führen?
Was bedeutet es, wenn trotz Arbeit das Überleben nicht garantiert werden kann?
Dass sich Leistung immer auch lohnen muss, weil sonst jedes Lohngefüge kaputt gemacht wird, davon erzählt unser Weinberggleichnis ebenso. Denn der Herr des Weinbergs macht zu Beginn des Tages mit den Tagelöhnern faire Verträge aus. Sie garantieren das gute Überleben für einen Tag, so wie es bei Tagelöhnern sein sollte. Faire Bezahlung für faire Arbeit. Daran ist nichts zu kritisieren. Die Augen der zuerst eingestellten Tagelöhner werden wohl geleuchtet haben als sie per Handschlag den Vertrag besiegelten. Für sie war der Tag gerettet. Froh wird man am Abend nach Hause kommen mit einem gut gefüllten Korb voller Essen für die ganze Familie. Das Leuchten der Augen wird sich auf alle übertragen.
Und der Abend wird fröhlich sein.
Kompliziert wurde es erst als man vom Glück der Anderen hörte und jenes ins Verhältnis zur eigenen Leistung setzte.
Dadurch, dass die Auszahlung des Lohnes bei den Letzten begann, konnten die Ersten heimlich rechnen. 1 Denar für eine Stunde Arbeit. Das würde, nach menschlichen mathematischen Maßstäben 12 Denare für 12 Stunden Arbeit bedeuten. Ein Tag arbeiten und davon 12 Tage leben zu können – dieser Gedanke taucht wohl eher weniger auf. Denn würde er es, so würde auch schnell deutlich werden, wie absurd solche Entlohnung wäre. Nein, wir bleiben bei dem, was Menschen für ein gutes Leben brauchen.
Dafür steht der Denar symbolisch.
Damit einhergeht, dass jeder Mensch das gleiche Anrecht auf Würde und Leben hat.
Wenn jemand weniger leisten kann, als andere, muss er deswegen nicht sein Leben verlieren.
Er verwirkt auch nicht das Anrecht auf Teilhabe in der Gesellschaft. Somit ist das Gleichnis ein großes Ausrufezeichen hinter dieser Erkenntnis.
Es ist nicht die Faulheit, die hier belohnt wird, sondern der Mangel an Möglichkeiten wird durch Gottes unmögliches Handeln ausgeglichen.
So verwandelt sich Hoffnungslosigkeit in leuchtende Augen voller Lebensfreude.
Ich höre die stillen Worte, die sich die letzten Tagelöhner zurechtlegten als der Arbeitstag sich fast dem Ende neigte und kein Einkommen und somit auch kein Auskommen in Sicht war.
Wie sage ich es meiner Familie?
Wieviel Kraft muss ich wohl aufbringen, wenn die Blicke der Kinder enttäuscht werden müssen, weil nichts nach Hause gebracht wird?
Nun, liebe Gemeinde, mit großer Wahrscheinlichkeit werden uns solche Erfahrungen heute erspart bleiben. Das ist auch gut so. Darum darf noch einmal nach den Neiderfahrungen gefragt werden.
Lassen wir es zu, dass Neid, sei er auch noch so minimal, sich unseres Blickes bemächtigen kann und wir dann mit bösem Auge durchs Leben gehen?
Jesus Christus will uns zur Freude über gelingendes Leben ermutigen, dass sich dadurch auf Viele verteilt, weil jemand gütig ist, ohne dass anderen Menschen deshalb etwas weggenommen wird.
Er fordert ja nicht auf, dass die ersten Tagelöhner etwas von ihrem Verdienst abgeben, damit auch die zuletzt Eingestellten den Tag überleben können. Hier geht es einzig und allein um ein Geschenk.
Wir können es „Gnade“ oder „Liebe“ nennen.
Die Pointe dieses Geschenks besteht in der unverdienten Zuteilung. Wirkliche Liebe kann ich mir nicht verdienen geschweige denn kaufen. Darauf gibt es auch kein Anrecht.
