Predigt über 2. Korinther 6,1-10

  • 18.02.2018 , 1. Sonntag der Passionszeit - Invokavit
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über 2. Korinther 6,1-10, Invokavit, 18. Februar 2018

Gnade sei mit Euch von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
wie sieht es aus mit unseren Erwartungen an die Glaubwürdigkeit eines anderen? Vor allem an die eines Menschen, der in der Öffentlichkeit steht und ein Amt bekleidet - was ist da entscheidend? Halten wir jemanden für glaubwürdig, der, was immer auch kommt, bei dem einmal Gesagten bleibt - oder ist es eher jemand, der in der Lage ist, noch mal nachzudenken und sich zu korrigieren im Stande ist? So wie es der englische Premierminister Winston Churchill mal gesagt hat und worauf der großartige Film „Die dunkelste Stunde" aufbaut - es lohnt sich, den in diesen Tagen anzuschauen: „Ein Fanatiker ist ein Mensch, der seine Ansicht nicht ändern kann, und das Thema nicht wechseln will." Ist glaubwürdig also nur der, der sich notwendiger Erkenntnis nicht verschließt und das zu vertreten weiß?

Oder ist es mal so mal so? Beziehungsweise: Was steht vornan - was einer sagt - oder was er letztlich tut? Die Erwartungshaltung von anderen kann uns zum Verhängnis werden, wo sie überzogen sind. Wo sie den vollkommenen, widerspruchsfreien Menschen erwarten, der die Dinge von Anfang an durchschaut und sicher steht wie ein Fels in der Brandung. In den letzten Tagen konnte man nicht anders, als über dieses Thema nachzudenken - auch in Bezug auf sich selbst, denn zum Unglaubwürdigsten überhaupt gehört es, die selbst gefundenen Maßstäbe, mit denen man andere misst, in Bezug auf sich selbst nicht anzuwenden. Wie schnell sind wir immer wieder dabei, zu moralisieren statt über Moral nachzudenken. Das ist kein neues Thema. Es ist auch immer wieder dran, weil es die Frage berührt, von welchen Quellen lebe ich denn, wo verorte ich mich, wohin suche ich ggf. auch den Weg zurück. In unserem heutigen Predigttext erleben wir mit dem Apostel Paulus jemanden, der das tut, was wir in der Regel nicht tun. Dass er von den Kriterien offen spricht, an denen man Glaubwürdigkeit messen kann - und zwar zuerst die eigene. Er benennt das, mahnend und tröstend zugleich. Es ist schlicht menschliche Grundlagenarbeit, die immer wieder zu leisten ist, wenn wir nicht durch Leid und Last in Versuchung kommen wollen, für uns als wesentlich aufzugeben - und damit auch etwas von unserer Glaubwürdigkeit. Wo können wir an uns arbeiten und wo Kriterien finden? Im Predigttext aus dem 2. Korintherbrief geht es dabei zunächst um die Person des Paulus selbst, aber dann auch um uns alle.

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. 2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; 4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, 5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; 9 als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.

