Predigt über Amos 5,21-24

  • 11.02.2018 , Sonntag vor der Passionszeit - Estomihi
  • Prof. Dr. Andreas Schüle

Gnade sei mit uns und Friede von dem der da war, der das ist und der da kommt!

Liebe Gemeinde,

Lassen Sie sich mit mir auf ein kleines Gedankenspiel ein. Stellen Sie sich vor Ihr Leben wäre ein Duft - wie würde es riechen? Leicht, zitronig, unaufdringlich, angenehm? Oder markant, holzig und schwer? Wäre es ein Duft, der in der Drogerie unter den Bestsellern im Regal steht, oder eher etwas Eigenwilliges, das nur Wenige zu schätzen wissen? Würde es riechen wie frische Laken nach Seife und Lavendel? Oder eher wie die Wäsche vom Vortag? Wäre es der Geruch, der einem in der Arztpraxis entgegenweht - clean und korrekt, aber auch irgendwie künstlich? Oder wie in der Kneipe - rauchig und vielleicht auch ein bisschen schweißelnd, aber ehrlich und heimelig? Wäre es immer ein angenehmer Duft, Ihr Leben? Und wie viel Deodorant und Raumspray würde es brauchen, dann, wenn es mal müffelt oder wirklich stinkt?

Oder stellen Sie sich vor Ihr Leben wäre ein Klang - wie würde es sich anhören?
Wie ein einfaches Lied - oder eine opulente Symphonie? Wäre es ein Gassenhauer, bei dem alle mitsingen können oder eine schwierige Melodie nur für geübte Ohren und Stimmen? Wäre es eher Bach oder Bohlen? Und würde es immer angenehm klingen, Ihr Leben? Oder wären da eben auch unüberhörbare Misstöne oder das Quietschen eines übersteuerten Mikrofons?

Unser Predigttext lädt zu einem solchen Gedankenexperiment ein, weil dort in der Tat Gerüche und Klänge eine Rolle spielen. Allerdings geht es nicht darum, was für uns gut riecht oder klingt, vielmehr geht es darum, wie unser Leben an Gottes Ohr und in Gottes Nase dringt. Ich lese aus dem Buch des Propheten Amos, im 5. Kapitel die Verse 21-24:

21 Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen -
22 es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar -, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an.
23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Das ist eine recht heftige Botschaft, die wenig Zweifel offen lässt. Und wenn man sich nicht an die schon etwas abgemilderte Sprache unserer Lutherübersetzung hält, sondern im hebräischen Original nachliest, dann klingt das noch etwas drastischer: Es stinkt zum Himmel und es ekelt Gott an, was ihm sein Volk da als frommes und tugendhaftes Verhalten vorsetzt.

Aber wie kam es eigentlich dazu, dass dieser Amos solchermaßen unverblümt spricht? Amos war das, was wir heute einen Propheten nennen, also jemand, der im Auftrag Gottes spricht. Amos selbst hat sich so aber nie bezeichnet. Er wollte keinen Titel, weil er den Gestalten seiner Zeit misstraute, die als professionelle Gottesinterpretierer und Gottesversteher auftraten, aber wundersamer Weise eher das sagten, was die Leute hören wollten. „Alles gut" - ihr seid schon recht und richtig wie ihr seid. Gott ist auf eurer Seite, egal was und wie. Die meisten dieser Propheten gehörten zum Establishment, zu den führenden Familien des Landes; sie waren gebildete und kultivierte Menschen, die in jeder Lebenslage eine gute Figur machen konnten.

Amos auf der anderen Seite war Bauer - vermutlich ein wohlhabender Bauer, aber eben jemand vom Land, der dem Treiben in den großen Städten und am Königshof argwöhnisch gegenüberstand. Vor allem sah er, dass die Gesellschaft seiner Zeit nach und nach auseinanderfiel. Man fragte nicht mehr nacheinander, verstand sich nicht mehr als eine große Familie, vielmehr interessierten sich die Menschen zunehmend für sich selbst und dekorierten sich ihr kleines Leben zurecht. Den meisten Menschen ging es gut, manchen sogar sehr gut. Wenn man durch die Straßen der Stadt Samaria schlenderte, konnte man viele neue und teure Häuser sehen - groß und mit schönen Ornamenten. Es gab eine Oberschicht, die sich vieles leisten konnte und das auch zeigte: Elfenbein verzierte Möbel, prächtigen Schmuck für die Frauen und auch sonst die ein oder andere Annehmlichkeit des Lebens. Sollten Sie zufällig einmal nach Jerusalem kommen, besuchen Sie auf jeden Fall das Israelmuseum. Vieles von dem, was Amos als die Luxusliebigkeit seiner Zeitgenossen beschreibt, ist heute dort ausgestellt.