Sie kommt von Herzen und wird immer verschwenderisch ausgegeben, weil es gar nicht anders geht. Wo jemand jemandem am Herzen liegt, besteht die einzige Frage darin: Was kann ich tun, damit es ihm oder ihr gut geht?
Genau diese Frage stellt Gott und beantwortet sie sogleich durch seinen Sohn Jesus Christus.
Ich verschenke durch ihn meine Liebe an euch Menschenkinder. Ihr verdient sie zwar nicht alle gemäß dem, was ihr tut, aber ihr liegt mir am Herzen. Damit eröffnet er uns einen Weg, neu zu sehen. Wo mit den Augen solcher Gottesliebe auf Mitmenschen geschaut wird, entsteht Freude am Glück anderer.
Dabei spielen dann Zeiträume keine wirkliche Rolle mehr. Wer zuerst kommt, mal eben nicht zuerst, sondern könnte schnell der Letzte sein. Worüber wir im Gleichnis immer wieder stolpern, und ich gebe gerne zu, dass mir das selber oft passiert, ist:
Mit dem Spruch „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten werden die Letzten sein“ taucht sofort der Gedanke auf, dass die Ersten in irgendeiner Weise ausgeschlossen oder zumindest benachteiligt sind.
Das sind sie aber nicht. Sie bekommen ja alle etwas zugeteilt.
Der Tag vergeht also nicht ohne Glück für alle.
Das will uns Jesus Christus zeigen. Er erzählt kein Gleichnis vom materiellen Teilen, sondern von der menschlichen Mitfreude.
Der Weg dorthin ist ungewöhnlich.
Und so dürfen auch wir ungewöhnliche Wege suchen, um sie dann zu beschreiten, damit Glaube, Hoffnung und Liebe als großartige Geschenke weitergeben werden können.
Lass los und freue dich mit den Anderen
Echtes Mitfreuen ohne den kleinsten Hauch von Neid zählt zu den eher schwierigen menschlichen Reaktionen. Allzu schnell erliegen wir der Gefahr, dass verglichen wird.
Jesus Christus gibt uns mit der Parabel von den Arbeitern im Weinberg zwar keine direkte Handlungsanweisung für unser menschliches Zusammenleben, sondern er erzählt vom Reich Gottes. Trotzdem, sieht man die matthäischen Worte im Gesamtzusammenhang, taucht die Einladung, nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zu trachten (Mt 6,33), auf.
Damit stellt sich unweigerlich die Frage: Vermögen wir es, schon jetzt so zu handeln und so zu leben?
Könnten göttliche Maßstäbe zu menschlichen Maßstäben werden?
Oder würde uns Gott damit überfordern?
Das Trachten nach dem Reich Gottes steht der anthropologischen Grundkonstante, dass das Dichten und Trachten der Menschen böse ist (Gen 8), gegenüber.
Wo ein Mensch den Ruf Gottes hört und danach handelt, ist es am Ende völlig unerheblich, wann dies geschieht. Es kommt einzig und allein auf das Ergebnis an.
Mit dem heutigen Gleichnis bekommen wir die Ermutigung, menschliche Maßstäbe von Güte und Gerechtigkeit auch einmal loszulassen.
Denn damit werden wir befreit vom neidvollen Vergleichen. Das böse Auge kann wieder anfangen zu leuchten, weil sein Leuchten gespeist wird von der Kraft der Mitfreude.
Sie wird am Ende so groß sein, dass der Abend zum Fest wird mit allem, was dazu gehört.
Und für den dann folgenden Alltag?
Da lehrt uns Jesus Christus die matthäische Gelassenheit aus dem 6. Kapitel:
Macht euch nicht zu viele Sorgen, sondern trachtet aus der Erfahrung geschenkter Gottesliebe nach dem Reich Gottes. Dann wird es für euch völlig egal sein, ob ihr Erste oder Letzte seid. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher größer ist als all das, was wir verstehen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Martin Hundertmark,
Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig