Predigt über Matthäus 10,34-39

  • 05.11.2017 , 21. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis, 5. November 2017 über Matthäus 10,34-39

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
ich möchte Sie zu einem Experiment ermuntern: Setzen Sie sich zuhause einmal hin und schreiben Ihren eigenen Nachruf. Was soll von Ihnen bleiben? Was sollen die anderen von Ihnen sagen? Was haben Sie selbst angesichts Ihres Todes für eine Vorstellung von Ihrem Leben und was in ihm herauskommen soll? Als ich das für mich mal gemacht habe, ist mir aufgegangen, wie sehr mein Dasein eine Sache auf Leben und Tod ist. Ich habe gemerkt, wie tief das Bedürfnis nach Ganzsein und Erfüllung in mir steckt, wie gerne ich ganze bzw. runde Sachen machen möchte in meinem Leben, alles möglichst mit Hand und Fuß. Aber gerade an diesem Punkt - so habe ich es zumindest gemerkt - was halb und unfertig ist. Und wie all das, was in mir selbst unentschieden ist und wo ich genau weiß, dass ich mich eigentlich inkonsequent verhalte und dass das ziemlich unbefriedigend ist auf Dauer - aber wo ich irgendwie auch nicht richtig ran gehe oder rangehen kann oder will, wie auch immer, ich merke da so einen Widerstand, der mich davon abhält, die Dinge rund zu machen oder sie rund werden zu lassen. Da ist immer wieder dieses „Ich wünschte, ich könnte - aber ich will nicht". Es ist die Frage, wer da eigentlich wem im Wege steht - auch in mir selbst. In dem Maße jedenfalls, wie in einem der Wunsch nach geglücktem Leben in einem groß wird, spürt man die Hindernisse und Schwierigkeiten in sich, da vor allem. Und erst dann im Zusammensein mit anderen sowie auch im gesellschaftlichen Netz der Verhältnisse, wenn man das mal so nennen will.

Ich denke, davon kann jeder hier ein Lied singen. Und auch davon, wie man in manchen Dingen oder bei manchen Leuten einfach resigniert oder es kommt zum faulen Kompromiss, wenn mir die Hürden einfach zu hoch zu sein scheinen. Wenn ich den ganzen Aufriss nicht will und mich schon von den Folgen gestresst fühle, bevor es losgeht. Ja, es bedarf zuweilen konsequenter Entscheidungen, um das Leben auf Kurs zu bringen. Ich jedenfalls habe eigentlich keine Lust auf ein Mitläufer - Dasein - und hier hat für mich der Satz seine Wahrheit: „Was nichts kostet, ist auch nichts." Wenn ich mich nicht voll einsetze und auch mal was wage, richtig was wage - bleibe ich da nicht unter Preis, wenn man das mal so sagen will? Andererseits lauert da die andere Gefahr, sich zu überschätzen und zu überfordern. Und das liegt mitunter eng beieinander, das muss ich ja niemandem erzählen. Im Balanceakt zwischen diesen beiden Extremen können wir dann, wie wir so schön sagen aber bitter spüren: „Ich krieg die Krise." Ja, und das verstehen wir dann erst mal als etwas Negatives. Von seiner ursprünglichen Bedeutung her hat Krise aber erst einmal etwas mit „Sichten, Aussondern, Unterschieden, Auswählen und Entscheiden" zu tun. Also erst mal gar nichts so Negatives. Allerdings schon ein Feld, in dem sich sowohl die neue Möglichkeit als auch die Katastrophe anbahnen kann... So oder so: Jede Krise fordert zur Entscheidung heraus.

In unserem heutigen Predigttext wendet sich Jesus an seine Jünger und sagt ihnen im Grunde genau das. Er, Jesus, wird sie in die Krise bringen. Wer an Jesus gerät, kommt in die Krise. Aber auf der anderen Seite gilt auch: Wenn einer in die Krise kommt, dann ist es umgekehrt gut, mit ihm zu tun zu bekommen, mit seiner Art Mensch zu sein und seiner Art, mit Konflikten umzugehen - nämlich so, wie wir es im Evangelium aus der Bergpredigt eben gehört haben. Im folgenden Text begegnet uns der Jesus, der von sich sagt, er sein „eis krina" gekommen, zu Deutsch: zur Unterscheidung - bis hin zum Gericht. Hören wir den Text aus der Aussendungsrede an die Jünger bei Matthäus im 10. Kapitel:

Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Wie fremd ist Jesus hier zunächst unserem Lebensgefühl und unserem Bild, dass wir von ihm haben. Ist das derselbe, der die absolute Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit bis hin zur alles abfordernden Feindesliebe predigt? Hier bringt er jetzt das Schwert und zerrüttet Beziehungen, Lebensformen? Ich denke, es hilft nichts, drum herum zu reden: Ja, Jesus meint es schon in dieser Härte. Und es nicht die einzige Stelle in der Bibel, wo er familiäre Strukturen, auch die, die wir in der Kirche so gern hochhalten, auf das Schwerste kritisiert. Nämlich dann, wenn uns diese Bindungen abhalten, blockieren bzw. schon mitten im Leben wie tot sein lassen, erstarrt, in Abhängigkeiten halten, die uns absterben lassen an Leib, Seele und Geist. Aber hier ist es extrem: Des Menschen Feinde werden sein eigenen Hausgenossen sein. Das ist schon allerhand und der wachrüttelnde Schock, der soll wohl irgendwie schon sein bei den Jüngern, die da um ihn versammelt sind, weil sie jetzt selbst losgehen sollen, in seinem Namen predigen, heilen, das Reich Gottes verkünden. Im Licht seines Lebens sollen sie sich selbst erkennen. Jesus bezieht alles, was er sagt, auf sein Leben, auf seinen Weg, auf sein Schicksal, wenn man so will. Nur darauf bezieht sich der Ausdruck „das Schwert bringen" - und es steht auch nichts da von „Schwert nehmen". Es geht nicht um Streit und Gewalt um Streit und Gewalt willen, nicht um ein Durchsetzen einer Position mit vermeintlicher göttlicher Rückendeckung oder um die fundamentalistische Haltung, zur Durchsetzung des Willens Gottes seien alle Mittel recht. Aber es geht schon darum, dass Jesus mit der Vorstellung und Erwartung aufräumt, dass durch ihn, den Messias, die Welt plötzlich friedlich sei. Er baut kein politisches Reich in dieser Welt auf, wie es viele erwarten. Er bringt das Friedensreich, von dem die alten Propheten wir Jesaja mit Bezug auf den Messias gesprochen hatten, nicht einfach mit. Und auch jeglicher süßlichen Jesus-Frömmigkeit - und damit auch jedem latenten Versuch, Jesus für sich zu domestizieren, zu „verhaustieren", wie ich das immer gerne nenne, ist hier von vornherein der Wind aus den Segeln genommen. Eher ist es so, wie es die Theologin Dorothee Sölle mal in ihren Lebenserinnerungen geschrieben hat: „Ein Christenmensch ist immer in Schwierigkeiten". Darum geht es: Der Weg zum neuen Leben im umfassenden Friedensreich Gottes (nichts anderes hatte Jesus im Sinn) führt über die Krise, er ist nicht anders zu erreichen. Im Leben Jesu selbst war es so, dass er Gottes universale Liebe zu verkünden und zu praktizieren hatte. Und das, das führte zur Spaltung, es brachte zunächst ihm das Schwert.

Warum aber diese gewaltsame Reaktion auf die Verkündigung des Evangeliums? Warum kommen wir Menschen mit Jesus in die Krise? Weil wir uns selbst so tief entfremdet sind - und weg, meilenweit weg sind von unserem Leben, wie es sein könnte. Zum einen, weil da immer wieder dieses „Ich wünschte, ich könnte, aber ich will eigentlich gar nicht" in uns ist - und zum anderen, weil wir schlicht nicht Gott sind, was uns allerdings auch immer wieder schwer fällt, einzusehen. Beides in seiner Verquickung nennt die christliche Tradition seit dem Kirchenvater Augustinus die „Ursünde" des Menschen, oder mit dem heute noch missverständlicheren Begriff „Erbsünde". Der Mensch kann den Spalt bzw. den „Sund", das ist das alte noch in Skandinavien gebräuchliche Wort für eine Wasserfläche zwischen zwei unverbundenen Ufern, er kann diesen Sund nicht von sich aus überbrücken. Er kann nur annehmen, dass Gott diese Brücke für ihn baut. Er selbst wird sich immer nur auf seiner Uferseite um sich selbst drehen und wenden - was nicht nur Luther fast in den Wahnsinn getrieben hätte. Und es hilft nichts, wir werden dieses krisenhafte um uns selbst Kreisen nur an einer Stelle verlassen können und die Brücke Gottes überhaupt erst wahrnehmen, wenn wir in uns selbst auch das Schwert ansetzen, das Jesus bringt. Ihm glauben, ihm vertrauen - das beginnt mit dem Zerreißen der falsche Anpassung, der vielen und feinen Lügengewebe, mit denen wir unser eigenes Leben verdecken und verhüllen. Um der Wahrheit willen gibt es die Entzweiung. So hart es ist, aber dort, wo es sicher und bequem ist, werde ich nichts verändern.

So wird es für uns immer wieder wichtig werden, die Gefahrenherde ausfindig zu machen. Wo wir in dieses Herumirren auf unserer Uferseite geraten, wo wir in die Entfremdung von uns selbst rutschen und wo wir uns das eigene Bedürfnis nach Erfüllung und Vollendung unter der Hand entweder sträflich ermäßigen oder unsinnig verteuern. Solche Gefahrenherde sind da, wo der gesellschaftliche Anpassungsdruck die Zivilcourage erstickt oder wo die Frage „Und was habe ich davon?" jede unbezahlbare Risikobereitschaft aushöhlt und wo die Käuflichkeit aller Dinge schließlich auch den Wert des eigenen Lebens vernebelt...

Wir wissen alle um diese Ecken bei uns oder gar um dieses verminte Land in uns. Da überall gleichzeitig zu kehren oder die Minen zu suchen und zu entsorgen - das ist unmöglich. Das ist eine Lebensaufgabe, zumal ja immer wieder auch neuer Dreck und neue Minen dazukommen. Im Modus des „Weiter so" wird sich da nichts verändern. Manchmal hilft nur das Schwert. Aber nur das Schwert, das Jesus bringt. Es ist das einzige Schwert, das hilft, Krisen zum Guten zu bewältigen. Mögen wir die Kraft haben, es zu führen. Zum Frieden mit Gott, unserem Nächsten und uns selbst.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Pfarrerin Britta Taddiken
taddiken@thomaskirche.org