Ja, Paulus hat um seine Glaubwürdigkeit zu ringen. In Korinth waren sog. Superapostel aufgetreten, die davon sprachen, dass sich die empfangene Gnade Gottes doch unmittelbar zeigen bzw. ablesen lassen muss im Leben. Somit hätte auch der Botschafter dieser Gnade nur eines zu sein: Begabt, stark, erfolgreich, attraktiv, überlegen, ohne Wiedersprüche und mit dem großen Durchblick gesegnet. Tja, so wie man sich bis heute Führungspersönlichkeiten wünscht - und wehe, sie kommen dem nicht nach, wie schnell sind sie weg vom Fenster... Paulus ist ehrlich, er hat auf diesem Gebiet nichts anzubieten, hat kein schlagendes Argument, kein bewährtes Rezept in der Konfliktbewältigung, nicht einmal einen Ruf als charismatischer Prediger. Er gibt der Versuchung nicht nach, sich auf die Ebene seiner Gegner hinzugeben, die meinen, Gottes Gnade ließe sich direkt am Wohlergehen eines Menschen ablesen - und dass Leid und Schmerz einen Begnadeten nicht mehr im Innersten berühren könnten. Bei ihm ist es wie im eben gehörten Evangelium, wo der Diabolos Jesus mit der dreifachen Versuchung von Brot, Spiel und Herrschaft auf seine Ebene zu ziehen versucht: Du kannst es alles haben, es ist alles machbar: Kein Hunger mehr auf dieser Welt, Unverletzlichkeit, Reichtum über alles. Aber Jesus weiß genau, dass er dann nicht mehr erfüllen könnte, wozu er berufen ist: Wirklich in den Hunger der Menschen hinein zu gehen und ihrer Sehnsucht Nahrung zu geben, ihr Vertrauen in Gott zu stärken und sie zu lehren, niemanden als Gott anzuerkennen, der sich als Mensch selbst dazu machen will. Kurzum: Ein freier Mensch zu bleiben, der sich von Gottes Freundlichkeit und Ehre nährt und nicht von den Surrogaten, die der Mensch dem Menschen immer wieder anzupreisen versucht.

Genau darin will auch Paulus glaubwürdig bleiben und sich nicht auf die Ebene des Versuchers begeben. Und nennt zwei Kriterien, die nicht nur seine Glaubwürdigkeit untermauern, sondern die einen davor bewahren mögen, sich die Sichtweise zu eigen zu machen, die die Ewigfröhlichen, Ewigjungen und Ewigerfolgreichen haben und zu meinen, dort sei das wahre begnadete Leben zu finden. Es ist, wie gesagt, Grundlagenarbeit. Sie besteht zum einen in der Ermahnung, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen. Und zum zweiten die Aufforderung, sie in großer Geduld zu leben und zu bewähren. Gnade und Geduld - für uns schon fast Fremdwörter - aber vielleicht für die Korinther bereist auch schon. Geduld - griechisch „Hypomonä" - wörtlich übersetzt meint das „Darunter bleiben" - in Situationen, in die man nicht kommen möchte, in die wir aber kommen. Und deshalb zählt Paulus Situationen auf, in denen es einen etwas kostet, seine Glaubwürdigkeit zu bewahren - und nicht zuletzt auch seinen Glauben selbst: Bedrängnisse, Nöte, Ängste, Schläge, Gefängnisse, Aufruhr, Mühen usw. Genauso aber finden sich in seiner Aufzählung auch andere Bewährungsproben. Lauter Dinge, die wir positiv besetzen: Lauterkeit, Erkenntnis, Langmut, Freundlichkeit, warnt vor der Gefahr, überheblich zu werden aus der guten Erfahrungen heraus. Paulus benennt sogar, dass er bzw. wir ja letztlich auch, immer in der Gefahr stehen, ebenfalls Verführer zu sein, in Vers 8 spricht er das an: „als Verführer und doch wahrhaftig". Gerade das, was uns gelungen ist, unsere persönlichen Erfolge oder was auch immer, können unserer Glaubwürdigkeit auch im Wege stehen - nämlich dann, wenn wir uns dabei mit uns selbst brüsten. Paulus sieht sich und uns da sehr realistisch - und hält auch nicht hinter dem Berg, was solch ein Verhalten für ihn bedeutet: die Gnade Gottes vergeblich zu empfangen. Genau auf diesen Punkt kommt es ihm an in Sachen Glaubwürdigkeit: Dass man weiß und auch sagt: Ich lebe in allen Dingen von der Gnade Gottes. In allen. Alles andere ist vergänglich, nichts ist für ewig, nicht mein Glück, mein Können, mein Vermögen, mein Leben, meine Schönheit. Unvergänglich ist die Gnade Gottes als Geschenk, damit sie in uns lebt - jederzeit. Das ist Grundlagenarbeit, da hinzugucken, wo von lebe ich und unter welcher Perspektive sehe ich denn mein Leben. Es gibt dieses bekannte Diktum: „Christen sind nicht besser - aber sie sind besser dran." Klingt etwas plakativ, aber trifft es im Kern. Denn das, was „Gnade" ist, hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, was mir in meinem Leben objektiv widerfährt, sondern zuerst einmal damit, wie ich das, was mir widerfährt, einzuordnen weiß. Mit welchem Glauben und aus welchem Vertrauen heraus ich das, was mir geschieht, annehme und gestalte: Nämlich aus dem Vertrauen heraus, dass mein Leben einen Sinn vor Gott hat. Paulus sieht es so, dass sich durch unseren Glauben etwas in uns verändert.

Aber: Kann man davon etwas sehen, merkt man das? Kann man, wie Paulus hier, auch die Leidenszeiten als „willkommene Zeit" oder „Zeit der Gnade" sehen? Das ist nicht auf den ersten Blick nicht ohne, Vorsicht vor Zynismus jeglicher Art ist da geboten. Solche Sätze wie: „Ich bin an den Niederlagen und Krankheiten in meinem Leben gereift und nicht an den Triumphen und Glückssträhnen" - sie sind etwas für den persönlichen Rückblick. Aber sie taugen überhaupt nicht als Trost für Menschen, die gerade betroffen sind von Krankheit und Leid. Die können das Jetzt und Hier eher nicht als „willkommene Zeit" oder „Zeit der Gnade" sehen - und da gilt es eher, ihnen in diesem Nichtkönnen beizustehen. Paulus tut genau das damit, indem er alles, was uns im Laufe unseres Lebens geschieht, an sich selbst reflektiert. Dass immer wieder Dinge geschehen, die einen verzweifeln lassen wollen. Wo es völlig anders läuft als ich es mir vorgestellt habe. Und wo ich mir selbst verzweifelt vorkomme in meinem Bemühen, in meinem Glauben stark zu sein. Und diese Stärke soll mich dann - bitteschön - ganz und gar durchstrahlen und mich glaubwürdig wirken lassen. Wie ein Schutzanzug, der mich völlig umgibt. Alles soll durch meinen Glauben abgewehrt und wie an einer schützenden Hülle einfach abprallen. Ach, wäre das schön, das ist irgendwie ein tief in uns sitzender Wunsch obwohl wir wissen: So ist es nicht mit dem Glauben. Wenn wir wie die korinthischen Überapostel sind, die das positive Denken, die ewige Jugend oder das reine Vergnügen predigen, dann machen wir uns etwas vor. Es ist jetzt in diesen Wochen der Passionszeit aus gutem Grunde dran, auf das zu schauen, worauf uns das Evangelium von der Versuchung Jesu in der Wüste hinweist: Jesus ist nicht mit einer Art Glaubensschutzanzug durch die Welt gegangen. im Gegenteil. Er ist verletzlich und bewahrt sich das gegen alle Anfechtungen des Teufels. Von Anfang an. Nur so kann er mitten hinein gehen in unser Leiden, in Trauer, Schmerz und Tod. Gottseidank lässt er sich nicht davon abbringen.
So schafft er die Voraussetzung für das, was Paulus auch den Korinthern sagt: Ich stehe mitten drin in dem Leiden der Welt, so wie Christus. Ich erlebe Nöte, Ängste, ich werde angefeindet, böse Gerüchte werden über mich verbreitet, der Tod ist mir nahe. Ja, und letztlich ist es genauso - auch wenn das manchem zu pessimistisch klingen mag - aber: Was anderes als der Tod und unsere Sterblichkeit erinnern uns daran, dass wir in vielem schlicht machtlos sind? Wo wir geboren werden, wer unsere Eltern sind, ob bzw. wann wie krank werden?

