Predigt über 1. Petrus 2, 2-10

  • 28.07.2019 , 6. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Urlaubszeit ist Zeit für neue Eindrücke. Unterwegs auf Reisen begegnen uns dabei viele Bilder. Mal sind sie mit der Kamera selber gemacht und dienen als Erinnerung an die schöne Zeit, mal hängen sie als Gemälde an der Wand eines großen Museums. Bilder können sich tief in unser Gedächtnis einprägen, erzählen sie doch von Momenten aus dem Blickwinkel des jeweiligen Malers. Egal ob Impressionist, Surrealist, Naturmaler oder Expressionist – stets ist es interessant zu sehen, welchen Eindruck eine bestimmte Situation hinterlassen hat, wie sie vom Maler eingefangen wurde und welche Wirkung wiederum jener Eindruck auf den heutigen Betrachter erzielt.

Zu Beginn des ersten Petrusbriefes, liebe Gemeinde, liefert uns dessen Verfasser einen Blick in sein Magazin. Dort lassen sich viele theologische Bilder finden, die es wert sind, ausgestellt zu werden.

„2 Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf dass ihr durch sie wachset zum Heil,

3 da ihr schon geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist.

4 Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.

5 Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.

6 Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.«

7 Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar. Für die aber, die nicht glauben, ist er »der Stein, den die Bauleute verworfen haben; der ist zum Eckstein geworden« (Psalm 118,22)

8 und »ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (Jesaja 8,14). Sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind.

9 Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht;

10 die ihr einst nicht sein Volk wart, nun aber Gottes Volk seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25).“

 In dieser Bilderflut braucht es Orientierung. Anders als im Museum haben wir jetzt keinen Audioguide zur Hand und müssen schauen, wie wir uns behelfen.

Mir scheint es sinnvoll, zunächst zwei Bilder herauszugreifen.

 

Die vernünftige, lautere Milch

Milch ist als Grundnahrungsmittel für das heranwachsene Neugeborene von elementarer Wichtigkeit. Das Baby lechzt nach Milch in der Mutterbrust und wehe, sie kommt nicht sofort – dann gibt es großes Geschrei. Muttermilch enthält alles, was zum Wachsen in den ersten Monaten notwendig ist – Energie und Abwehrkräfte, Vitamine und Mineralien.

Ohne Milch würde das Neugeborene zugrunde gehen. Nun finden wir im Neuen Testament zwei unterschiedliche Ausführungen zum Bild der Milch. Bei Paulus ist es eher negativ besetzt nach dem Motto, ihr müsste jetzt auch einmal feste Nahrung zu Euch nehmen und könnt nicht ständig bei der Milch bleiben.

Anders der Verf. des Petrusbriefes. Er gibt der Milch hier eine durchweg positive Bedeutung. Sie ist und bleibt Grundnahrungsmittel eines jeden Gläubigen. Somit wird die Milch zum Wort des Evangeliums und dadurch wird deutlich:

Darauf kann auch als Erwachsener nicht verzichtet werden. Gleich wie dem Säugling nach Milch dürstet und verlangt, so verlangt es den Christen nach Evangelium, nach froher und guter Botschaft Gottes. Aus diesem Verlangen kann und darf man nicht herauswachsen.

Gottes Wort bleibt elementarer Bestandteil christlichen Lebens. Und nun knüpft der Verfasser des Petrusbriefes an die bereits getätigte Erfahrung an. Ihr, liebe Gemeinde, habt doch schon geschmeckt, wie freundlich und gütig der Herr ist. Damit spielt er nicht etwa auf das Abendmahl an, sondern auf die Erfahrung, dass Gottes Wort Menschen auferbaut, dass Sehnsüchte gestillt und die angefochtenen Seelen gestärkt werden. Deshalb – haltet euer Verlangen nach Gottes Evangelium wach. Sucht es im Alltag. Verkündigt und nutzt es.

Daraus ergeben sich dann mehrere Konsequenzen, die im Petrusbrief z. B. mit den Bildern vom Stein anschaulich dargestellt werden.

 Lebendiger Stein

 Zwei Worte, die an sich überhaupt nicht zusammenpassen. Steine sind tot. Ein Herz aus Stein ist eben kein fleischernes Herz, sondern gefühllos und tot. Steine stehen sinnbildlich eher nicht für etwas Lebendiges. Warum will der Verfasser des Petrusbriefes, den er als Rundschreiben an mehrere Gemeinden schickte, uns mit solch einem Bild verwirren?

Schauen wir auf die Zitate mit Steinbezug, die der Verfasser verwendet. Er zitiert den Propheten Jesaja sowie Psalm 118, jenes berühmte Zitat vom verworfenen Stein, der zum Eckstein wurde.