Auf der anderen Seite gab es die, die nicht ganz so gut dran waren, die weniger Privilegierten, die jeden Penny zusammenhalten mussten, weil sie nicht vom Aufschwung der Zeit profitierten. Man konnte leicht unter die Räder geraten damals, wenn man eben nicht genug verdiente, um die Familie zu versorgen, oder wenn man krank wurde. Und so sah man auch Tagelöhner und Bettler in den Straßen, die morgens nicht wussten, was sie abends essen oder wo sie schlafen würden. Aber so war das eben, man gewöhnt sich ja an Vieles, und irgendwann betrachtet man es als normal, dass es den einen halt besser und den anderen schlechter geht. Und auch Gott schien damit einverstanden zu sein - jedenfalls dachten die Priester und Propheten so. Am Tempel wurde eifrig geopfert, es drohte von außen wie von innen keine Gefahr, und Gott hatte auch sonst keine Katastrophen geschickt - das musste doch ein positives Zeichen sein. „Alles gut" also.

Aber Amos sah das anders. Amos und einige seiner Zeitgenossen wagten es, einen unbequemen Gedanken zu denken: Was, wenn eben gerade nicht „alles gut" war, und vor allem, was wenn Gott ganz und gar nicht gut fand, was ihm da als Frömmigkeit und Moral vor die Nase gesetzt wurde? Was, wenn Gott auf uns schaut und das, was wir so alles machen, nicht zum Knutschen, sondern zum Kotzen findet? Zu heftig ausgedrückt? Ich glaube nicht, denn Sie haben es ja gehört:

Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen -
23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!

So spricht ein Gott, der sich dagegen wehrt, abgespeist, eingelullt und zugenebelt zu werden. So spricht ein Gott, der sich dagegen wehrt, zum Götzenbild irgendwelcher Vorstellungen eines angenehmen Lebens gemacht zu werden. So spricht ein Gott, dem es davor graust, im Kreis menschlicher Selbstgefälligkeiten Platz nehmen zu sollen.

Nun könnte man vielleicht denken, dass die Menschen, die Amos damals vor Augen hatte, besonders rücksichtlose, indifferente und ausbeuterische Menschen waren und dass WIR uns davon natürlich nicht angesprochen fühlen müssen. Wir sind sicher auch nicht perfekt, aber auch nicht so schlimm, dass wir solch ein prophetisches Donnerwetter verdienen würden.

Aber ich fürchte, ganz so leicht kommen wir nicht vom Haken. Nein, ich glaube nicht, dass Amos mit uns gnädiger umspringen würde als mit seinen Zeitgenossen, denn genau wie die Menschen von damals, stehen auch wir in der Gefahr, uns in unseren kleinen Wohlfühlwelten einzunisten und nicht mehr danach zu fragen, wie es darum herum zugeht. Dabei sind wir doch ganz verträgliche Zeitgenossen, die es durchaus gut meinen. Aber wir schauen eben doch weg, wo es nicht so gut aussieht und machen einen Bogen, wenn es irgendwo danach riecht, dass wir in unserer Art zu leben in Frage gestellt werden.

Oft wird einem das ja nur bewusst, wenn man es ganz hautnah erlebt. Mir ging das letztes Jahr einmal so. Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Sie kennen vielleicht das Modegetränk Kokoswasser. Das kann man inzwischen in den meisten etwas exklusiveren Lebensmittelgeschäften kaufen. Es soll gesund sein, schmeckt erfrischend und ist nicht so langweilig wie Wasser. Ein bisschen teuer sind die kleinen Tetrapacks, in denen es abgefüllt ist; aber nun ja, die Palmen wachsen ja auch nicht bei uns um die Ecke. Ich hatte schon davon gehört, dass für den Anbau der Kokospalmen zum Teil der tropische Regenwald abgeholzt wird. Deswegen kaufte ich auch immer nur die noch etwas teurere Bio-Variante im Vertrauen, dass aus ökologischer Sicht alles in Ordnung wäre. Dann hatte ich letzten März die Gelegenheit, nach Indonesien zu fliegen. Ich wollte schon immer einmal die seltenen und nur noch dort lebenden Orang-Utans sehen. Das hatte ich mir so vorgestellt, dass ich mit meiner Kamera durch den Dschungel stapfen und fröhlich von Ast zu Ast schwingende Affen sehen würde. Was sich mir bot, war aber etwas ganz Anderes. Die meisten Orang-Utans leben dort in Auffangstationen. Viele von ihnen haben Verletzungen am Körper, manchen fehlen Finger, Hände oder Füße. Warum? Weil diejenigen, die den Regenwald roden, um dort Kokospalmen anzupflanzen, sich nicht darum scheren, wenn sie mit Ihren Sägen und Macheten auch diese wunderbaren Geschöpfe zusammenschlagen.

