Predigt im Nachteulengottesdienst "JakobsWeg - wie weit gehe ich?"

  • 04.03.2018 , 3. Sonntag der Passionszeit - Okuli
  • Pfarrer Hundertmark

„Jakobs-Weg – Wie weit gehe ich?“ Predigt im Nachteulengottesdienst am Sonntag Oculi, 4.3.2018, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

 Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Gemeinde,

Jakob und Esau – eine Familiengeschichte des Alten Testamentes wird uns vorgestellt als Geschichte eigenen Nachdenkens über Abgründe menschlichen Tuns und Handelns. Die vier Nachteulengottesdienste im Jahr 2018 werden jeweils einen Teil aus dieser spannenden Lebensgeschichte in den Focus rücken. Wir haben eben in den drei kleinen Szenen gehört, wie sich die ersten Stationen auf Jakobs Lebens-Weg darstellen. Bevor wir darauf etwas näher eingehen werden, lohnt es sich, ein wenig beim Namen „Jakob“ zu verweilen.

Er bedeutet, nimmt man die Sprachwurzeln der Alttestamentlichen Sprache als Grundlage, so viel wie „betrügen“ als Verb bzw. „Ferse“ als Substantiv. Damit wird sein Lebensthema angedeutet: Wie gehe ich mit Betrug um? Wann werde ich selber zum Betrüger und wo ereilt mich Betrug, unter dem ich leiden muss? Die Geschichten von Jakob aus dem ersten Buch Mose deuten dessen Betrügereien positiv und stellen uns damit einen von Gott gesegneten Menschen vor, der zum Stammvater des Volkes Israel wird. Ähnlich wie beim späteren König David, dessen Verfehlungen nicht zur Auflösung der Verbindung Gott-Mensch führten, wird uns vor Augen geführt: So bist Du Mensch, fehlbar, schuldbehaftet, Leiden verursachend – und trotzdem stehe ich an Deiner Seite als Gott, der Dich schützt und segnet.

Damit wären wir bei einer weiteren Deutung des Namens „Jakob“ – „Gott hat beschützt“ bzw. „Gott ist nahe“.

Nun könnte man zu dem Schluss kommen, dass Gott den Betrug rechtfertigt. Doch ich will den anderen Gottesdiensten noch nicht vorgreifen. Im Spannungsverhältnis von Betrug und Segen wird uns durch Jakob das eigene Leben beleuchtet und die Frage ist berechtigt: Wie weit gehe ich als Mensch, um Ziele durchzusetzen?

Schon bei der Geburt greift Jakob fest zu. Er hält sich an der Verse seines Bruders Esau, dem als Erstgeborenen wesentlich mehr Rechte zustehen werden als dem Zweitgeborenen, fest. Dieses Festhalten wird zum Zeichen dafür, dass Jakob bestehende Verhältnisse, Konventionen und Ordnungen nicht einfach hinnehmen wird, sondern sie seinen eigenen Zielen unterordnet. In der zweiten Episode aus seinem Leben wird deutlich, mit welchem Verstand Jakob gesegnet ist. Er erkennt sehr schnell, wie die Situation einzuschätzen ist. Sein Bruder Esau kommt müde und hungrig von der Jagd. Da wo die elementaren Lebensbedürfnisse nach Befriedigung schreien, setzt gelegentlich der Verstand aus. Genau das erkennt Jakob und macht es sich zunutze. Mit dem Ertrag seiner eigenen Arbeit – er kochte gerne und das Linsengericht steht zum Verzehr bereit – versucht Jakob nun, daraus Gewinn zu machen. Letztlich setzt er sein Talent nur richtig ein und erkennt die Zeichen des Moments.

Dass dieses Tun keine absolute rechtliche Verbindlichkeit hat, wird im weiteren Verlauf der Geschichte deutlich. Denn wäre dem so, müsste Jakobs Mutter Rebekka nicht einschreiten. Dann könnten die beiden Zwillingsbrüder vor den Vater treten und von ihrem Tauschgeschäft erzählen. So aber will die Geschichte uns mahnen und darauf hinweisen, dass man nicht leichtfertig mit dem umgehen soll, was einem anvertraut wurde. Denn dafür steht das Erstgeburtsrecht in erster Linie. Ich kann als Mensch nichts dafür, wenn ich vor den Geschwistern geboren wurde. Mit der Erstgeburt verbanden sich eine ganze Reihe von Rechten und Pflichten. Als göttliches Geschenk darf ich sie nicht einfach wegwerfen, gering achten oder sogar verkaufen, um ein schnelles Bedürfnis zu befriedigen.

Von daher betrachtet ist Esau nicht nur das Opfer, sondern derjenige, vor dem die Bibel warnt. Er gibt das zu Bewahrende leichtfertig auf, anstelle es zu achten und dafür Sorge zu tragen. Am Ende stehen dann Geschrei, Wut und Zorn bis hin zu Mordgedanken. Jeder und jedem darf diese Geschichte zum Mahnwort werden, wenn wir vor die Entscheidung gestellt werden, Traditionen zu bewahren oder sie leichtfertig für das symbolische Linsengericht schlicht zu verkaufen.