Ein Eckstein hat tragende Funktion. Um im Bild des heutigen Predigttextes zu bleiben - wird auf dem Eckstein gewissermaßen das Gebäude unserer Erlösung gebaut. Aus Liebe geht Christus den menschlichen Weg, um an dessen Ende uns aus der Macht des Todes zu reißen. Deshalb wird der Eckstein zum lebendigen Stein einer sich ausbreitenden Gemeinde, die genau jenes Evangelium verkündigt. Was für alle Welt tot war, ist durch Gottes Gnade und Liebe wieder lebendig geworden. Darauf dürfen wir vertrauen. Der Predigttext ermutigt uns, dieses Geschenk niemals aufzugeben, auch dann nicht, wenn andere daran Anstoß nehmen, weil Christen gegen das Offensichtliche Glauben und für sie reale Gegebenheiten niemals das letzte Wort haben.

 

Stein des Anstoßes

 

Es zählt wohl zu einem Erkennungsmerkmal von Christen, dass sie nicht konform sind mit den bestehenden Verhältnissen. Einmischen in die Gesellschaft, sich zu Wortmelden – das wird meistens sogar erwartet von denen, die keine direkte Bindung zum christlichen Glauben bzw. der christlichen Gemeinde haben.

Manchen mag das stören, wenn sich Christen zu Wort melden und wiederum Andere finden es bewundernswert.

Mit ihrer Haltung zu Beginn der christlichen Gemeinden haben die Gläubigen oftmals Ärger oder Unverständnis hervorgerufen. Sie lebten anders, gewissermaßen gegen den Strich der durch die römischen Kaiserkulte dominierten Gesellschaft. Vieles wurde da überhöht. Und eine kleine Gruppe meist in jeder Stadt sagte: Nein! Wir gestalten unser Leben anders als Mitglieder der Gesellschaft aber nicht als Anbeter staatlicher Gewalten, die sich zu Göttern erhoben haben.

Für Christen war und ist ihre Gemeinschaft wichtig. Sie wurde gepflegt und fand im Abendmahl als besonders Zeichen ihren Ausdruck. All das trug dazu bei, dass diese Gruppen als sonderbar und für manchen übereifrigen Staatsdiener auch als gefährlich eingestuft wurden.

Wer seinen Glauben nicht nur im stillen Kämmerlein lebt, sondern die Kraft hat, damit auch in die Gesellschaft hineinzuwirken, dem bleiben Ärger und Unverständnis oft nicht erspart. So leben wir im Spannungsfeld von wohltuendem Milchtrinken und Stein des Anstoßes zu sein. Beides hat seine Berechtigung. Es braucht, besonders in schwierigen und unübersichtlichen Zeiten, die Ruhe und Einkehr, um Evangelium in sich aufnehmen zu können.

Johann Sebastian Bach hat uns mit seinen Kompositionen einen unglaublichen Schatz hinterlassen. Er goss Theologie in Musik, formte aus der guten Botschaft, Melodien, die auch heute noch im Leben der Hörenden klingen. Sein musikalisches Evangelium hat auch an seinem 269. Todestag nichts an Kraft eingebüßt. Vielmehr wurde es zu einer universellen, weltumspannenden Sprache, die Christen miteinander verbindet. Die Botschaft des „dona nobis pacem“ aus der H-Moll Messe versteht wohl jeder, selbst wenn er den Text nicht lesen kann. Evangelium in der eigenen Seele wirken zu lassen, es als heilsame Botschaft aufzunehmen, um Kraft für den Alltag zu bekommen hat sein berechtigtes Anliegen für einen jeden Christen.

Und gleichermaßen darf daraus nicht ein Wellness-Christentum werden, das sich nur noch um sich selber kümmert und die gesellschaftlichen Probleme populistischen Schreihälsen überlässt. Christsein heißt eben auch sich einzumischen mit der Botschaft des Evangeliums von der Liebe Gottes. Nächstenliebe verlangt Klarheit. Klarheit jedoch heißt gelegentlich auch sich deutlich nach rechts und links abzugrenzen, wenn von dort gesellschaftliche Entwürfe vorliegen, die sich gegen die Menschenwürde oder gegen Religionsfreiheit richten.

Schmecken wird solche Klarheit nicht allen.

Das wissen schon die Psalmbeter und in ihrer Tradition auch der Verfasser des Petrusbriefes.

Christus selbst ist zum Stein des Anstoßes geworden, weil er ein anderes Heil versprach. Gesund werdet ihr nur, indem ihr euch schenken lasst, was nicht aus euch selbst kommen kann – Gnade und Güte, Vergebung Liebe.

Damit erteilte er allen nationalistischen Überhöhungen durch einen starken Mann im Staat oder ein starkes Volk eine Absage.

Und für die gesellschaftlichen Experimente einer Selbsterlösungsideologie gilt das in gleicher Weise. 

 Fürchte dich nicht

Wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten sind wir durch die Taufe. Gott begründet in Jesus Christus einen Bund mit uns, aus dem wir nicht mehr herausfallen können.

Das Rufen beim Namen und die Erinnerung daran im Alltag ist die Vergewisserung, dass ich Gottes Kind bin und bleibe. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Immer dort, wo gelebter Glaube zum Stein des Anstoßes wird, kann mich diese Zusage trösten.

Amen.

 Pfarrer Martin Hundertmark

hundertmark@thomaskirche.org