Und jetzt sind wir am Punkt des Anfangs dieser Predigt und dieses Predigttextes: Glaubwürdig sind wir dann, wenn wir diese Wirklichkeit ernstnehmen. Paulus ist da sehr realistisch: Wir sind Sterbende, sagt er. Das ist unsere Grunddisposition. Wir sind traurig, wir sind auf unsere Weise arm oder armselig. Paulus sagt es, wie man es deutlicher nicht sagen kann: Was wir oft als den Extrem- oder Notfall in unserem Leben sehen - es ist der Normalfall! Welcher Teufel hat uns eigentlich eingeflüstert, dass wir alles daran festmachen mögen, was uns nicht nur unglaubwürdig erscheinen lassen, sondern zutiefst lächerlich? An diesen reg- und gefühlslosen Botoxstirnen, den aufgepumpten Lippen und dem grotesk dunkel gefärbten Haar, das uns schlicht fratzenhaft aussehen lässt: Warum stehen wir nicht zu unserer Sterblich- und Vergänglichkeit?
Paulus sagt, zu wissen: Ja, ich bin allezeit gefährdet, ich bin sterblich, endlich. Aber dass ich dennoch jetzt und hier fröhlich leben kann: das ist die willkommene Zeit. Dass ich dass auch dann noch kann, wenn ich das alles im Nacken spüre. Und doch sagen kann: Jetzt ist der Tag des Heils. Jetzt und hier! Ich kann Ihnen, liebe Gemeinde, nur sagen: Die glaubwürdigsten Menschen sind für mich die, die das begriffen haben mit dem Blick auf ihr Lebensende. Die diese Realität benennen können in all ihrem Schmerz, in ihrer Verzweiflung und Traurigkeit, in ihren Vergeblichkeitsgefühlen und in allem, was Paulus da am Ende unseres Predigttexts so benennt mit dem Spitzensatz: „...als Sterbende und siehe wir leben". Die das sagen können und zugleich voller Dank sind für das, was jetzt ist, weil sie sich eben jetzt auch festmachen konnten an dem, was größer ist als sie selbst. Leid und Glück - nein, sie sind keine Gegensätze in unserem Leben. Sie sind kein zeitliches Nacheinander, sondern ein Ineinander. So ist es wohl auch kein Zufall oder nur eine Laune der Natur, dass der Regenbogen als Zeichen des Bundes Gottes mit uns nur im Ineinander von Regen und Sonne aufscheint bzw. erkennbar ist und nicht im Nacheinander. Das zu begreifen heißt, die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen zu haben. Und wann immer wir Menschen begegnen, die schon als Sterbende bzw. vom Tode gezeichnet sind und die uns dennoch fröhlich machen, die ihre Freude mit uns zu teilen vermögen und die getröstet wirken - sind die, die im Grunde nichts mehr haben, nicht die glaubwürdigsten Menschen von allen? Sind die, die uns „als Sterbende, und siehe, wir leben" nicht den großartigsten Trost spenden können? Sind die, die uns trotz ihrer Traurigkeit fröhlich und zuversichtlich machen und als die, die nach den Maßstäben dieser Welt nichts mehr haben, nicht die glaubwürdigsten Menschen, die es gibt? Sind das nicht Menschen, deren einzelne Worte man nicht auf die Goldwaage legt, sondern wo man spürt, die Haltung, die imponiert mir, die macht mich stark? Und nicht nur mich, sondern uns als Gemeinschaft? In welcher Haltung wollen wir leben als Christenmenschen, heute und immer und ewig und was sollten wir dieser Welt im Bemühen um Glaubwürdigkeit anbieten und ggf. auch konfrontieren?

In für mich unvergleichliche Worte fasst das der Theologe und Schriftsteller Jörg Zink, wenn man so will: der „Altmeister" in Sachen Glaube und Glaubwürdigkeit des Christenmenschen: „Geduld ist die Kraft, bei einer Sache zu bleiben, bis sie ausgereift ist. Diese Geduld entsteht nicht dadurch, dass jemand sich zusammennimmt, sondern dadurch, dass er sich einem größeren fügt. Weil etwas Großes da ist, fügt sich das Kleine. Der kleine Wille bleibt unter dem großen, er bleibt gespannt auf den großen Willen hin. Solange Geduld das ist, trägt sie. Es geht nicht darum, den eigenen Willen zu brechen, sondern mit der vollen Kraft des eigenen Willens. Etwas zu tragen, das größer ist: die Absicht Gottes."

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org