 

Wie weit gehe ich als Eltern oder die Frage nach den Lieblingskindern?

 

Jakobs-Weg ist ein Weg voller Widersprüche und voller Auf-und Abwärtsbewegungen. Mal sorgt er selber für einen entscheidenden Impuls und ein anderes Mal wird dieser von Personen aus seiner Familie gegeben. Das Einschreiten seiner Mutter bleibt mit einem faden Beigeschmack behaftet, betrügt sie doch dadurch ihren Ehemann auf eine sehr hässliche Weise. Sie nutzt seine Schwäche gnadenlos aus, um das Ziel, ihr Lieblingskind ins rechte Licht zu rücken und ihm Vorteile zu verschaffen, zu erreichen.

An dieser Stelle wird die Geschichte plötzlich sehr aktuell. Denn nun ist sie uns gar nicht mehr so fremd, wenn wir uns die eben gestellte Frage selber stellen: Wie weit gehe ich als Eltern für meine Kinder? Bevorzuge ich das Kind, dem mein Herz oder meine Seele etwas näher verbunden ist? Versuche ich krampfhaft dagegen anzukämpfen, indem ich alle Kinder gleich behandle?

Oder lerne ich damit zu leben, dass Elternliebe zwar geteilt werden kann, sie aber deshalb nicht zwangsläufig gleich geteilt werden muss?

Neben dieser Thematik wird der Hörer aber genauso herausgefordert sich mit dem eigenen Tun als Mutter bzw. Vater auseinanderzusetzen. Nehme ich den Betrug in Kauf, damit mein Kind auf die gewünschte Schule kommt?

Nutzte ich als Mutter die Schwäche anderer aus, um meinem Sohn einen Vorteil zu verschaffen?

Stifte ich das Kind zum kleinen Unrecht an, weil ich das große Ziel besser im Auge habe als es die Tochter oder Sohn mit ihrer geringen Lebenserfahrung vermögen können?

Keiner hier unter uns, liebe Gemeinde, wird nicht zumindest schon einmal genau in diese Versuchungen geführt worden sein. Möglicherweise habe viele widerstehen können, aber diesbezüglich ganz rein wird wohl niemand sein.

 

Jakobs Mutter Rebekka konnte es nicht. Sie wollte natürlich nur das Beste für ihr Kind. Der Preis für ihr unrechtes Tun war der Verlust ihres Sohnes für viele Jahre. Wo Lebensmöglichkeiten von starker Konkurrenz begleitet werden, hat es die Redlichkeit immer etwas schwerer. Deshalb brauchen wir jemanden, der uns mit unserem Tun infrage stellt.

 

Wie weit gehe ich, um eigene Ziele zu erreichen?

 

Auch mit dieser aus der Jakobsgeschichte erwachsenen Frage stehen wir mitten im aktuellen Geschehen. Die politischen Kapriolen im In- und Ausland der vergangenen Wochen und Monate haben sie auf manch unschöne Weise beantwortet. Doch darauf will ich gar nicht eingehen, sondern die Frage vielmehr wirklich persönlich stellen bzw. dazu anregen, sie sich stellen zu lassen. Denn vielfach kommt es gar nicht erst dazu, dass ich mir die Frage stellen lasse. Dazu bedarf es nämlich eines Gegenübers, das es sehr ernst mit mir meint, mich aufrichtig liebt. Aus dieser Liebe heraus wächst eine gewisse Verantwortung für das Leben des Gegenübers. Die Frage regt an, eigene Maßstäbe zu überdenken und auch das Gewissen zum Prüfstein zu machen für den Willen zum Erfolg.

Wie oft haben wir uns korrumpieren lassen, weil der Weg zum Erfolg so bequemer und geradliniger ist? Jeder mag das für sich selber überprüfen und wird sein Beispiel finden.

Muss es die kleine Betrügerei sein, die mir einen Vorteil verschafft?

Lässt sich die Wahrheit verbiegen, um vor anderen im guten Licht dazustehen?

Ist die Schwäche meines Gegners nicht ein Geschenk, das auszuschlagen sehr töricht wäre, um dem eigenen Ziel näher zu kommen?

Nun könnte Jakob als Kronzeuge aufgerufen werden. Seht her, bei ihm war es doch auch nicht anders und Gott segnet ihn dafür noch? Das wäre ein ganz großes Missverständnis, weil Jakob für seinen Betrug bitter bezahlen musste.

Gott hat ihn nicht aufgegeben, weil Gott mit diesem besonderen Menschen etwas Besonderes vorhatte. Der Segen Gottes macht Jakob nicht frei von seiner Verantwortung. Er hilft vielmehr, sie zu tragen. Amen.

Wie weit gehe ich? Die vier Stationen laden ein, sich nun mit dieser Frage zu beschäftigen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig