Predigt über Jes 6, 1-13 im Rahmen des Bachfestes auf dem Marktplatz zu Leipzig

  • 11.06.2017 , Tag der Dreieinigkeit – Trinitatis
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Jesaja 6, 1-13 am Sonntag Trinitatis, 11.06.2017 im Rahmen des Bachfestes Leipzig, gehalten auf dem Marktplatz

Jesaja schaut Gott, liebe Gemeinde.

Wir schreiben das Jahr 736 vor Christus. Unterwegs hat der Prophet plötzlich eine existentielle Begegnung mit Gott. Er sieht ihn mit eigenen Augen, zwar nicht von Angesicht zu Angesicht, welches weiterhin verdeckt bleibt. Freude will da nicht aufkommen. Vielmehr beginnt sein Herz zu beben. Er hat Angst, denn Jesaja weiß: Niemand hält das aus – Gottesschau Eins zu Eins. „Wehe, ich vergehe.“ Selbst für die zur Ehre Gottes singenden Seraphin ist die direkte Begegnung unmöglich. Sie bedecken ihr Angesicht mit ihren Flügeln, während sie das Trishagion, das „Heilig, Heilig, Heilig“ singen.  Gerichtsworte sind zu vernehmen weil sich das Volk Gottes von ihm entfernt hat. Gerichtsworte, die Verderben bringen aber keine endgültige Verwerfung. Denn am Ende steht ein Bild für die Verheißung – der abgeschnittene Stumpf aus dem etwas Neues hervorgehen wird – mit Gottes Segen. Am heutigen Trinitatissonntagmorgen im Reformationsjubiläumsjahr, im Marktgottesdienst während des Bachfestes mit Bachkantate ist vieles miteinander zu verknüpfen. Fangen wir bei Luther an.

 

1.) Bilder von Gottes Herrlichkeit

Der Prophet erlebt Gott in seiner ganzen Herrlichkeit. Das ist kaum beschreibbar. Aber er versucht es trotzdem mit dem schönen Bild vom Saum des Gewandes, welcher den ganzen Tempel füllte. Der Tempel aber galt als größtes Gebäude in Israel. Darüber hinaus konnte nichts Größeres verstanden werden. Angesichts dieser Größe muss sich jeder Mensch klein und nichtig vorkommen. Was bin ich schon im Verhältnis zu Gottes Herrlichkeit? (Nebenbei bemerkt, sollte sich jeder gelegentlich genau diese Frage stellen, wenn der Selbstbeweihräucherungsrausch mal wieder zu groß zu werden droht.)

Was bin ich schon im Verhältnis zu Gottes Herrlichkeit? Ein Nichts. Unbedeutend. Austauschbar. Ein kleiner Hauch Gottes und mein Sein verweht sich in der Ewigkeit.

Als Mensch bin ich bestrebt ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich will meinen Tagesablauf regeln. Ich will für mich selber sorgen können. Und wenn ich auf fremde Hilfe angewiesen bin, dann wird mir unwohl dabei. In der Begegnung mit Gott, kann ich nichts mehr selber tun, sondern bin voll und ganz auf ihn angewiesen. Da blitzt sie auf die Lutherische Rechtfertigungslehre, liebe Gemeinde. All meine Bemühungen, den Saum Gottes mit meinen Taten fassen zu können, werden nicht fruchten, weil er unfassbar ist. Ich kann mich von Gott demnach nur beschenken lassen. Und so kommen wir zu

 

2.)  Gottes Güt und Treu bleibet alle Morgen neu

In Bachs Kantate „Herr Gott, dich loben wir“ spielt der Dank eine besondere Rolle. Wir hörten es eben und kommen gleich noch einmal darauf zurück. Die tiefe Glaubenserfahrung von Generationen und abermals Generationen hat diesen Satz wahr werden lassen: „Gottes Güt und Treu bleibet alle Morgen neu.“ Das klingt ein wenig kindlich banal und naiv. Aber genau darin liegt der Schlüssel zum Verständnis wie Gott zu uns ist – gütig und treu.

Gütig deshalb, weil er am Ende allen Offenbarwerdens unserer Schwächen nicht den Abgrund auftut, damit wir vom Erdboden vertilgt werden. Vielmehr schaut er uns gütig an, nachdem wir uns zu unseren Fehlern bekannt haben. Darin erweist sich auch seine Treue. Gott weiß, mit seinen Menschenkindern ist es nicht leicht. Ständig sind sie versucht, ihm voraus zu sein. Permanent wollen sie vermeintlich Gutes schaffen und reißen doch nur ein, was es eigentlich aufzubauen gilt an Beziehungen, an Liebe, an Mitmenschlichkeit, weil am Ende das Gravitationsfeld für die Ichbezogenheit zu stark ist – oder, mit dem Predigttext gesprochen: Weil unser Herz vor lauter Egoismus verfettet ist, die Ohren verstopft und die Augen verklebt sind. Treu erweist sich Gott auch dadurch, dass er immer wieder den Neuanfang sucht und ihn mit mir Menschenkind wagt.