Zurück in Deutschland und wieder mal im Supermarkt unterwegs stehe ich vor dem Regal mit dem Kokoswasser und der Werbung, die glückliche, dynamische Menschen zeigt. Aber das mischt sich nun mit den Bildern und ja auch mit den Gerüchen dieser Auffangstationen. Kokoswasser? Nein, ich glaube für mich in diesem Leben nicht mehr.

Für mich war das ein vereinzeltes und irgendwie zufälliges Erlebnis. Aber könnte es sein, dass es Gott immer so geht? Könnte es sein, dass Gott immer so wahrnimmt? Genau das will Amos wohl sagen. Wir kümmern uns in der Regel wenig um die Konsequenzen unseres Lebensstils. Gar nicht, weil wir böse Menschen wären, sondern weil eben oft nur einfach so vor uns hinleben. Wir richten uns so ein, dass es schön um uns herum ist. Warum auch nicht, das Leben ist doch kurz und kompliziert genug! Die Macht des Nicht-Wissen-Könnens und Nicht-Wissen-Wollens, des Wegsehens, Weghörens und Wegriechens ist groß. Aber was wir feinsäuberlich trennen, das kommt in Gottes Augen, Nase und Ohren alles zusammen. Was uns Menschen wie Amos lehren wollen, ist, dass Gott ein unendlich sensibles Wesen ist. Gott übersieht auch die kleinste Träne nicht und überhört kein Schluchzen. Und weil das so ist, weil Gott dieses sensible Wesen ist, gibt es nicht nur Liebe in Gott, sondern auch Zorn und Schmerz. Was uns Propheten wie Amos sagen wollen, ist, dass auch wir uns auf diese Liebe, diesen Zorn und diesen Schmerz einlassen sollen, der über unser eigenes kleines Leben hinausgreift. Propheten wie Amos wollen uns mit ihrer Anklage nicht in den Boden stampfen, sondern umgekehrt zu Menschen machen, die wacher, engagierter, lebendiger und, ja auch freudiger die Tür vor sich auf und nicht hinter sich zu machen. Und dafür gibt uns Amos ein einladendes Bild: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."

Nun sind wir hier in einer Kirche, in der das ganze Jahr über die schönsten Klänge zu hören sind. Wunderbare Orgel- und Chormusik erklingt hier - und das nicht wie in einem Konzertsaal, sondern zum Lob Gottes. „Herrscher des Himmels erhöre das Lallen, lass dir matten Gesänge gefallen, wenn dich dein Zion mit Psalmen erhöht. Höre der Herzen frohlockendes Preisen, wenn wir dir itzo die Ehrfurcht erweisen." So hören wir es jedes Jahr im Weihnachtsoratorium und dabei singt das Herz auch ein bisschen mit.

Wie würden wir aber reagieren, wenn Amos hier in unserer Kirche, mitten in einer Kantate aufstehen und sagen würde:

Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! ?

Vermutlich wären wir empört, genauso empört wie die Menschen damals. Die Vorstellung, dass die Thomaner oder das Leipziger Vocalensemble singen und Gott im Himmel sich dabei die Ohren zuhält - nein, dieses Bild will man gleich wieder aus dem Kopf verbannen. Und doch muss man sich diesem Bild aussetzen. Denn was Gott in diesem Raum hört, ist nicht nur die wunderbare Musik, sondern damit vermischt und vermengt die Klänge unserer Taten.

Wir können uns nicht hinter unseren minutiös geplanten Gottesdiensten verstecken, sondern wir bringen unser Leben mit. Wir bringen mit, was wir als Einzelne und als Gemeinde tun oder eben auch nicht tun. Mit den Stimmen der Thomaner hier drinnen vibriert mit, was wir draußen tun und lassen. Es wäre scheinheilig, wenn wir uns nur darum kümmerten, dass es hier gut klingt. Keine noch so brillante Kirchenmusik kann die Dissonanzen übertönen, die an uns dranhängen - jedenfalls nicht in Gottes Ohren. Und genau aus diesem Grund ist es besonders wichtig, dass wir uns dort mit aller Macht und Leidenschaft einsetzen, wo es eben nicht gut riecht, sondern wo (verzeihen Sie mir, wenn ich es nochmal so sage) die Kacke am Dampfen ist. Warum? Weil Gott es auch so macht. Das wird uns immer wieder misslingen und missklingen, ja. Aber wenn es gelingt, dass die Lieder unserer Lebens, trotz allem, in ihrem cantus firmus Lieder der Liebe, der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit sind, dann wird daraus etwas, das es - zumal an diesem Ort - verdient, ein musikalisches Opfer genannt zu werden.

Und der Friede Gottes, welche höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Prof. Dr. Andreas Schüle