Bach unterstreicht diese Aussage, so verstehe ich den dritten Satz der Kantate, durch den Einsatz aller Instrumente in der Arie. Darauf gibt es nur eine angemessene Antwort: Jauchzen und Jubel als Ausdruck eines Dankes, der sich seinen Weg vom Herzen zum Mund bahnt.

Schnell gerät der Dank in Vergessenheit, liebe Gemeinde. Das zum Sprichwort gewordene „Undank ist der Welten Lohn“ hat eine tiefe Verwurzelung in der menschlichen Seele. Ereilen uns Katastrophen, suchen wir gerne Gott im Gebet als Stütze und Trost. Stehen wir auf der Sonnenseite des Lebens, droht wir zu vergessen wem wir alles zu verdanken haben – Gott, der Leben schenkt und Segen zum Gelingen gibt.

„Herr Gott, dich loben wir.

Herr Gott, wir danken dir.

Dich, Gott Vater in Ewigkeit,

Ehret die Welt weit und breit.“

Zu Beginn der eben gehörten Kantate lässt uns J. S. Bach teilhaben an dem, was er mit Luther verkündigen möchte – gewissermaßen als Kontrast zum weitverbreiteten „Dankvergessen“. An erster Stelle stehen Lob und Dank in der Neujahrskantate. Nur so lassen sich auch die dann folgenden Segensbitten verstehen. Doch schauen wir noch einmal auf Jesaja.

 

3.)   Wehe mir, ich vergehe

Dem Propheten wird die Zunge gereinigt mit glühenden Kohlen. Das schmerzt und ich will es mir gar nicht so richtig ausmalen. Reinigung ist notwendig, damit neu begonnen werden kann. Unser Text erzählt nämlich, dass der Prophet daran nicht kaputt geht. Reinigung ist ein Symbol für das Gericht Gottes. Wenn ich Verantwortung zu übernehmen habe für mein Tun, dann wird das schmerzlich sein, aber ich werde daran nicht vergehen. Sondern Gott selbst wird mich rein machen. Auch hier lässt sich der Bogen schlagen zur Treue und Güte Gottes. Reinigung ist notwendig, um die Gottesferne zu überwinden. Der Schmerz darüber wird bleiben. Aber er verwandelt sich in Energie, die mich zum Diener Gottes macht. „Was soll ich tun“ fragt Jesaja sinngemäß. Und Gott antwortet: „Verkünde den Menschen die Wahrheit – offen und schonungslos.

 

„Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.“ Hart klingen solche Worte, weil sie existensgefährdend sind in ihrer Entlarvung. Jesaja wird sie dem Volk sagen, wird sie uns sagen als Mahnung dafür, dass wir uns nicht von unseren Wurzeln entfernen sollen. In der ganzen Erzählung von Jesajas Berufung bleiben die Wurzeln erhalten. Sie sind Voraussetzung dafür, dass Neues und Gutes entstehen kann. 

Liebe Gemeinde, ein 2700 Jahre alter Text, der so aktuell in unsere Zeit spricht mit seiner Mahnung: Bleibt euren Wurzeln treu!  Verwässert euren Glauben nicht!

Das heißt doch nichts anderes als darauf zu bauen, was uns trägt und fruchtbare Freude bringt – kulturell, gesellschaftlich oder in persönlicher Frömmigkeit. Der König Usija, von dem im Text die Rede ist, ließ religiöse Verwässerung zu und zahlte dafür Tribut. Der Tribut wird hoch sein, wo wir verwässern, was eigentlich klar und kraftvoll wirkt. Möge Jesajas Worte mahnend sein für alle, die Verantwortung tragen: kulturell, politisch und kirchlich. Und mögen sie uns aufrütteln, damit wir uns selber in den Dienst nehmen lassen. Vertraut dem, der euch zutraut, gemeinschaftliches Leben zu erhalten und zu gestalten.

 4.) Vom Dank zur Fürbitte

In einer Neujahrskantate liegt es auf der Hand für ein segensreiches Jahr zu bitten, also für die vor uns liegende, unbekannte Zeit. So gesehen, ist eigentlich ständig Neujahr, weil wir unsere Zukunft nicht kennen. Was wir aber kennen, ist die Verheißung und die Ermutigung zu Gott zu kommen und ihn zu bitten. Nicht um Geld und Wohlstand an erster Stelle, sondern um Reichtum, der unser Herz ausfüllt, damit wir, so beschenkt, des Lebens Fülle erfahren.

Der alttestamentliche Jesaja hat auf den Messias hingewiesen. Wir erkennen den Messias heute im Sohn Gottes, in Jesus Christus als großes Neujahrsgeschenk für unser Leben. So dürfen wir mit dem Kantatentext glaubend feststellen:

„Geliebter Jesu, du allein, sollst unser Seelen Reichtum sein.“

Jesaja schaut Gott, liebe Gemeinde, bekennt seine Fehler und vergeht darin nicht, sondern lässt sich zu einem Neuanfang bewegen. Mögen wir es ihm gleich tun mit Gott in Jesus Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes. Amen.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)